Feine und Hansestadt Hamburg
In Hamburg boomt der Tourismus, die Hotels machen Kasse. Und die Mitarbeiter, die im Hotelservice arbeiten, machen die Betten. Während die Gäste dafür Geld, in den besseren Hotels viel Geld bezahlen, verdienen jene, die die Zimmer reinigen, teilweise so wenig, dass sie von ihrem Einkommen allein nicht existieren können.
Ein Fünf-Sterne-Hotel am Alten Wall in der Hamburger Innenstadt. Antonia H. ist Hauswirtschaftshelferin und fängt am 3. November 2006 als Zimmermädchen an. Ihr erstes Gehalt: 413,18 Euro. Bei täglich acht Stunden Arbeit entspricht das einem Brutto-Stundenlohn von: 2,46 Euro.
Ein Vier-Sterne-Hotel an einer befahrenen Ausfallstraße Richtung Elbbrücken. Karin Schulz bezieht Betten, putzt Klo, Dusche, Waschbecken, räumt Müll weg, poliert Spiegel, saugt.
Karin Schulz: "Man hat angefangen, einen Zettel gekriegt: soundso viele Zimmer sind zu machen - so viele sind Abreiser, so viele sind Bleiber. Dann hat man geguckt: Kann man hier schon rein? Muss man noch warten?"
Karin Schulz arbeitet als Zimmermädchen, von acht Uhr morgens bis 15, 16, 18 Uhr - sieben, acht, zehn Stunden täglich; im Vertrag vereinbart sind etwa zwanzig Wochenstunden. Sie verdient:
Karin Schulz: "Brutto 385,50 - netto 361,29."
Das entspricht einem Brutto-Stundenlohn von 2,10 Euro, netto 1,96 Euro.
Anonymes Zimmermädchen: "Der tarifliche Lohn wäre eigentlich 7,87 Euro - was eigentlich nirgendwo eingehalten wird."
Im Foyer eines Luxushotels nahe der Alster. Dieses Zimmermädchen möchte anonym bleiben.
"Der tarifliche Lohn wäre eigentlich 7,87 Euro - was eigentlich nirgendwo eingehalten wird, sondern es wird daraus eine Zimmerzahl gemacht. Das ist bei verschiedenen Firmen unterschiedlich kalkuliert, das heißt einige sagen: Sie müssen in einer Stunde drei, 3,8 Zimmer fertigmachen, andere sagen 2,5 - je nach Größe, nach Sternen des Hotels."
Andreas Suß: "Das Prinzip, was dahinter steht, ist einfach, dass den Frauen so genannte Akkordverträge aufgedrückt werden, wo die Zimmer zu Pauschalpreisen gereinigt werden. Und die Frauen kriegen tatsächlich nur das bezahlt, was sie reinigen, und die Zeit dazwischen nicht."
Andreas Suß, Geschäftsführer der IG BAU Hamburg. Zwei bis vier Zimmer pro Stunde müsste ein Zimmermädchen putzen, um auf den tarifvertraglich geregelten Stundenlohn von 7,87 Euro zu kommen.
Anonymes Zimmermädchen: "Das ist unmöglich zu schaffen, die Anforderungen sind riesig groß, gerade bei Vier- und Fünf-Sterne-Hotels. Wenn man das picobello machen will: eine Stunde ein Zimmer."
Karin Schulz: "Ich habe einmal erlebt: Da kam ich rein und ich bin meterweise über den Müll hinweggestiefelt, den die Gäste da gelassen haben. Auf dem Fußboden verteilt: Geschirr, Essensreste, auf dem Bett, überall lag Essen rum. Und das habe ich nicht in 20 Minuten geschafft - da habe ich 1 1/2 Stunden für das Zimmer gebraucht. Um das wieder so zurecht zu machen, dass der nächste Gast einziehen konnte."
Wenn Zimmer nicht frei werden, weil Gäste nicht gehen, muss das Zimmermädchen warten. Wartezeit wird nicht bezahlt. Auch das drückt den tatsächlichen Stundenlohn. Und dann sind da noch die so genannten checker.
