Ein komplexes Vergnügen
Die kanadische Sängerin Feist kommt ganz bescheiden und leise daher und hat es trotzdem geschafft, mit ihrer Musik ein großes Publikum zu erreichen. Nach sechs Jahren Pause kommt nun "Pleasure" in die Läden.
"Es ist immer ein bisschen irreführend, wenn man nur auf den Kalender schaut. Klar, "Metals" kam 2011 raus und jetzt haben wir 2017. Aber ich war alleine zweieinhalb Jahre auf Tour und danach brauchte ich erstmal eine Pause, um mich zu erholen - so wie Professoren an der Uni, die mal ein Sabbatjahr einlegen. Für mich hat sich die Zeit gar nicht so lang angefühlt, weil einfach eine Menge passiert ist in diesen sechs Jahren. Alben sind für mich immer nur ein Ausdruck des Lebens, das ich gerade führe. Deswegen musste ich mir diese Zeit nehmen."
Von wegen Vergnügen
"Pleasure" – Vergnügen, so heißt das neue Album von Feist. Das klingt, als habe sie eine Menge Spaß gehabt beim Schreiben der Texte und bei den Aufnahmen zu ihrem mittlerweile sechsten Solo-Album. Doch dieser Eindruck täuscht. Im Gegenteil: Die vergangenen drei Jahre seien die "beschissensten" ihres Lebens gewesen, erzählt Feist freimütig beim Interview in einem Berliner Hotel. Eine schmerzhafte Trennung habe sie völlig aus der Bahn geworfen, sie habe viel Zeit gebraucht, um zurück zu sich zu selbst zu finden und ihre Gedanken zu ordnen.
"Auf jeden Fall ist Songschreiben für mich das beste Mittel, das ich habe, um über Dinge nachzudenken, die sich ansonsten nur sehr schwer greifen lassen. Ich weiß nicht, was ich sonst tun würde. Klar, du kannst philosophische Bücher lesen oder du kannst dich mit anderen Menschen unterhalten, das hilft auch. Aber als Songwriter habe ich nun mal den Weg gewählt, das mit mir selbst auszumachen: Einen Song zu schreiben heißt, mir selbst die Welt zu erklären. Das ist wie wenn man einen dieser Zauberwürfel dreht, bis er auf allen Seite die gleiche Farbe anzeigt."
"I wish I didn’t miss you" heißt dieses Stück: Ein Lied fast wie ein Hilfeschrei, das Feists innere Zerrissenheit während der Aufnahmen widerspiegelt. "I was raw and so were the takes" – Ich fühlte mich verwundet und so klingen auch die Aufnahmen – hat sie getwittert, kurz nach dem der letzte Song im Kasten war.
Doch Feist hat mehr zu bieten als Schmerz und Katharsis. Musikalisch ist "Pleasure" ihre bislang abwechslungsreichste Platte: Das Klangspektrum reicht von zarten Folkballaden bis hin zu lärmenden Gitarren-Breitseiten, die wie eine Reminiszenz klingen an ihre musikalische Vergangenheit in Rockbands wie Placebo oder Broken Social Scene. Da ist sie auf einmal wieder der Ex-Punk. Feist hat in den letzten Jahren viel Zeit in den USA verbracht – und was sie dort erlebt hat, vor und nach der Wahl von Donald Trump, hat sie wütend gemacht.
Ärger über Trump
"Was da in den USA gerade passiert, ist sehr real, sehr greifbar. Es ist nicht mehr irgendetwas, was man nur in den Fernseh-Nachrichten sieht, Ich habe längere Zeit in einem mexikanisch geprägten Viertel im Osten von Los Angeles gewohnt und dort konnte ich es unmittelbar spüren – die Auswirkungen von Dummheit, Grausamkeit und Engstirnigkeit – was sie für das tägliche Leben dieser Menschen bedeuten. Ich weiß, man sollte eigentlich etwas dagegen tun, aber im Moment beobachte ich es einfach nur, so wie die meisten anderen Menschen auch."
Auch beim Womens' March war Feist mit dabei, jenem landesweiten Protest-Marsch, an dem kurz nach der Inauguration des neuen Präsidenten an die vier Millionen Menschen auf die Straße gingen, in allen Großstädten der USA. Sie habe noch nie zuvor an einem Ereignis teilgenommen, das so positiv war und so gewaltig, sagt sie. Trotzdem, sich mit der Gitarre vor die Marschierer zu stellen und zu singen, das sei nicht ihr Ding.
"Die Ikonen einer solchen Veranstaltung sind für mich die Aktivisten, Menschen, die sich schon ihr ganzes Leben mit Politik beschäftigen. Ich habe einen ganz anderen Hintergrund. Wenn ich ein Album mache, mache ich es allein – und ich stelle mir vor, dass es auch von Menschen gehört wird, die alleine sind, auch wenn ich natürlich bei meinen Konzerten vor vielen Leuten auftrete. Trotzdem: Bevor ich mich bei einer Veranstaltung wie dem Womens' March vorne hinstellen würde, da müsste ich noch eine Menge lernen. Da fehlt mir einfach das politische Wissen, dass die Leute haben, die sich damit schon seit 30 oder 40 Jahren beschäftigen."
Eine Protestsängerin wie Joan Baez wird aus Leslie Feist wohl nicht mehr werden. Dazu fehlt ihr die Selbstsicherheit und das Sendungsbewusstsein. Die Kanadierin ist und bleibt ein sehr privater Mensch, eine Individualistin, die ihren Fans nur über Umwege Einblicke in ihre Gedankenwelt ermöglicht. Das macht "Pleasure" zu einem nicht ganz einfachen Hörerlebnis, bei dem man die Musik und die Texte mehrfach auf sich wirken lassen muss, bevor man sie wirklich versteht. Ein Vergnügen ja, aber ein komplexes.