Feindbild Deutsche?
Vorbei sind die Zeiten der Wende, als Polen seine Rückkehr zum abendländischen Kulturkreis feierte und dem deutschen Nachbarn Dank zollte, weil er Polens Integration in die politischen und militärischen Institutionen des Westens aktiv vorangetrieben hatte. Vorbei auch die Schönwetterperiode Ende der 90er Jahre, als die Beziehungen so konfliktfrei verliefen, dass manche schon von einem Versöhnungskitsch sprachen.
Heute stehen die Zeichen auf Konfrontation.
Es sei ein Skandal, erklärte Premier Kaczynski vor über zweitausend begeisterten Anhängern am letzten Wochenende in Posen, dass der Vorsitzende des Europaparlaments, der CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering, an einer Veranstaltung des von Nazis gegründeten Bundes der Vertriebenen teilgenommen hätte. Deutschland sei für Polen noch immer eine Bedrohung: einst durch den "teutonischen Wahnsinn", später durch Hitler, heute durch die Entschädigungsforderungen von Vertriebenen. Deutschland ist für Kaczynski der alte und neue Erbfeind.
Anklagen sind an die Stelle des politischen Dialogs getreten. Wir erinnern uns noch alle an das Titelbild der Wochenzeitung Wprost, das Erika Steinbach in SS-Uniform präsentierte. An die scharfen, durch nichts zu besänftigenden Poteste gegen die deutsch-russische Ostsee-Pipeline, die angeblich von einer neuen Verschwörung der Achse Berlin-Moskau auf Kosten von Warschau zeugt. Noch im Ohr klingen die jüngsten Äußerungen der Außenministerin Anna Fotyga, Polen könne sich weder in der NATO noch in der EU sicher fühlen, da Deutschland nach Dominanz strebe und die Position Polens als ebenbürtigen Partners untergrabe. In keinem Fall, erklärte Fotyga, wäre Polen zur Rückgabe der Kulturgüter bereit, die während des Krieges aus Berlin ausgelagert und nach dem Krieg von Polen übernommen und zu polnischem Besitz erklärt worden seien.
Verständigung – das waren die unmissverständlichen Signale aus Warschau in den letzten zwei Jahren – war gar nicht angestrebt, vielmehr war Kollision erwünscht. Statt nach Kompromissen und rationalen Lösungen zu suchen, wurden strittige Sachthemen geschichtspolitisch zur Rekonstruktion des alten Feindbildes überhöht.
Es stimmt: Viele Polen reagierten und reagieren mit Skepsis oder auch offener Ablehnung auf die Veränderungen, die sich im Geschichtsbild der Deutschen vollziehen – wo nicht mehr allein an die Schuld, sondern auch an das Leiden von Deutschen erinnert wird, wo neben den Verbrechen von Deutschen auch die Verbrechen von Anderen zur Sprache kommen. Findet ein offener Austausch statt wie bei den vielen Begegnungen von Polen und Deutschen in den ehemals deutschen Ostgebieten, können Ängste auf polnischer Seite in der Regel zerstreut werden: Denn die Debatte in Deutschland ist nicht getragen vom Wunsch nach Anklage oder Aufrechnung, sondern nach Anerkennung der Vielschichtigkeit von Geschichte und zur Integration ausgeblendeter Facetten in die individuelle Biografie.
Die Kaczynski-Brüder sind aber weder an Aufklärung noch an Differenzierung interessiert. Wunden, im Gedächtnis älterer Polen zweifellos noch vorhanden, sollen gar nicht verheilen, sondern eine ressentimentgeladene Haltung gegenüber Deutschland schaffen: In diesem konfrontativen Kurs verlangt altes Unrecht nach einer nie endenden, einer nie ausreichenden Wiedergutmachung.