Anonymes Zimmermädchen: "Die checker, die die Zimmer kontrollieren, die gehen in jede Ecke, mit ihren Fingern, dann machen sie die Probe auf der schwarzen Hose und wenn ein Staubkorn da ist, dann heißt es, das wird nicht bezahlt das Zimmer. Das ist eben so eine brutale Strafe, die natürlich auch immer unterschiedlich ist, nach Sympathie sozusagen oder nach Lust und Laune. Aber (lacht) wie ich durch meine Tätigkeit festgestellt habe, dass viele ihre Perversität damit ausleben, dass sie solche Sachen machen. Und das Hotel ist eine absolut getrennte Sache, die mischen sich in diese Hierarchie gar nicht ein, weil die sagen: Das ist eure Sache. Macht das mit eurer Firma aus."
Andreas Suß: "Das eigentliche Problem, was uns ärgert, ist, wie die Auftraggeber, nämlich die Hotels, diese Aufträge vergeben. Weil da liegt die eigentliche Ursache für das Prinzip, was nachher bei den Subunternehmerketten passiert. Weil wenn man die eigenen Arbeitkräfte rausschmeißt, die eigenen Zimmermädchen, und das dann an Subunternehmer überträgt, muss man sich hinterher nicht wundern, wenn die dann zu Kampfpreisen den Auftrag annehmen. Dass die das Risiko weitergeben an die Arbeitnehmer."
Antonia H. verschlug es die Sprache, als sie ihre Abrechnung bekam. Doch ihre Mutter ist sehr wortgewandt, und so erfuhr die Öffentlichkeit von dem skandalösen Stundenlohn. Vier Monate nachdem der Fall Antonia H. durch die Presse ging, putzen und wienern tausende Reinigungskräfte in den Hotels der Stadt - und nahezu alle, schätzt Andreas Suß von der IG BAU, verdienen etwa so viel bzw. wenig wie Antonia H.
"Bei den Zimmermädchen ist zu weit über 90 Prozent verbreitet, dass sie diese Pauschalsummen bezahlt bekommen."
Rose Pauly, Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbandes Hamburg.
"Das Zimmermädchen war nicht bei dem Hotel angestellt, sondern bei einem Reinigungsunternehmen, und da können wir natürlich nicht kontrollieren, was die Zimmermädchen verdienen und wie viel oder wenig sie verdienen. Diejenigen, die fest angestellt sind bei unseren Hotels, die haben alle Tarifverträge und werden nach Tarif bezahlt."
Eine Umfrage der Obdachlosenzeitschrift Hinz und Kunz unter 200 Hamburger Hotels ergab:
27 Hotels zahlen mindestens 7 Euro 50.
36 Hotels zahlen mindestens 6 Euro 30.
32 Hotels antworteten nicht.
Mehr als hundert Häuser arbeiten mit Fremdfirmen. Reinigungsunternehmen, die Tariflohn zusichern - aber ob sie ihn auch zahlen?
Antonia H.s Mutter schrieb dem Reinigungsunternehmen Lieblang, bei dem ihre Tochter angestellt war, einen Brief. Sie fragte, ob es sich um einen Versehen handle.
Karin Schulz - die Anspruch auf zusätzliches Arbeitslosengeld II gehabt hätte, weil sie trotz Vollzeitjob zu wenig verdiente, um davon zu leben - kündigte.
"Eigentlich war ich eingeteilt für den Tag zum Arbeiten. Ich bin dann hin gefahren, habe meine Kündigung abgegeben, habe meine Sachen abgegeben, nach dem Motto: hier habt ihr eure Hose, T-Shirt und das zurück. Und nun lasst mich in Ruhe. Ich habe aufgegeben. Davon kann ich nicht leben. Fertig, aus."
Die Firma 3 B, bei der Karin Schulz beschäftigt war, wirbt auf ihrer Homepage, Zitat: "Unser Hotelservice setzt Maßstäbe."
