Feinstaub

Die unsichtbare Gefahr

30:22 Minuten
Surreales Bild einer pinken Wolke vor türkisem Hintergrund.
Feinstaub kommt aus den unterschiedlichsten Quellen: In der Regel sieht man ihn nicht, und doch umgibt er uns. © Unsplash / Jack B
Von Hellmuth Nordwig |
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Ohne Luft kein Leben. Aber mit ihr atmen wir auch gefährlichen Feinstaub ein – mit teils tödlichen Folgen. Vor allem Autos, Kraftwerke und Industrieanlagen setzen die winzigen Partikel frei. Welche Möglichkeiten gibt es, die Belastung zu reduzieren?
Es ist lange bekannt, dass Feinstaub krank macht: Er kann nicht nur die Atemwege schädigen, sondern auch Herz und Gehirn. Hunderttausende Menschen sterben allein in Europa jedes Jahr vorzeitig an dieser Form der Luftverschmutzung, schätzt die Europäische Umweltagentur.
"Wir haben hier einen bedeutenden Risikofaktor, der zum Beispiel auch bedeutender ist als Alkoholmissbrauch und als Bewegungsmangel", sagt Dietrich Plaß vom Umweltbundesamt. "Wenn man sich eine Rangfolge mal anschaut, und es werden 84 Risikofaktoren betrachtet, so ist Feinstaub auf Rang sechs, wenn man sich die verlorenen Lebensjahre anschaut."
"Wenn man davon ausgeht, dass Covid jetzt 2,4 Millionen Todesfälle hervorgerufen hat, müssen wir praktisch von zwei Pandemien reden. Wir haben die Covid-Pandemie und wir haben die Feinstaub-Pandemie", sagt Thomas Münzel, der Leiter der Kardiologie am Uniklinikum Mainz.

Zu Hause an der größten Kreuzung Europas

"Mein Name ist Rajko Zschiegner. Ich bin eigentlich Informatiker und bin im Jahr 2015 zu dem Projekt gekommen. Meine Motivation damals war, dass wir hier oben am Pragsattel in Stuttgart an der größten Kreuzung Europas wohnen mit ungefähr 150.000 Fahrzeugen pro Tag."
Rajko Zschiegner misst in seinem Vorgarten in Stuttgart selbst, wie viel Feinstaub die Autos in die Luft blasen. Es ist noch kühl im Vorfrühling, er hat eine Jacke an. Nur 200 Meter entfernt stoßen die Heilbronner, die Siemens- und die Pragstraße aufeinander – gleich drei Bundesstraßen kreuzen sich vor der Haustür des Informatikers. "Ich selber bin an einer Bundesstraße aufgewachsen, ich kenne das gar nicht anders", sagt er.
Eine Stadtbahn fährt auf dem Pragsattel neben der B27.
Der Pragsattel in Stuttgart: Gleich drei Bundesstraßen treffen sich hier.© picture alliance / dpa / Marijan Murat
Besonders laut ist es hier nicht mal, 200 Meter machen einiges aus. Vor allem aber dämpft der Schallschutzwall mit Bäumen und Büschen, der uns von der Kreuzung trennt. Vögel übertönen die Autos, die ersten Krokusse sind zu sehen. Ein schönes Wohnviertel, vor allem ältere Mehrfamilienhäuser mit kleinem Garten stehen hier. Kaum Straßenlärm und Benzingeruch liegt auch nicht in der Luft.
Rajko Zschiegner will trotzdem wissen: "Wie schlecht ist die Luft bei uns im Wohngebiet?" Um das herauszubekommen, hat der Informatiker am Fensterbrett seiner Parterrewohnung eine selbst gebaute Messstation angebracht. Sie sieht auf den ersten Blick aus wie ein gebogenes Abflussrohr.

