Felwine Sarr, Bénédicte Savoy: "Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter"
Aus dem Französischen von Daniel Fastner
Matthes & Seitz, Berlin 2019
224 Seiten, 18 Euro
Für eine neue Beziehungsethik zwischen Nord und Süd
05:26 Minuten
In "Zurückgeben" plädieren Felwine Sarr und Bénédicte Savoy erneut für eine umfassende Rückgabe afrikanischen Kulturguts an die ehemaligen Kolonien. Darin ordnen sie die kolonialen Raubzüge auch für ein breites Publikum historisch ein.
"Das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein." Für sein unerwartetes Bekenntnis vor Studierenden der Universität Ougadougou im November 2017 erntete Emmanuel Macron heftige Kritik. Erst recht, als er in Burkina Faso ankündigte, das afrikanische Kulturerbe in fünf Jahren zu restituieren.
In ihrem Buch "Zurückgeben" sekundieren Bénédicte Savoy und Felwine Sarr dem französischen Staatspräsidenten. Darin plädieren die Kunsthistorikerin, die an der Technischen Universität Berlin und dem Pariser Collège de France lehrt, und der senegalesische Wirtschaftswissenschaftler und Schriftsteller unmissverständlich dafür, die "beispiellose Aneigung" rückgängig zu machen.
Der Bericht der beiden Wissenschaftler ist keine ergebnisoffene wissenschaftliche Untersuchung, sondern ein amtliches Dokument. Von Macron selbst in Auftrag gegeben, soll der nach 150 Gesprächen in fünf Monaten 2018 entstandene Bericht – das Buch ist die Kurzfassung – seine politische Absicht auch wissenschaftlich legitimieren.
Durch den Raub wurden Nationen traumatisiert
Obwohl also Auftragsarbeit, überzeugen die Argumente der Autoren. Sie sind weder revolutionär, noch ventilieren sie bloß postkoloniale Allgemeinplätze. Die Logik des von ihnen kompromisslos propagierten "Rechts auf das gesamte Kulturerbe" folgt internationalen Manifesten seit den 60er-Jahren.
Die Autoren argumentieren normativ. So charakterisieren sie die fraglichen Objekte als "Mittler und Träger von Identität" von Nationen, die durch deren Raub traumatisiert wurden. Mit diesem essentialistischen Zungenschlag laufen sie Gefahr, diese zu heute noch hilflosen Opfern zu stilisieren. Freilich: Nur weil zu dem Zeitpunkt, als bestimmte Werke entstanden, die "Nation" noch nicht existierte, die heute deren Rückgabe fordert, ist dieses Recht nicht hinfällig.
Der Wert der Buchfassung liegt darin, dass er die kolonialen Raubzüge auch für ein breites Publikum historisch einordnet, die Termini der Restitutionsdebatte unterscheidet und zusammenfasst. Sarr und Savoy geben überdies auch praktische Hinweise. Etwa wie das in Frankreich geltende Prinzip der "Unveräußerlichkeit" öffentlicher Sammlungen legal außer Kraft gesetzt werden kann. Zudem entwickeln sie Kriterien und einen Zeitplan für die Restitution.
90.000 Objekte allein in französischen Museen
Sarr und Savoy öffnen mit ihrem Report eine über die Restitutionsdebatte hinausreichende Dimension, wenn sie sehr zu Recht argumentieren, dass die "Geste der Restitution" die Chance birgt, eine "nouvelle éthique relationelle", eine "neue Beziehungsethik" zwischen den Staaten des globalen Nordens und denen des Südens einzuleiten. Leider unterschlägt die deutsche Fassung diesen Untertitel des Reports.
Das Schicksal von Expertenberichten, folgenlos im Archiv zu verschwinden, teilt dieser Bericht nicht: Gleich nach seiner Übergabe im vergangenen Jahr ordnete Präsident Macron die Rückgabe von 26 Werken an Benin an, die der französische Oberst Amédée Dodds nach der Zerstörung des Königreichs Dahomey 1892 geraubt hatte.
Angesichts von 90.000 Objekten allein in französischen Museen, ist freilich klar, dass die "Kulturrevolution", die Beobachter nach Macrons Rede und der Veröffentlichung des Berichts dämmern sahen, nicht nur in Frankreich noch ganz an ihrem Anfang steht.