Die Firma Lieblang, bei der Antonia H. putzte, stellt klar: "Durch einen Übermittlungsfehler war die Lohnabrechnung von Frau H. fehlerhaft". Ansonsten "werden die Mitarbeiter unseres Unternehmens entsprechend der gültigen Tarifbestimmungen entlohnt".
Bei der Hamburger Innung der Gebäudereiniger nennt man solche Löhne "kriminell". Und verlangt von seinen Mitgliedern Tariftreue. Doch die Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen seien "begrenzt", sagt Geschäftsführer Volker Okun. Und: Die Hotels drückten die Preise so sehr, dass eine tarifgerechte Bezahlung gar nicht möglich sei. Wer sechs bis acht Euro als Stundenverrechnungssatz veranschlage - die Summe, von der Lohn, Sozialabgaben, Kosten der Reinigungsfirma sowie deren Gewinn bestritten werden müssen -, wisse das auch. 14 bis 15 Euro seien mindestens nötig. Doch aus den Hotels heiße es: wenn dir das nicht passt, kriegst du den Auftrag nicht.
Rose Pauly: "Alsooo ... wissen Sie (lacht), wir haben 'ne Wettbewerbswirtschaft und jeder Unternehmer macht seine Preise selber und bekommt sie nicht diktiert. Und die Zulieferer von Aldi stöhnen auch und kommen trotzdem zurecht."
Rose Pauly, Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbandes Hamburg.
Der Fall Antonia H. erreichte schließlich auch den Hamburger Wirtschafts- und Arbeitssenator Gunnar Ulldall.
Proksch: " Diese Fälle, die Sie aufgreifen, das waren wohl Einzelfälle, in der Tat wirklich bedauerlich und auch nicht akzeptabel."
Drum lud der Senator Hoteliers, Gebäudereiniger und Gewerkschafter zum Krisengipfel. Ein Interview gibt er nicht. Aber sein Amtsleiter sagt, was beim Krisengipfel herausgekommen ist.
Bernhard Proksch: " Wir haben uns auf diesem Termin darauf geeinigt - und eigentlich haben sich alle großen Hotels darauf auch eingelassen -, dass in Hamburg inzwischen jedes Hotel entweder bereit ist, mit der Gebäudereinigerinnung Hamburg zusammenzuarbeiten, da gibt es ein Gütesiegel, da kommt so was nicht vor. Bei dem Gütesiegel wird darauf geachtet, dass die Tarifverträge eingehalten werden und dass noch andere Kriterien im Arbeitsschutz eingehalten werden. Die anderen waren aber alle bereit, Tariftreueerklärungen nachzureichen in ihren Verträgen. Ich sage mal: Der gröbste Missstand - wobei man das im Einzelfall nicht ausschließen kann, dass es so was immer mal wieder gibt - dürfte damit beseitigt sein."
Anonymes Zimmermädchen: "Im Januar, Februar war die große Aufregung, unheimlich viel Druck ausgeübt in der Branche. Und jetzt ist es wieder still geworden, keiner redete mehr darüber, alle sind fleißig, machen ihre Arbeit, hat sich alles eingespielt, wunderbar. Nur: Man verdient gar nichts. Ich arbeite jetzt in diesem Hotel - ich will natürlich an dem Ast unter mir auch nicht sägen: ich arbeite für vier Euro Stundenlohn. Und das ist netto, okay. Es ist ein 400-Euro-Job, aber wenn ich das wie die anderen Vollzeit mache, heißt das, dass noch die Abzüge kommen. Es hat sich nichts geändert!"
Andreas Suß: "Kurzfristig schon. Wir haben etliche Fälle gehabt, die dann geändert werden konnten. Unsere Erfahrung ist mittlerweile eine ganz erstaunliche, weil wenn wir nur ein Forderungsschreiben an die Unternehmen richten, stellen wir fest, dass selbstverständlich sofort gezahlt wird - wen wundert es, weil sie würden jedes Verfahren verlieren, weil Recht und Ordnung sehr eindeutig sind an der Position."