Feinstaub messen – mit ganz einfachen Mitteln

"Nicht schön, aber sehr praktisch, weil unsere gesamte Elektronik da reinpasst", erklärt er. "Insofern ist das für die Leute, die das nachbauen wollen nach unserer Anleitung, relativ einfach, es zusammenzubauen und irgendwo anzubringen. Wir können reingehen, dort kann ich Ihnen das zeigen."
Auf dem dunklen Wohnzimmertisch hat Rajko Zschiegner alles liegen, was er braucht, um die Feinstaubteilchen zu zählen. Teils sind das feste Partikel wie Ruß, zum Teil auch winzigste Tröpfchen, die aus Abgasen und dem Wasserdampf in der Luft entstehen. Also alles, was in ihr herumschwebt. Und das kann der Stuttgarter mit ganz einfachen Mitteln messen.
"Wir haben mal durchgezählt, zehn Teile", erklärt Rajko Zschiegner. "Das ist ein kleiner Chip, der für das Auslesen der Daten zuständig ist und dann die Daten via WLAN an unseren Server überträgt. Dann haben wir den eigentlichen Feinstaubsensor. Der stammt aus Klimaanlagen. Dort wurde der genutzt, um die Filter der Klimaanlagen zu überprüfen, ob die noch filtern oder nicht. Dann ein kleiner Temperatursensor, und das wäre es dann schon. Die Software für den Chip haben wir im Internet bereitgestellt, und damit kann man dann eigentlich loslegen."
Am Sensor ist ein kleiner Ventilator, der dafür sorgt, dass laufend Luft vorbeiströmt. Der Sensor selbst enthält eine Lichtschranke. Sie zählt, wie viele Teilchen vorbeifliegen. Der Rest ist Elektronik. Über das WLAN des Haushalts wird der Wert regelmäßig an einen Computer übertragen und ist dann sofort im Internet zu finden.

Privatinitiative verbessert die Datenlage

Die Webseite sensor.community zeigt auf einer Karte die gesammelten Daten aus vielen Teilen der Welt – auch im Stuttgarter Norden, in der Nähe von Rajko Zschiegners Haus, misst gerade eine Station: "Dort haben wir im Moment gerade elf Mikrogramm. Und für eine Stadt und dafür, dass wir im Moment wahrscheinlich auch heizen, ist es eigentlich gute Luft", sagt er.
Hartmut Herrmann gefällt die Initiative zur Feinstaubmessung von Interessierten wie Rajko Zschiegner. Wenn die Qualität der Messwerte stimmt, ist das eine feine Sache, sagt der Professor am Leibnitz-Institut für Troposphärenforschung in Leipzig.
"Ich bin eigentlich auch so ein alter Elektronikbastler sozusagen", erzählt er. "Man kann sich dadurch sich jetzt wirklich ein Bild von der Feinstaubbelastung in der Fläche machen. Auf der Ebene eines Bundeslandes gibt es heute schon 200 bis 300 Leute, die sozusagen privat messen und in solchen Netzwerken organisiert sind, während ein Bundesland vielleicht so 10 oder 15 Messstellen unterhält. Ich kriege sozusagen ein flächigeres Bild über die Feinstaubbelastung."

Der Feinstaub hat viele Quellen

Feinstaub entsteht auf unterschiedliche Weise: Zum Beispiel immer dann, wenn etwas verbrannt wird - ob im Kamin, im Kraftwerk oder im Automotor. Auch Bremsen und Reifen erzeugen ihn. Es gibt Dünger- und Pestizidstaub aus der Landwirtschaft; und natürliche Quellen: vom Saharasand, den der Wind gelegentlich auch zu uns transportiert, bis hin zum Vulkanausbruch.
Bremsspuren auf einer Strasse
Feinstaub hat viele Quellen: Auch Bremsen und Reifen erzeugen die Partikel. © Rene Traut / imago stock&people
Aber wo genau, zu welcher Zeit besonders viel in der Luft ist, das wird nur an wenigen Stellen offiziell gemessen. "Und so was Räumliches kann man eben sehr gut auf der Landkarte sehen", sagt Hartmut Herrmann. "Das ist viel besser als nur mit dem Messnetz der Bundesländer oder mit den wenigen Messstellen, die das Umweltbundesamt noch hat."
Oder auch wissenschaftliche Einrichtungen wie das Münchner Helmholtz-Zentrum. In seiner Außenstelle an der Hochschule Augsburg kümmert sich Susanne Sues um zwei Container zur Feinstaubmessung. Sie stehen in der Nähe der Bundesstraße 300, dazwischen liegt das Augsburger Straßenbahndepot.
"Das ist ja genauso eine Emissionsquelle wie zum Beispiel, wenn man nahe an einer Straße wohnt oder an den Bahngleisen entlang", erklärt sie. "Und wir wollen ja wirklich komplett den Standort Augsburg erfassen. Dadurch, dass das hier relativ weit ist, man hat ja die offene Fläche noch, ist durch den Luftaustausch eben schon eine repräsentative Aussage möglich."

