Wie Wissenschaftler den Jagdzauber erforschen
Im Berliner Martin-Gropius-Bau sind sie zurzeit als originalgetreue Kopien zu bewundern - in der Ausstellung "Kunst der Vorzeit". Um über die Interpretation dieser Felsbilder zu diskutieren, trafen sich dort nun internationale Forscher.
Horst Bredekamp ist Kunsthistoriker – und deshalb waren ihm prähistorische Felsbilder als Student nicht sonderlich vertraut:
"Wir sehen Pfeile in den Bisons, das ist also Jagdzauber. Das hat mit Kunstgeschichte nichts zu tun, das müssen die Ethnologen machen. Und das war dann ein fataler Sündenfall meines Faches."
Aber diese Scharte konnte, musste ausgewetzt werden. Denn als Kunst kehren die jahrtausendealten Bilder und Artefakte zurück, jetzt zu sehen in der Ausstellung "Kunst der Vorzeit" im Martin-Gropius-Bau in Berlin und auch vor zwei Jahren in der Londoner Schau "Art of the Ice Age": Präsentiert wie kostbare Juwelen, von einer renommierten Archäologin.
Horst Bredekamp: "All ihre methodischen Bedenken schmeißt sie über Bord, sodass sie diese fantastischen Skulpturen aus der Schwäbischen Alb mit Naum Gabo, mit Modigliano, mit Giacometti, mit Zeichnungen von Matisse und so weiter korrespondieren lässt. Als seien sie eine Einheit. Ich frage nicht danach, ob das methodisch sauber ist – es ist absolut unsauber! – sondern warum das gemacht wird. Und woher der durchaus nachvollziehbare Eros kommt, so zu argumentieren."
Argumenten allerdings folgen Archäologen weniger als schlichten Sachzwängen. Das betonte in der öffentlichen Diskussion über "Felsbildforschung" der englische Experte Paul Bahn: In Frankreich zum Beispiel müssen seine Kollegen für genügend Besucher sorgen, denn nur durch Tourismus-Einnahmen lässt sich der Bestand eines Kulturerbes wie Lascaux oder der Betrieb aufwendiger Kopien finanzieren.
Ganze Höhlen als Kopie
Ja, auch Höhlen werden heutzutage in Kopie gezeigt, ebenso wie jene Felsbilder aus Afrika und Australien, die Leo Frobenius von begeisterten Künstlerinnen abmalen oder zeichnen ließ. Mit unvorhergesehenen Folgen. Horst Bredekamp:
"Wie 1939 in New York die Ausstellung von Frobenius gezeigt wird, war das sicher ein utopisches Programm einer allgemeinen Weltsprache der Kunst, die sich über die klassische Moderne wie auch über die prähistorische Kunst auszubilden vermochte."
Zu einer Zeit, als Stücke der Frobenius-Sammlung in Nazideutschland als "primitiv" vernichtet oder verkauft wurden, wurden die Felsbilder in den USA im umgekehrten Sinne politisch instrumentalisiert: Als humanistische, weltumspannende Bildersprache, "40.000 Jahre moderne Kunst" hieß es dann 1946 in London. Und jetzt: mit der Moderne zurück in die Eiszeit.
Horst Bredekamp: "Werke der klassischen Moderne und Werke von der Schwäbischen Alb in derselben Beleuchtung, mit demselben Anspruch: Museen haben diese große Erzählung hervorgebracht – und damit ein großes Problem geschaffen. Wenn man sich dieses Szenario genau durchdenkt, dann ist die Antike und deren Nachfolgeschaft ein Sonderfall einer Kunst die 80.000 Jahre lang immer modern war."
Die Bilder-Datierung bereitet Schwierigkeiten
Das sind Zeiträume, in denen Kunsthistoriker nicht denken. Allenfalls Archäologen. Die wiederum nehmen Felsbildforscher nicht recht ernst, weil sie ihre Funde nicht datieren können. Also bleiben die beeindruckenden Malereien und Steinritzungen nur "schöne Bilder", werden nicht als historische Zeugnisse oder Spuren gewertet. Eine entsprechende Technologie lässt auf sich warten – und die grobe Datierung, wie Frobenius sie mittels Stilanalyse vornahm, ist verpönt als "westlicher Blick".
Einen Ausweg wussten allerdings in den 30ern die Surrealisten mit ihrer Zeitschrift "documents". Der Kulturwissenschaftler Franck Hofmann:
"Während Frobenius eine Klassifizierung in einen Bewegungs- und einen Ruhestil vorschlägt, also in Ordnungsvorstellungen der europäischen Kunstgeschichte, werden die Fotografien in den ästhetischen Diskurs der 'documents' eingespeist – als Anlass einer literarischen Fantasie."
Statt auf Fantasie zu setzen, vertrauen Archäologen lieber ihren Robotkameras: Die dokumentieren in höchster Auflösung und mit riesigen Datenmengen Felsbilder tausendfach. So lassen sich Kontexte darstellen, wo Frobenius nur isolierte Motive abmalen ließ. In einer langen Schlucht ist zu erkennen, dass nur in der vorderen Hälfte Frauendarstellungen vorkommen. Womöglich ein wichtiges Detail – aber warum überhaupt Höhlen?
Museen als Nachfolger der Höhlen
Dazu zitiert Cord Riechelmann Grundlegendes – vom Psychoanalytiker Jacques Lacan:
"Man wundere sich, meint er, dass Höhlen gewählt wurden. Eine solche Lage ist nicht nur hinderlich für die Sicht, die doch erforderlich ist für die Schöpfung als auch für die Betrachtung der ergreifenden Bilder. Bilder herzustellen und sie zu betrachten sollte also nicht allzu leicht vonstattengehen. Ich glaube, das ist wichtig."
Wichtig, um die Einzigartigkeit, die Seltenheit, zu betonen. Um die Magie – vielleicht – zu erklären. Und um eine Unterscheidung zu treffen, die in Museen, die ja irgendwie Nachfolger der Höhlen sind, kaum, zu kurz kommen.
Cord Riechelmann: "Die Unterscheidung von Fundstücken und Trophäen, die ganz aktuell auch auf die Ausstellungspraxis der großen Naturkundemuseen der Welt verweisen, wo die Unterscheidung, ob sie ihre Fundstücke oder Einkäufe als Gegenstände der Bildung oder bloß als Trophäen zur Steigerung der Besucherzahlen wahrnehmen immer schwerer fällt."