Der Tarifvertrag der Gebäudereiniger ist allgemeinverbindlich, das heißt er gilt nicht nur für die im Arbeitgeberverband organisierten Firmen, sondern für das gesamte Tarifgebiet. Kurz: Wer putzt, dem stehen 7,87 Euro pro Stunde zu. Vereinbarungen, die dazu führten, dass Zimmermädchen weniger verdienten - wie die Zimmerpauschale -, seien unzulässig.
Andreas Suß: "Mittlerweile haben wir aber auch die Erfahrung gemacht, dass sie jetzt massiv eingeschüchtert werden. Sie kriegen ein Redeverbot oder ihnen wird gesagt: wenn sie sich wehren, würden sie ihren Arbeitsplatz sofort verlieren. Das ist natürlich für diese Frauen ein sehr gewichtiges Argument, keine Frage."
Karin Schulz: "Ich bin die Einzige gewesen, die einen Schlussstrich gezogen hat. Es haben andere mit mir angefangen - die sind alle noch da geblieben. Weil sie dachten, sie finden nichts anderes."
Schon im Februar vergangenen Jahres durchsuchten Steuerfahndung, Zoll und Polizei mehrere Hamburger Reinigungsunternehmen. Fazit: viele Zimmermädchen bekamen zu niedrige Löhne, Stundenlöhne lagen z.T. bei zwei bis drei Euro. Die Verfahren laufen. Man hätte also wissen können, wie die Arbeitsbedingungen in der Branche sind. Der Krisengipfel beim Wirtschaftssenator ein Jahr später endet mit einem Appell Ulldalls: Ein Hamburger Kaufmann, sagte er, macht so etwas nicht.
Proksch: "Ja, ob das hilflos ist, weiß ich nicht. Zunächst mal denke ich, dass auch große Teile der Wirtschaft immer noch auch moralische Prinzipien haben. Zumindest der kleinen und mittleren Unternehmen, das stellen Sie auch fest. Ich sage natürlich trotzdem, dass es Unternehmen gibt, die sich da nicht dran halten - nur man muss natürlich überlegen: Was kann ein Stadtstaat denn tun? Die Instrumente der regionalen Politik sind da natürlich auch begrenzt. Und das, was man regional tun kann, denke ich, das hat der Senator getan."
Andreas Suß: "Unsere Erfahrung ist: Das Appellieren an den ehrbaren Kaufmann nutzt in diesem Bereich überhaupt nichts. Es mag ein paar ehrbare Leute dort geben, aber diejenigen, die dort diese Verträge gestalten, die diese Praxis durchführen mit den Frauen, haben mit Ehrbarkeit wirklich überhaupt nichts zu tun und am Hut."
Anonymes Zimmermädchen: "Lächerlich. Was soll man dazu sagen? Er sollte auch eine Woche dort arbeiten - alte Männer arbeiten auch da im Hotel, also: er könnte das machen und dann wüsste er, was das bedeutet."
Rose Pauly: "Wir sind schon der Meinung, dass wir ein bisschen was tun müssen, und das wollen wir auch. Wir haben unsere Hoteliers angeschrieben, dass sie doch darauf achten mögen, dass sie mit ihrem Reinigungsunternehmen Verträge abschließen, in denen diese sich verpflichten, tarifliche Löhne zu bezahlen."
Andreas Suß: "Es gibt in der Luxusklasse der Hotels ein paar Häuser, ich nenne jetzt mal 'Atlantik' oder 'Vier Jahreszeiten', von denen wir wissen, die zahlen relativ viel. Die legen auch auf sehr hohe Standards wert. Die meisten anderen Hotels, insbesondere die großen Ketten, da ist unsere Erfahrung, dass die munter weiter genau diese Praxis fahren. Jetzt sind sie aus den Ohren, aus dem Sinn der Öffentlichkeit - unserer Meinung nach ist es so, dass die Praxis weitergefahren wird. Wir haben jetzt eine neue Möglichkeit mit dem Entsendegesetz und wir werden munter den Zoll, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit motivieren, die Hotels sich noch mal vor die Brust zu nehmen und noch mal intensiv zu kontrollieren."
Antonia H. bekam fast zeitgleich mit der korrigierten Abrechnung ihre Kündigung. Heute ist sie arbeitslos.