Die Belastung sichtbar machen

In einem der Container stehen jede Menge Messgeräte. Und hier kann man ihn direkt sehen, den Feinstaub. Die Luft wird durch ein weißes Band aus einem Glasfaserfilter gesaugt, und auf dem bleiben die winzigen Teilchen hängen.
"Hier kann ich auch mal kurz aufmachen. Wenn Sie mal draufschauen: Hier sieht man unterschiedliche Verfärbungen von dem Filter. Und da sieht man eben die Belastung auch ganz gut." Susanne Sues zeigt auf einen deutlich sichtbaren grauen Flick auf dem Filter.
Er vermittelt einen Eindruck, wie viel Feinstaub in einer Stunde eingeatmet wird. Nach dieser Zeit wird das Band weitergedreht, später wird jeder einzelne Fleck mit einem optischen Messverfahren ausgewertet. So können die Forschenden bestimmen, wann die Feinstaubbelastung wie hoch war. (*)
"Wenn Sie hier hingucken: Da sieht man, die Konzentration war nicht so stark, weil das ein bisschen heller ist. Das war wahrscheinlich über die Nachtstunden", erklärt Susanne Sues. Eine andere Messung im zweiten Container bestätigt das.
Hier stellt Susanne Sues die Daten von heute auf einem Bildschirm dar. "Dann sieht man hier schon: In der Früh von 0 Uhr bis 4 Uhr ist es eine schwache Konzentration. Dann haben wir so gegen 6, vielleicht 7 Uhr eine erhöhte Konzentration. 7 Uhr, das ist so ein Peak. Da könnte zum Beispiel ausschlaggebend sein, dass drüben an dem Straßenbahndepot mehr Verkehr ist." (*)

Auch die Tram verursacht Feinstaub

Natürlich macht sich auch die nahe gelegene Bundesstraße bemerkbar. Aber bis 7 Uhr kommen viele Straßenbahnfahrer mit dem Auto zum Depot. Sie rücken mit ihren Zügen aus, außerdem beginnen Wartungsarbeiten. Der Feinstaub, der dabei entsteht, ist bei den Messungen direkt zu sehen, obwohl die Tram eigentlich ein umweltfreundliches Verkehrsmittel ist.
Daten aus Berlin zeigen ebenfalls: Größere Haltestellen sind Feinstaub-Hotspots. Da sind einmal die Fahrzeuge selbst, Straßenbahnen und dieselbetriebene Busse, die anfahren und bremsen. Vor allem aber lassen sich viele Menschen mit dem Auto zur Haltestelle bringen.
Susanne Sues weiß aus eigener Erfahrung, wie dick die Luft dann sein kann: "Ich fahre gerne mit dem Fahrrad, ich habe nicht mal ein Auto. Man merkt das ja schon, wenn man an einer Straße entlangfährt, wie das einen belastet. Ich finde das wirklich interessant, welche gesundheitlichen Auswirkungen das hat. Und ein Teil davon zu sein und da mitwirken zu können, das macht Spaß."

"Wirklich eine Gefahr für unsere Gesundheit"

Forschende am Münchner Helmholtz-Zentrum werten die Augsburger Daten aus. Annette Peters ist dort Professorin und auch an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. An beiden Einrichtungen leitet sie das Institut für Epidemiologie, beschäftigt sich also damit, wie häufig welche Krankheiten in der Bevölkerung auftreten und warum.
Ihre Forschungsergebnisse aus mehreren Jahrzehnten fasst sie kurz und bündig zusammen: "Feinstaub ist wirklich eine Gefahr für unsere Gesundheit. Er wirkt nicht nur auf die Lunge, in die wir ihn einatmen, sondern auch auf den ganzen Körper."
Das hat Annette Peters gemeinsam mit vielen anderen Krankheitsforschern durch Langzeitbeobachtungen herausgefunden. In einer davon werden rund 18.000 Menschen aus Augsburg und Umgebung schon seit 1984 regelmäßig untersucht. Wie ging es ihnen damals, und was fehlt ihnen heute? Wie viele haben zum Beispiel inzwischen Diabetes bekommen oder einen Herzinfarkt?