Zwar teilt die Bürgerplattform PO die meisten außenpolitischen Standpunkte der Regierung. So unterstützte sie das Bemühen der Kaczynski-Brüder um eine überproportionale Gewichtung mittelgroßer Staaten wie Polen im Europarat – schließlich war es ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Jan Rokita, der die populistische Losung "Nizza oder der Tod" geprägt hat. Auch die Bürgerplattform lehnt ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ab und verweigert die Herausgabe der deutschen Kulturgüter – Positionen, an denen sie ganz sicher vor den Wahlen nicht rütteln wird, um mit dem Spitzenkandidaten Donald Tusk, dessen Großvater - wenn auch zwangsweise - in die deutsche Wehrmacht eingezogen wurde, nicht in den Geruch des Landesverrats zu geraten.
Mit einer Bürgerplattform an der Regierung könnte sich dennoch Einiges ändern: Die PO ist dialogbereit und die PO ist rechtsstaatlich. Es ist unvorstellbar, dass ein Premier der Bürgerplattform wie Jaroslaw Kaczynski den Vorrang der Staatsräson vor dem Recht propagiert hätte – nur um zu verhindern, dass emigrierte polnische Staatsbürger deutscher Herkunft ihr Eigentum in Ostpreußen oder Oberschlesien zurückerhielten. Eher wäre denkbar, dass die Bürgerplattform sich in ihrer grundsätzlich pro-europäischen Haltung der Partei der Linken und Demokraten annäherte. Wählt Politiker, die das Land in die NATO und die Europäische Union geführt haben, forderte deren Spitzenkandidat, der ehemalige Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, am letzten Wochenende.
Das könnte sicher auch die Bürgerplattform unterschreiben.
Dr. Helga Hirsch studierte Germanistik und Politologie in Berlin und arbeitet seit 1985 als freie Journalistin, unter anderem für den Westdeutschen Rundfunk und die F.A.Z. 1988 bis 1994 war sie Korrespondentin der "Zeit" in Warschau. 1998 erschien ihr erstes Buch, "Die Rache der Opfer".
Letzte Buchveröffentlichungen: "Ich habe keine Schuhe nicht. Geschichten von Menschen zwischen Oder und Weichsel" und "Schweres Gepäck. Flucht und Vertreibung als Lebensthema".
Es sei ein Skandal, erklärte Premier Kaczynski vor über zweitausend begeisterten Anhängern am letzten Wochenende in Posen, dass der Vorsitzende des Europaparlaments, der CDU-Politiker Hans-Gert Pöttering, an einer Veranstaltung des von Nazis gegründeten Bundes der Vertriebenen teilgenommen hätte. Deutschland sei für Polen noch immer eine Bedrohung: einst durch den "teutonischen Wahnsinn", später durch Hitler, heute durch die Entschädigungsforderungen von Vertriebenen. Deutschland ist für Kaczynski der alte und neue Erbfeind.
Anklagen sind an die Stelle des politischen Dialogs getreten. Wir erinnern uns noch alle an das Titelbild der Wochenzeitung Wprost, das Erika Steinbach in SS-Uniform präsentierte. An die scharfen, durch nichts zu besänftigenden Poteste gegen die deutsch-russische Ostsee-Pipeline, die angeblich von einer neuen Verschwörung der Achse Berlin-Moskau auf Kosten von Warschau zeugt. Noch im Ohr klingen die jüngsten Äußerungen der Außenministerin Anna Fotyga, Polen könne sich weder in der NATO noch in der EU sicher fühlen, da Deutschland nach Dominanz strebe und die Position Polens als ebenbürtigen Partners untergrabe. In keinem Fall, erklärte Fotyga, wäre Polen zur Rückgabe der Kulturgüter bereit, die während des Krieges aus Berlin ausgelagert und nach dem Krieg von Polen übernommen und zu polnischem Besitz erklärt worden seien.