Karin Schulz arbeitet in einem Callcenter. Sie verdient jetzt 1400 Euro im Monat.
Das anonyme Zimmermädchen arbeitet weiter auf 400 Euro-Basis. 20 Stunden - oder mehr - pro Woche.
Und der Wirtschaftssenator feiert Hafengeburtstag.
Ein Vier-Sterne-Hotel an einer befahrenen Ausfallstraße Richtung Elbbrücken. Karin Schulz bezieht Betten, putzt Klo, Dusche, Waschbecken, räumt Müll weg, poliert Spiegel, saugt.
Karin Schulz: "Man hat angefangen, einen Zettel gekriegt: soundso viele Zimmer sind zu machen - so viele sind Abreiser, so viele sind Bleiber. Dann hat man geguckt: Kann man hier schon rein? Muss man noch warten?"
Karin Schulz arbeitet als Zimmermädchen, von acht Uhr morgens bis 15, 16, 18 Uhr - sieben, acht, zehn Stunden täglich; im Vertrag vereinbart sind etwa zwanzig Wochenstunden. Sie verdient:
Karin Schulz: "Brutto 385,50 - netto 361,29."
Das entspricht einem Brutto-Stundenlohn von 2,10 Euro, netto 1,96 Euro.
Anonymes Zimmermädchen: "Der tarifliche Lohn wäre eigentlich 7,87 Euro - was eigentlich nirgendwo eingehalten wird."
Im Foyer eines Luxushotels nahe der Alster. Dieses Zimmermädchen möchte anonym bleiben.
"Der tarifliche Lohn wäre eigentlich 7,87 Euro - was eigentlich nirgendwo eingehalten wird, sondern es wird daraus eine Zimmerzahl gemacht. Das ist bei verschiedenen Firmen unterschiedlich kalkuliert, das heißt einige sagen: Sie müssen in einer Stunde drei, 3,8 Zimmer fertigmachen, andere sagen 2,5 - je nach Größe, nach Sternen des Hotels."
Andreas Suß: "Das Prinzip, was dahinter steht, ist einfach, dass den Frauen so genannte Akkordverträge aufgedrückt werden, wo die Zimmer zu Pauschalpreisen gereinigt werden. Und die Frauen kriegen tatsächlich nur das bezahlt, was sie reinigen, und die Zeit dazwischen nicht."
Andreas Suß, Geschäftsführer der IG BAU Hamburg. Zwei bis vier Zimmer pro Stunde müsste ein Zimmermädchen putzen, um auf den tarifvertraglich geregelten Stundenlohn von 7,87 Euro zu kommen.
Anonymes Zimmermädchen: "Das ist unmöglich zu schaffen, die Anforderungen sind riesig groß, gerade bei Vier- und Fünf-Sterne-Hotels. Wenn man das picobello machen will: eine Stunde ein Zimmer."
Karin Schulz: "Ich habe einmal erlebt: Da kam ich rein und ich bin meterweise über den Müll hinweggestiefelt, den die Gäste da gelassen haben. Auf dem Fußboden verteilt: Geschirr, Essensreste, auf dem Bett, überall lag Essen rum. Und das habe ich nicht in 20 Minuten geschafft - da habe ich 1 1/2 Stunden für das Zimmer gebraucht. Um das wieder so zurecht zu machen, dass der nächste Gast einziehen konnte."
Wenn Zimmer nicht frei werden, weil Gäste nicht gehen, muss das Zimmermädchen warten. Wartezeit wird nicht bezahlt. Auch das drückt den tatsächlichen Stundenlohn. Und dann sind da noch die so genannten checker.
Anonymes Zimmermädchen: "Die checker, die die Zimmer kontrollieren, die gehen in jede Ecke, mit ihren Fingern, dann machen sie die Probe auf der schwarzen Hose und wenn ein Staubkorn da ist, dann heißt es, das wird nicht bezahlt das Zimmer. Das ist eben so eine brutale Strafe, die natürlich auch immer unterschiedlich ist, nach Sympathie sozusagen oder nach Lust und Laune. Aber (lacht) wie ich durch meine Tätigkeit festgestellt habe, dass viele ihre Perversität damit ausleben, dass sie solche Sachen machen. Und das Hotel ist eine absolut getrennte Sache, die mischen sich in diese Hierarchie gar nicht ein, weil die sagen: Das ist eure Sache. Macht das mit eurer Firma aus."