Den Auswirkungen der Belastung auf der Spur

Diese Daten können die Wissenschaftlerinnen dann mit weiteren kombinieren. Beim Thema Feinstaub interessiert sie vor allem: Wo wohnen die Studienteilnehmer?
"Dann charakterisieren wir zum einen die Belastung mit Feinstaub am Wohnort und korrelierten diese Belastung am Wohnort mit der Gesundheitshistorie unserer Studienteilnehmer", erklärt Annette Peters. "Dabei ist es natürlich wichtig, dass man mögliche Störfaktoren wie zum Beispiel das Alter, das Geschlecht, die soziale Einstufung, aber auch Übergewicht oder schon vorhandene Erkrankungen mit einbezieht."
Und eben auch die laufenden Feinstaubmessungen in Augsburg. Die Schwebeteilchen in der Luft werden dort für die Forschung nach ihrer Größe getrennt erfasst. Fachleute sprechen zum Beispiel von PM 10 oder 2,5. PM, das ist die englische Abkürzung für Feinstaub, und die Zahl steht für Mikrometer, die die Teilchen messen. Zehn Mikrometer, das ist etwa ein Fünftel der Breite eines Haars. Das ist der grobe Anteil des Feinstaubs. Er lagert sich beim Einatmen in den Lungenbläschen ab.
"Dort versucht unser Immunsystem den Feinstaub abzuwehren, und wir haben da Fresszellen, die ihn aufnehmen können", erläutert Annette Peters. "Diese Fresszellen eliminieren dadurch den Feinstaub, aber sie werden auch aktiviert, senden Botenstoffe aus und versuchen den Feinstaub wie ein Bakterium zu bekämpfen. Und dadurch bekämpfen sie nicht nur den Feinstaub, sondern schädigen auch unsere Lunge."

Bronchitis, Lungenentzündung oder Krebs als Folge

Lungenentzündungen sind die Folge, eine chronische Bronchitis mit Atemproblemen oder sogar Lungenkrebs. Um das sicher belegen zu können, reichen die 18.000 Menschen aus Augsburg nicht aus. Aber große Studien auf europäischer Ebene haben den Zusammenhang klar gemacht.
Und sie haben gezeigt: Noch feinere Anteile des Staubs wirken sich im Körper ebenfalls verheerend aus, erklärt Thomas Münzel, Leiter der Kardiologie am Uniklinikum Mainz.
"In Abhängigkeit von der Größe. Wenn wir 10 Mikrometer haben, bleibt er hauptsächlich in der Lunge hängen und macht dort eine Lungenentzündung", sagt er. "Je kleiner er ist, bis zu 0,1 Mikrometer, desto leichter durchdringt er die Lunge, geht in den Blutstrom, wird von den Blutgefäßen aufgenommen, macht dort eine Entzündung, die den Prozess einer Arteriosklerose triggert. Und man weiß aus neueren Untersuchungen auch, dass Plaques zu einem akuten Herzinfarkt führen können."
Plaques, das sind Ablagerungen an den Wänden der Blutgefäße. Die können verstopfen, wenn sich zu viele davon bilden. Im Herbst 2020 hat Thomas Münzel gemeinsam mit Mainzer Max-Planck-Forschern außerdem aufgedeckt: Feinstaub begünstigt tödliche Verläufe von Covid-19.

Höheres Risiko für Covid-19-Patienten

Etwa 15 Prozent der Coronatoten weltweit sollen mit der Luftverschmutzung zusammenhängen. Das zeigt eine Statistik der Mainzer Wissenschaftler, die Daten der Johns Hopkins Universität in den USA ausgewertet haben. Denn der Feinstaub erleichtert dem Virus das Eindringen in die Zellen.
"Das heißt, wenn ich eine Situation habe, wo ich viel Feinstaub habe, dass die Wahrscheinlichkeit, wenn ich mit Covid infiziert wäre, dass er intrazellulär gelangt, doch deutlich erhöht wird", erläutert Thomas Münzel.
"Und dieses Virus gelangt dann in die Zelle, macht dort unglaublich starke Entzündungsreaktionen, die ablaufen und zu einer Herzmuskelentzündung führen können, zu Herzrhythmusstörungen, aber auch akut Herzinfarkte triggern können."
Doch auch ohne das Coronavirus sind die winzigen Schwebeteilchen für unseren Körper gefährlich. Mindestens die Hälfte der Krankheiten durch Feinstaub, betreffen das Herz oder den Kreislauf, sagt der Mainzer Kardiologe. Auch bei Fettzellen führt er zu Entzündungen. Mehr Diabetesfälle sind die Folge, das hat Annette Peters herausgefunden.

Kann Feinstaub Demenz begünstigen?

Zurzeit untersucht sie, was die besonders feinen Staubteilchen auf Dauer im Gehirn anrichten. Denn hier haben Forschende schon länger den Verdacht: Feinstaub könnte Demenz begünstigen. Annette Peters will neue Daten einer bundesweiten Gesundheitsstudie auswerten, bei der MRT-Bilder von den Gehirnen der Probandinnen und Probanden gemacht wurden.
"Weil wir da zum ersten Mal in Deutschland 10.000 und mehr Aufnahmen gemacht haben und da genau feststellen können: Wie wirkt denn der Feinstaub? Wirkt er über diese Entzündungsmechanismen? Oder sind es möglicherweise die ultrafeinen Partikel, die den Riechnerv hochwandern und damit an einer sehr umschriebenen Stelle im Gehirn möglicherweise auftreten können?" Und vielleicht genau dort zu Gedächtnisproblemen führen. Das ist aber noch nicht bewiesen.
Anders ist es bei Herzinfarkten und schweren Lungenkrankheiten. Hier ist der Zusammenhang zum Feinstaub ganz eindeutig belegt. Forschende können sogar bestimmen, wie viele Todesfälle er verursacht.