Verständigung – das waren die unmissverständlichen Signale aus Warschau in den letzten zwei Jahren – war gar nicht angestrebt, vielmehr war Kollision erwünscht. Statt nach Kompromissen und rationalen Lösungen zu suchen, wurden strittige Sachthemen geschichtspolitisch zur Rekonstruktion des alten Feindbildes überhöht.
Es stimmt: Viele Polen reagierten und reagieren mit Skepsis oder auch offener Ablehnung auf die Veränderungen, die sich im Geschichtsbild der Deutschen vollziehen – wo nicht mehr allein an die Schuld, sondern auch an das Leiden von Deutschen erinnert wird, wo neben den Verbrechen von Deutschen auch die Verbrechen von Anderen zur Sprache kommen. Findet ein offener Austausch statt wie bei den vielen Begegnungen von Polen und Deutschen in den ehemals deutschen Ostgebieten, können Ängste auf polnischer Seite in der Regel zerstreut werden: Denn die Debatte in Deutschland ist nicht getragen vom Wunsch nach Anklage oder Aufrechnung, sondern nach Anerkennung der Vielschichtigkeit von Geschichte und zur Integration ausgeblendeter Facetten in die individuelle Biografie.
Die Kaczynski-Brüder sind aber weder an Aufklärung noch an Differenzierung interessiert. Wunden, im Gedächtnis älterer Polen zweifellos noch vorhanden, sollen gar nicht verheilen, sondern eine ressentimentgeladene Haltung gegenüber Deutschland schaffen: In diesem konfrontativen Kurs verlangt altes Unrecht nach einer nie endenden, einer nie ausreichenden Wiedergutmachung.
Zwar teilt die Bürgerplattform PO die meisten außenpolitischen Standpunkte der Regierung. So unterstützte sie das Bemühen der Kaczynski-Brüder um eine überproportionale Gewichtung mittelgroßer Staaten wie Polen im Europarat – schließlich war es ihr damaliger Fraktionsvorsitzender Jan Rokita, der die populistische Losung "Nizza oder der Tod" geprägt hat. Auch die Bürgerplattform lehnt ein Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ab und verweigert die Herausgabe der deutschen Kulturgüter – Positionen, an denen sie ganz sicher vor den Wahlen nicht rütteln wird, um mit dem Spitzenkandidaten Donald Tusk, dessen Großvater - wenn auch zwangsweise - in die deutsche Wehrmacht eingezogen wurde, nicht in den Geruch des Landesverrats zu geraten.
Mit einer Bürgerplattform an der Regierung könnte sich dennoch Einiges ändern: Die PO ist dialogbereit und die PO ist rechtsstaatlich. Es ist unvorstellbar, dass ein Premier der Bürgerplattform wie Jaroslaw Kaczynski den Vorrang der Staatsräson vor dem Recht propagiert hätte – nur um zu verhindern, dass emigrierte polnische Staatsbürger deutscher Herkunft ihr Eigentum in Ostpreußen oder Oberschlesien zurückerhielten. Eher wäre denkbar, dass die Bürgerplattform sich in ihrer grundsätzlich pro-europäischen Haltung der Partei der Linken und Demokraten annäherte. Wählt Politiker, die das Land in die NATO und die Europäische Union geführt haben, forderte deren Spitzenkandidat, der ehemalige Staatspräsident Aleksander Kwasniewski, am letzten Wochenende.
Das könnte sicher auch die Bürgerplattform unterschreiben.
Dr. Helga Hirsch studierte Germanistik und Politologie in Berlin und arbeitet seit 1985 als freie Journalistin, unter anderem für den Westdeutschen Rundfunk und die F.A.Z. 1988 bis 1994 war sie Korrespondentin der "Zeit" in Warschau. 1998 erschien ihr erstes Buch, "Die Rache der Opfer".
Letzte Buchveröffentlichungen: "Ich habe keine Schuhe nicht. Geschichten von Menschen zwischen Oder und Weichsel" und "Schweres Gepäck. Flucht und Vertreibung als Lebensthema".