Andreas Suß: "Das eigentliche Problem, was uns ärgert, ist, wie die Auftraggeber, nämlich die Hotels, diese Aufträge vergeben. Weil da liegt die eigentliche Ursache für das Prinzip, was nachher bei den Subunternehmerketten passiert. Weil wenn man die eigenen Arbeitkräfte rausschmeißt, die eigenen Zimmermädchen, und das dann an Subunternehmer überträgt, muss man sich hinterher nicht wundern, wenn die dann zu Kampfpreisen den Auftrag annehmen. Dass die das Risiko weitergeben an die Arbeitnehmer."
Antonia H. verschlug es die Sprache, als sie ihre Abrechnung bekam. Doch ihre Mutter ist sehr wortgewandt, und so erfuhr die Öffentlichkeit von dem skandalösen Stundenlohn. Vier Monate nachdem der Fall Antonia H. durch die Presse ging, putzen und wienern tausende Reinigungskräfte in den Hotels der Stadt - und nahezu alle, schätzt Andreas Suß von der IG BAU, verdienen etwa so viel bzw. wenig wie Antonia H.
"Bei den Zimmermädchen ist zu weit über 90 Prozent verbreitet, dass sie diese Pauschalsummen bezahlt bekommen."
Rose Pauly, Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbandes Hamburg.
"Das Zimmermädchen war nicht bei dem Hotel angestellt, sondern bei einem Reinigungsunternehmen, und da können wir natürlich nicht kontrollieren, was die Zimmermädchen verdienen und wie viel oder wenig sie verdienen. Diejenigen, die fest angestellt sind bei unseren Hotels, die haben alle Tarifverträge und werden nach Tarif bezahlt."
Eine Umfrage der Obdachlosenzeitschrift Hinz und Kunz unter 200 Hamburger Hotels ergab:
27 Hotels zahlen mindestens 7 Euro 50.
36 Hotels zahlen mindestens 6 Euro 30.
32 Hotels antworteten nicht.
Mehr als hundert Häuser arbeiten mit Fremdfirmen. Reinigungsunternehmen, die Tariflohn zusichern - aber ob sie ihn auch zahlen?
Antonia H.s Mutter schrieb dem Reinigungsunternehmen Lieblang, bei dem ihre Tochter angestellt war, einen Brief. Sie fragte, ob es sich um einen Versehen handle.
Karin Schulz - die Anspruch auf zusätzliches Arbeitslosengeld II gehabt hätte, weil sie trotz Vollzeitjob zu wenig verdiente, um davon zu leben - kündigte.
"Eigentlich war ich eingeteilt für den Tag zum Arbeiten. Ich bin dann hin gefahren, habe meine Kündigung abgegeben, habe meine Sachen abgegeben, nach dem Motto: hier habt ihr eure Hose, T-Shirt und das zurück. Und nun lasst mich in Ruhe. Ich habe aufgegeben. Davon kann ich nicht leben. Fertig, aus."
Die Firma 3 B, bei der Karin Schulz beschäftigt war, wirbt auf ihrer Homepage, Zitat: "Unser Hotelservice setzt Maßstäbe."
Die Firma Lieblang, bei der Antonia H. putzte, stellt klar: "Durch einen Übermittlungsfehler war die Lohnabrechnung von Frau H. fehlerhaft". Ansonsten "werden die Mitarbeiter unseres Unternehmens entsprechend der gültigen Tarifbestimmungen entlohnt".