Geschätzte 1,4 Millionen Todesfälle weltweit

Dietrich Plaß vom Umweltbundesamt ist Spezialist für solche Rechnungen. "Wenn wir uns mal die Ergebnisse anschauen, und ich habe Ihnen hier die aus der 2019er-Aktualisierung mitgebracht: Dass circa 1,4 Millionen Todesfälle weltweit auf Feinstaub in der Außenluft zurückzuführen sind", erklärt er. "Wenn wir das runterbrechen auf die EU-Mitgliedsländer, so sind wir bei circa 184.000. Und wenn wir das noch weiter runterrechnen auf Deutschland, so sind das 27.000 Todesfälle."
Die Feinstaubbelastung als unsichtbare Pandemie. Allein in Deutschland rafft sie Jahr für Jahr ungefähr die Bevölkerung von Garmisch-Partenkirchen dahin. Um das sagen zu können, nehmen die Statistiker Fallzahlen von Krankheiten, die von den Schwebeteilchen mit verursacht werden. Und sie legen über diese Daten Landkarten, die die Messwerte von Feinstaub anzeigen.
Zuletzt versuchen sie, alle störenden Faktoren herauszurechnen, zum Beispiel wie viele Menschen rauchen oder eine Krankheit haben, die mit Feinstaub nichts zu tun hat. Eine gewisse Ungenauigkeit von Todesfällen durch Feinstaub lässt sich dabei nicht vermeiden.
"Immer circa, das ist ganz wichtig. Denn natürlich können wir das nicht auf die Kommazahl genau berechnen. Das sind ja relativ grobe Modelle, die auch ein gewisses Unsicherheitsintervall beinhalten, also die sind jetzt nicht auf den Punkt genau", sagt Dietrich Plaß.
"Wichtig ist immer, was wir fast immer dazu sagen, ganz zentral: Wenn man solche Ergebnisse zur Krankheitslast betrachtet, dann haben die einen Zweck. Der Zweck ist der Vergleich. Sei es über die Zeit, sei es zwischen Ländern, zwischen Geschlechtern. Was wir verhindern wollen: dass solche Zahlen isoliert betrachtet werden."

Ozon und Stickoxide werden auch eingeatmet

Denn es gibt noch ein Problem für die Statistik. Mit der Luft atmen wir nicht nur Feinstaub ein, sondern auch andere Schadstoffe: etwa Stickoxide aus den Autoabgasen oder Ozon, das sich in warmen Sommern bildet. Auch diese Faktoren versuchen die Fachleute, so gut es geht, zu berücksichtigen.
Manche Aussagen klingen spektakulär – etwa, dass uns die winzigen Staubpartikel im Schnitt ein halbes Lebensjahr kosten. Aber viel aussagekräftiger und eindeutiger belegt sind Vergleiche wie diese: In vielen europäischen Ländern sterben weniger Menschen wegen Feinstaub als in Deutschland.
"Wenn man sich die korrigierten, also auf 100.000 Personen heruntergerechneten Raten anschaut, dann liegen wir da im Mittelfeld", sagt Dietrich Plaß.

Skandinavische Länder stehen besser da

Vor allem skandinavische Länder stehen besser da. Möglicherweise weil es dort deutlich mehr Elektroautos gibt. Und auch ein anderer Vergleich zeigt etwas Interessantes: Der, wie sich Todesfälle und Krankheiten, die mit Feinstaub zusammenhängen, im Lauf der Zeit entwickelt haben.
"Da ist es so, dass der Trend tatsächlich dahin geht, dass die Krankheitslast weniger wird. Aber wir sehen, dass wir einen Stagnationseffekt haben. Also in den letzten drei, vier Jahren ist der Rückgang der Krankheitslast nicht mehr so, wie wir ihn vorher beobachtet haben", sagt Dietrich Plaß.
"Wir haben natürlich viele Maßnahmen gehabt, die dazu geführt haben, dass die Belastung mit Feinstaub zurückgegangen ist. Aber wir lassen nicht ab zu sagen, dass hier auch weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Denn wenn Sie sich zum Beispiel die aktuellen EU-Grenzwerte ansehen für Feinstaub, insbesondere für die kleineren Partikel, also PM 2,5: Da sind die WHO-Empfehlungen deutlich niedriger als die EU-Grenzwerte. Also da ist noch viel Potenzial, was man noch machen kann, um die Krankheitslast weiter zu reduzieren."

Kritik an zu hohen EU-Grenzwerten

Auch Annette Peters vom Münchner Helmholtz-Zentrum kritisiert, dass die Feinstaub-Grenzwerte der Europäischen Union aus medizinischer Sicht viel zu hoch sind. Gemeinsam mit anderen führenden Experten hat sie 2019 gefordert, die Grenzwerte wenigstens an die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation anzupassen.
Feinstaubmessstation an der Schwarzwaldstrasse in Freiburg
Messstation für Feinstaub in der Freiburger Innenstadt: Sind die EU-Grenzwerte zu hoch?© picture alliance / dpa / Winfried Rothermel
Die stammt aus dem Jahr 2005, spiegelt also längst nicht mehr den Stand der Erkenntnis wider. Nur: Die Regelung der EU ist noch älter – sie ist seit dem Jahr 2000 nicht mehr geändert worden.
"Das ist aus Sicht vieler Fachgesellschaften wirklich dringend notwendig. Außerdem erwarten wir im Laufe dieses Jahres eine Publikation von überarbeiteten Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, was dann möglicherweise den Handlungsdruck noch mal weiter erhöht", sagt Annette Peters.
Strengere Grenzwerte für Feinstaub: Dieser Forderung hat sich im März 2021 das Europäische Parlament angeschlossen. Die Abgeordneten weisen zudem auf etwas anderes hin: Nicht einmal die bestehenden, deutlich zu hohen Grenzwerte werden eingehalten. Hat es da Sinn, trotzdem eine Verschärfung zu fordern?

Ökonomie vs. Gesundheitsschutz

Hartmut Herrmann vom Leipziger Leibniz-Institut hat reichlich Erfahrung damit, wie Grenzwerte zustande kommen. Acht Jahre lang war er Mitglied der Kommission zur Reinhaltung der Luft. Sie berät die Bundesregierung dazu, gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern - und Industrievertretern. Und die argumentieren so, erklärt er:
"Wenn ich jetzt die Grenzwerte verschiebe zu strengeren Grenzwerten mit besserem Gesundheitsschutz, muss ich mir darüber im Klaren sein, dass das Kosten verursacht. Die wären enorm. Und da wird natürlich gesagt: Können wir uns das sozusagen ökonomisch wirklich leisten? Und ehrlich gesagt, werden am Gesundheitsschutz aus ökonomischen Gesichtspunkten heraus Abstriche gemacht."
Das erinnert an die Corona-Pandemie: Auch da waren Wissenschaftler immer wieder einig, dass strengere Maßnahmen zum Gesundheitsschutz nötig gewesen wären. Aber das ist eben nur ein Aspekt, der bei der politischen Entscheidung wichtig ist.
Vielleicht wäre es aber auch gut, genauer darauf zu schauen, wo besonders gesundheitsschädlicher Feinstaub entsteht. Er ist nämlich nicht immer gleich gefährlich. Das zeigen neue Ergebnisse aus der Schweiz.

Manche Partikel besonders schädlich

Kaspar Rudolf Dällenbach hat am Paul-Scherrer-Institut in Villigen westlich des Bodensees untersucht, welche Feinstäube der Gesundheit besonders zusetzen. "Und da haben wir herausgefunden, dass hauptsächlich der Bremsabrieb aus dem Straßenverkehr wichtig ist, also große Partikel. Und auf der anderen Seite organische Aerosole, die sich in der Luft bilden. Da haben wir herausgefunden, dass vor allem die menschengemachten Aerosole wichtig sind."
Sie stammen zum Beispiel aus Kaminöfen. Wird dort Holz verbrannt, entstehen auch organische Gase. Sie lagern sich später in der Luft mit Wasserdampf zu Aerosolteilchen zusammen.
"Diese Teilchen sind relativ klein, die reisen relativ weit. Das heißt, man müsste auf größeren Skalen Maßnahmen treffen. Und da bieten sich durchaus die Holzfeuerungen in den Häusern der Leute an. Denn das ist ein Großteil der Emissionen, die den Anteil der anthropogenen Aerosole ausmacht", erläutert Kaspar Rudolf Dällenbach.
Wenn im Winter Rauch aus Schornsteinen von Kaminöfen qualmt, ist das also besonders ungesund. Etwa elf Millionen solche Holzöfen gibt es in Deutschland. Anfang 2021 mussten die Älteren stillgelegt oder nachgerüstet werden. Allerdings nur solche, die mindestens 26 Jahre alt waren. Außerdem kritisieren Expertinnen und Experten, etwa vom Umweltbundesamt: Die jetzt noch erlaubte Feinstaubmenge ist bei Kaminöfen immer noch viel zu hoch.
Das sagt auch Hartmut Herrmann: "Und das wäre eine Aufgabe für die Zukunft, dass man die Emissionen von organischen Vorläufern auch so gut wie möglich unterbindet. Wo kann man mit Maßnahmen am besten eingreifen? Immer an der Quelle."