Bei der Hamburger Innung der Gebäudereiniger nennt man solche Löhne "kriminell". Und verlangt von seinen Mitgliedern Tariftreue. Doch die Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen seien "begrenzt", sagt Geschäftsführer Volker Okun. Und: Die Hotels drückten die Preise so sehr, dass eine tarifgerechte Bezahlung gar nicht möglich sei. Wer sechs bis acht Euro als Stundenverrechnungssatz veranschlage - die Summe, von der Lohn, Sozialabgaben, Kosten der Reinigungsfirma sowie deren Gewinn bestritten werden müssen -, wisse das auch. 14 bis 15 Euro seien mindestens nötig. Doch aus den Hotels heiße es: wenn dir das nicht passt, kriegst du den Auftrag nicht.
Rose Pauly: "Alsooo ... wissen Sie (lacht), wir haben 'ne Wettbewerbswirtschaft und jeder Unternehmer macht seine Preise selber und bekommt sie nicht diktiert. Und die Zulieferer von Aldi stöhnen auch und kommen trotzdem zurecht."
Rose Pauly, Präsidentin des Hotel- und Gaststättenverbandes Hamburg.
Der Fall Antonia H. erreichte schließlich auch den Hamburger Wirtschafts- und Arbeitssenator Gunnar Ulldall.
Proksch: " Diese Fälle, die Sie aufgreifen, das waren wohl Einzelfälle, in der Tat wirklich bedauerlich und auch nicht akzeptabel."
Drum lud der Senator Hoteliers, Gebäudereiniger und Gewerkschafter zum Krisengipfel. Ein Interview gibt er nicht. Aber sein Amtsleiter sagt, was beim Krisengipfel herausgekommen ist.
Bernhard Proksch: " Wir haben uns auf diesem Termin darauf geeinigt - und eigentlich haben sich alle großen Hotels darauf auch eingelassen -, dass in Hamburg inzwischen jedes Hotel entweder bereit ist, mit der Gebäudereinigerinnung Hamburg zusammenzuarbeiten, da gibt es ein Gütesiegel, da kommt so was nicht vor. Bei dem Gütesiegel wird darauf geachtet, dass die Tarifverträge eingehalten werden und dass noch andere Kriterien im Arbeitsschutz eingehalten werden. Die anderen waren aber alle bereit, Tariftreueerklärungen nachzureichen in ihren Verträgen. Ich sage mal: Der gröbste Missstand - wobei man das im Einzelfall nicht ausschließen kann, dass es so was immer mal wieder gibt - dürfte damit beseitigt sein."
Anonymes Zimmermädchen: "Im Januar, Februar war die große Aufregung, unheimlich viel Druck ausgeübt in der Branche. Und jetzt ist es wieder still geworden, keiner redete mehr darüber, alle sind fleißig, machen ihre Arbeit, hat sich alles eingespielt, wunderbar. Nur: Man verdient gar nichts. Ich arbeite jetzt in diesem Hotel - ich will natürlich an dem Ast unter mir auch nicht sägen: ich arbeite für vier Euro Stundenlohn. Und das ist netto, okay. Es ist ein 400-Euro-Job, aber wenn ich das wie die anderen Vollzeit mache, heißt das, dass noch die Abzüge kommen. Es hat sich nichts geändert!"
Andreas Suß: "Kurzfristig schon. Wir haben etliche Fälle gehabt, die dann geändert werden konnten. Unsere Erfahrung ist mittlerweile eine ganz erstaunliche, weil wenn wir nur ein Forderungsschreiben an die Unternehmen richten, stellen wir fest, dass selbstverständlich sofort gezahlt wird - wen wundert es, weil sie würden jedes Verfahren verlieren, weil Recht und Ordnung sehr eindeutig sind an der Position."
Der Tarifvertrag der Gebäudereiniger ist allgemeinverbindlich, das heißt er gilt nicht nur für die im Arbeitgeberverband organisierten Firmen, sondern für das gesamte Tarifgebiet. Kurz: Wer putzt, dem stehen 7,87 Euro pro Stunde zu. Vereinbarungen, die dazu führten, dass Zimmermädchen weniger verdienten - wie die Zimmerpauschale -, seien unzulässig.