Den Feinstaub an der Quelle einfangen

Gleiches gilt beim Abrieb der Bremsen von Autos und Bahnen. An Straßenkreuzungen und U-Bahnhöfen entsteht besonders viel gesundheitsschädlicher Feinstaub. Technisch ist es möglich, ihn direkt an den Bremsen abzusagen und zu filtern. Aber auch das ist eine Kostenfrage, genau wie Filter für den Quecksilber-Feinstaub aus Kohlekraftwerken. Da geht es weltweit immerhin um 10.000 Tonnen pro Jahr.
"Ich habe es im Januar selber erlebt, wo ich in einer Anhörung des Umweltausschusses war. Es gibt technische Verfahren, wie man die Quecksilber-Emission aus dem Kohlekraftwerk vermindern kann, indem man zum Beispiel bei der Verbrennung Aktivkohle zusetzt, das Quecksilber daran bindet und das gebundene Quecksilber mit der Aktivkohle abfiltriert", sagt Hartmut Herrmann.
"Das ist ein Verfahren, das in den USA eingesetzt wird. Wo es aber jetzt hier in Deutschland hieß, das wäre sehr aufwendig und würde eben sehr große Kosten verursachen für die Laufzeit der Kohlekraftwerke, die wir noch haben."
Den Feinstaub direkt an der Quelle einzufangen: Das ist am effektivsten. Oft gibt es technische Möglichkeiten, aber sie sind schwer durchsetzbar.

Teilchen aus der Umgebungsluft filtern

Einige Kommunen und Unternehmen setzen deshalb auf die zweitbeste Lösung: die winzigen Teilchen aus der Umgebungsluft zu filtern. Das geschieht in einem Gewerbegebiet von Erding, in der Nähe des Münchner Flughafens.
"Das ist sicherlich vom Einzugsgebiet sehr belebt hier, sehr viel Verkehr und viele Privatleute. Was wir auch bei der Einweihung gesehen haben, dass das auch sehr gerne genutzt wird von Besuchern in diesem Shoppingpark als Ruhezone sozusagen.", erzählt Andreas Rickert vom Logistikunternehmen GLS, das in Erding ein großes Paketzentrum betreibt.
Seine Firma hat einen sogenannten City Tree gesponsort, der neben dem Parkplatz eines belebten Einkaufszentrums steht: auf den ersten Blick ein Kubus aus hölzernen Lamellen, drei Meter hoch. Rundherum sind Sitzgelegenheiten angebracht, gerade lässt sich ein älterer Mann mit einigen Plastiktüten in der Hand nieder.
"Wir fanden das grundsätzlich sehr interessant, um auch hier an Erding ein Stück weit was zurückzugeben, was wir durch Lkw-Verkehr und so weiter auch produzieren", sagt Andreas Rickert. Denn hinter der Holzfassade des City Tree verbirgt sich ein Feinstaubfilter: lebende Moosteppiche.

Moose sind sehr aufnahmefähig

Peter Sänger ist Geschäftsführer der Berliner Herstellerfirma Green City Solutions: "Ich habe Gartenbau studiert in Dresden und bin dort etwas intensiver mit den Moosen in Berührung gekommen auf der Suche nach Pflanzen, die sich eben eignen für die Klärung von Stoffen: Das kann Wasser oder die Luft sein. Da bin ich tatsächlich darauf gekommen, weil mein Großvater, der im Bergbau tätig war, mir erzählt hat, dass es Moose schon seit langer Zeit im Stollen gibt, die Schwermetallkonzentrationen detektieren."
Eine Mooswand zur Reinigung der schlechten Luft hat die Stadt Tuebingen in der Innenstadt in der Mühlstrasse installiert.
Eine Wand zur Luftreinigung in Tübingen: Moose können sehr viele Partikel im Vergleich zu ihrer eigenen Masse aufnehmen, erklärt Peter Sänger.© imago images / Ulmer
Und diese Schwermetalle dann aufnehmen. Die Überlegung: Wenn Moos Schwermetalle filtert, dann kann es vielleicht auch Feinstaub aus der Luft entfernen.
"Es gibt auch universitäre Forschung zu den Moosen, schon seit Jahrzehnten in Südkorea, in Deutschland, in Schweden. Und immer wieder wurde bestätigt, dass Moose sehr viele Partikel im Vergleich zu ihrer eigenen Masse aufnehmen können, wenn man das richtig anstellt", erklärt Peter Sänger.
"Das war der erste Anstupsstein, genauer reinzuschauen, selbst zu testen und auszuprobieren, ob sich die Moose wirklich als eine Art technisches Filtermaterial benutzen ließen." Entstanden ist eine Kombination aus Biologie und Hightech.
Das Moos wird im Gewächshaus vorgezüchtet und dann senkrecht im City Tree eingespannt. Ein Ventilator führt die feinstaubbelastete Luft an insgesamt 30 Sensoren vorbei. Sie schicken ihre Daten per WLAN an den Betreiber. Der kann so laufend überwachen, wie es dem Moos gerade geht.
Gemeinsam mit dem Leipziger Institut für Troposphärenforschung haben die Entwickler ausgewertet, wie viel Feinstaub der City Tree zurückhält.

Biologischer Mechanismus mit Wirkung

"Das ist beim Feinstaub immer etwas abhängig von den Größen der Partikel. Aber im Durchschnitt können wir bis zu 82 Prozent filtern", sagt Peter Sänger. "Das ist für einen biologischen Mechanismus einfach eine Menge. Das wurde uns sehr lange nicht zugetraut. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass wir das lückenlos nachweisen können und auch im Feld immer wieder evaluieren."
Gereinigt wird nach Angaben des Herstellers pro Stunde so viel Luft, wie 7000 Menschen einatmen. Es geht hier also keineswegs um Peanuts. Das Moos hält den Feinstaub zunächst fest wie ein Filter. Was dann damit passiert, hängt von seiner chemischen Zusammensetzung ab.
"Etwa 70, teils 80 Prozent davon sind Salzverbindungen. Die sind quasi ein Dünger für die Moose. Salze dienen, wenn sie aufgespalten sind, dem Zellaufbau. Wir sehen dort auch verschiedene Ammoniumverbindungen, also letztlich Stickstoffdünger, der fein und für die Moose gut verwendbar ist", sagt Peter Sänger.
"Es gibt andere Stoffe, vor allem organischer Herkunft. Dort wird vermutet, dass ein biologischer Film auf den Moosen hilft, diese organischen Verbindungen aufzuspalten und dass die dann durch das Moos aufgenommen werden. Und dann gibt es noch Elemente, die wahrscheinlich nicht abgebaut werden."
Vor allem Schwermetalle. Deshalb wird das Moos von Zeit zu Zeit ausgetauscht. In einigen Kommunen hat sich der City Tree bereits bewährt. Für die Helmholtz-Forscherin Annette Peters sind solche Maßnahmen wichtig.

"Umbau unserer Mobilität und Energieversorgung notwendig"

Aber sie allein werden nicht ausreichen, sagt sie: "Es sind in der Tat weitgehende Maßnahmen, ein Umbau unserer Mobilität und Energieversorgung notwendig. Wir brauchen einen Umstieg auf erneuerbare Energien, um sowohl die Klimaziele zu erreichen, als auch unsere Luft deutlich zu verbessern. Aber das Gute aus meiner Sicht ist, dass wir da wirklich Chancen haben, weil es eben Win-win-Situationen sind, wenn wir Maßnahmen ergreifen, die wesentlich zum Erreichen der Klimaziele beitragen."
Auch in Erding tut sich da längst etwas: Jeder zehnte Bewohner wird von einem Geothermie-Kraftwerk mit Wärme versorgt. Die Stadt bezuschusst den Kauf von Lastenrädern, und natürlich kann man im Gewerbegebiet, in dem der City Tree steht, Elektroautos aufladen.
Das ist inzwischen an vielen Orten so. Doch es müssen noch mehr werden, um die unsichtbare Pandemie einzudämmen. Den Feinstaub, der viel zu viele Menschen das Leben kostet. Tausende pro Jahr allein in Deutschland.

Autor: Hellmuth Nordwig
Sprecherin: Julia Brabandt
Regie: Stefanie Lazai
Technik: Hermann Leppich
Redaktion: Martin Mair

(*) Redaktionelle Hinweise:
Wir haben eine inhaltliche Präzisierung vorgenommen.
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