Andreas Suß: "Mittlerweile haben wir aber auch die Erfahrung gemacht, dass sie jetzt massiv eingeschüchtert werden. Sie kriegen ein Redeverbot oder ihnen wird gesagt: wenn sie sich wehren, würden sie ihren Arbeitsplatz sofort verlieren. Das ist natürlich für diese Frauen ein sehr gewichtiges Argument, keine Frage."
Karin Schulz: "Ich bin die Einzige gewesen, die einen Schlussstrich gezogen hat. Es haben andere mit mir angefangen - die sind alle noch da geblieben. Weil sie dachten, sie finden nichts anderes."
Schon im Februar vergangenen Jahres durchsuchten Steuerfahndung, Zoll und Polizei mehrere Hamburger Reinigungsunternehmen. Fazit: viele Zimmermädchen bekamen zu niedrige Löhne, Stundenlöhne lagen z.T. bei zwei bis drei Euro. Die Verfahren laufen. Man hätte also wissen können, wie die Arbeitsbedingungen in der Branche sind. Der Krisengipfel beim Wirtschaftssenator ein Jahr später endet mit einem Appell Ulldalls: Ein Hamburger Kaufmann, sagte er, macht so etwas nicht.
Proksch: "Ja, ob das hilflos ist, weiß ich nicht. Zunächst mal denke ich, dass auch große Teile der Wirtschaft immer noch auch moralische Prinzipien haben. Zumindest der kleinen und mittleren Unternehmen, das stellen Sie auch fest. Ich sage natürlich trotzdem, dass es Unternehmen gibt, die sich da nicht dran halten - nur man muss natürlich überlegen: Was kann ein Stadtstaat denn tun? Die Instrumente der regionalen Politik sind da natürlich auch begrenzt. Und das, was man regional tun kann, denke ich, das hat der Senator getan."
Andreas Suß: "Unsere Erfahrung ist: Das Appellieren an den ehrbaren Kaufmann nutzt in diesem Bereich überhaupt nichts. Es mag ein paar ehrbare Leute dort geben, aber diejenigen, die dort diese Verträge gestalten, die diese Praxis durchführen mit den Frauen, haben mit Ehrbarkeit wirklich überhaupt nichts zu tun und am Hut."
Anonymes Zimmermädchen: "Lächerlich. Was soll man dazu sagen? Er sollte auch eine Woche dort arbeiten - alte Männer arbeiten auch da im Hotel, also: er könnte das machen und dann wüsste er, was das bedeutet."
Rose Pauly: "Wir sind schon der Meinung, dass wir ein bisschen was tun müssen, und das wollen wir auch. Wir haben unsere Hoteliers angeschrieben, dass sie doch darauf achten mögen, dass sie mit ihrem Reinigungsunternehmen Verträge abschließen, in denen diese sich verpflichten, tarifliche Löhne zu bezahlen."
Andreas Suß: "Es gibt in der Luxusklasse der Hotels ein paar Häuser, ich nenne jetzt mal 'Atlantik' oder 'Vier Jahreszeiten', von denen wir wissen, die zahlen relativ viel. Die legen auch auf sehr hohe Standards wert. Die meisten anderen Hotels, insbesondere die großen Ketten, da ist unsere Erfahrung, dass die munter weiter genau diese Praxis fahren. Jetzt sind sie aus den Ohren, aus dem Sinn der Öffentlichkeit - unserer Meinung nach ist es so, dass die Praxis weitergefahren wird. Wir haben jetzt eine neue Möglichkeit mit dem Entsendegesetz und wir werden munter den Zoll, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit motivieren, die Hotels sich noch mal vor die Brust zu nehmen und noch mal intensiv zu kontrollieren."
Antonia H. bekam fast zeitgleich mit der korrigierten Abrechnung ihre Kündigung. Heute ist sie arbeitslos.
Karin Schulz arbeitet in einem Callcenter. Sie verdient jetzt 1400 Euro im Monat.
Das anonyme Zimmermädchen arbeitet weiter auf 400 Euro-Basis. 20 Stunden - oder mehr - pro Woche.
Und der Wirtschaftssenator feiert Hafengeburtstag.