Barbara Pym: "Vortreffliche Frauen"
Aus dem Englischen von Sabine Roth
Dumont Verlag, Köln 2019
350 Seiten, 20 Euro
Frauen als Spielball des Patriarchats
09:21 Minuten
Manche Verlage spezialisieren sich darauf, vergriffene und vergessene Literatur neu aufzulegen. Dabei gibt es einiges zu entdecken. Jetzt sind fünf wegweisende englischsprachige Romane von Frauen auf Deutsch erschienen.
Jeder Verlag hat eine Backlist: Bücher, die vor Jahren erschienen, und deren Restauflagen weiterhin lieferbar sind. Titel, die auch aus der Backlist verschwinden, werden zu "vergessenen" Büchern: nur antiquarisch erhältlich. In Großbritannien und den USA entstehen zunehmend eigene Verlage, Imprints und E-Book-Editionen, die solche Titel zurück auf den Markt holen wollen.
"Persephone Press" bringt britische Klassiker, meist von Autorinnen, zurück in den Buchhandel. Und rettet "NYRB Books", der Verlag des Magazins New York Reviews of Books, Bücher vor dem Vergessen, werden dieselben Titel drei, vier Jahre nach der US-Wiederveröffentlichung oft auch auf dem deutschen Markt neu übersetzt und entdeckt - besonders seit dem Erfolg von John Williams "Stoner": veröffentlicht im 1965, NYRB-Ausgabe 2006, in Deutschland 2013 ein Bestseller.
Spannend an solchen Wiederveröffentlichungen und Neu-Übersetzungen ist, wie politisch und wie gegenwärtig viele Titel, die in Deutschland vor Jahrzehnten als "Nischenliteratur", "altmodisch" oder "Frauenbuch" vermarktet und verstanden wurden, heute neu begriffen und gelesen werden. Auch TV-Serien wie "Mad Men" trainierten das Publikum, "Geschichten von früher", Retro-Erzählwelten, viel machtkritischer, skeptischer zu lesen. Der Feminismus, die Widerständigkeit und der scharfe, oft bis heute lehrreiche, erschütternde, gesellschaftskritische Ton vieler "vergessener" Romane wird heute oft schneller gehört, verstanden, honoriert.
Fünf aktuelle Titel von Autorinnen, die feministisch und machtkritisch erzählten – neu entdeckt in den Jahren 2019 und 2020.
Barbara Pym: "Vortreffliche Frauen"
1952. Neu auf Deutsch im Juni 2019: Mildred – jung – half ihrem religiösen Vater. Mildred – nicht länger jung – hilft dem Vikar nebenan. Mildred ist eine gute Seele, unsicher, ob sie doch noch heiraten wird, und als sie einen Verehrer trifft, der neben Liebe auch intellektuelle Zuarbeit sucht, wird schnell immer unklarer: Wird sie von Männern geschätzt, als umsichtige, kritische, geistreiche Partnerin? Oder brauchen alle nur eine Privatsekretärin, eine gute Seele, ein Mädchen für alles?
Barbara Pyms Romane gelten als leichtfüßige, beschwingte Gesellschaftssatiren – doch "Vortreffliche Frauen" macht sehr schnell immer skeptischer und wütender: Pym zeigt, wie Kirchen, Oberschicht, Gesellschaft die (unbezahlten) Leistungen oft unverheirateter Frauen fordern, gnadenlos ausnutzen ... und die selben Frauen als "alte Jungfer" entwerten, zum Verstummen bringen wollen. Ein zeitloser, dringlicher Roman, der fragt: "Wem schenkst du deine Arbeitskraft? Wen entschuldigst du? Welches Unrecht, welche Unterdrückungen hilfst du, zu stemmen?"
Ann Petry: "Die Straße"
1946. Neu auf Deutsch Ende Januar 2020: Romane über Slums, Armut und strukturelle Gewalt gegen Frauen zeigen oft, dass es nur einen kleinen, taktischen Fehler braucht oder einen Moment der Unbedachtheit, damit marginalisierte Menschen unter die Räder geraten. Lutie Johnson, alleinerziehende Mutter eines achtjährigen Sohns im Harlem zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, weiß um solche Fehler, Unbedachtheiten – und erlaubt sich keine einzige: Eine vorsichtige, klug disziplinierte Heldin, die alle Fallen und Versuchungen umgeht.
Dass der packende, wütende, klug analytische Roman Luties Leben trotzdem immer bedrückender und auswegloser eskalieren lässt, und Lutie nie von "Pech" oder "Zufall" spricht, sondern den strukturellen Rassismus, Klassismus und die Frauenfeindlichkeit in unvergesslicher Klarheit, Wucht kommentiert, macht "Die Straße" zu einer Pflichtlektüre: schwarze Figuren, die um Würde, Selbstbestimmung, Respekt kämpfen. Schon 1948 ins Deutsche übersetzt – doch heute so nötig, relevant wie damals.
Ann Petry: "Die Straße"
Aus dem Englischen von Uda Strätling
Nagel & Kimche, Zürich 2020
450 Seiten, 24 Euro
Jean Stafford: "Die Berglöwin"
1947. Neu auf Deutsch Ende Januar 2020: Alles könnte so schön sein – wäre Molly, jüngstes Kind einer reichen Witwe, angepasster, femininer, großäugig-sanft-empfindsam: Mit ihrem Bruder Ralph lebt sie auf einer Walnussfarm in Kalifornien, und in den Sommern reisen die Kinder zur Rinderfarm nach Colorado, auf der die Mutter erwachsen wurde. Molly – erst acht, am Ende des Romans 14 – schreibt schrullige Gedichte, hasst Heucheleien, erinnert an Holden aus "Der Fänger im Roggen" oder an das Goth-Mädchen Wednesday aus der "Addams Family" und wird Bruder und Erwachsenen bedrückend schnell viel zu viel.
Stafford schwelgt in Natur- und Einrichtungs-Beschreibungen, spannt wunderbare, stimmungsvolle Panoramen. Und zeigt, wie eine junge Frau, die minimal heraussticht, sofort als Misston, Störung, Fehler begriffen wird. Ein Roman in gediegener, imposant präziser Sprache – der überragend schnell bedrückend, traurig, wütend macht.
Jean Stafford: "Die Berglöwin"
Aus dem Englischen von Adelheid Dormagen, Jürgen Dormagen
Dörlemann, Zürich 2020
352 Seiten, 25 Euro
Anna Kavan: "Eis"
1967. Neu auf Deutsch im April 2020: Würde der namenlose Ich-Erzähler sagen, er wolle alles tun, um das Mädchen, 21, "zu beschützen" oder "zu retten", Anna Kavans "Eis" wäre ein Endzeit-Wintermärchen über Gletscher, Stürme, Katastrophen – und Leidenschaft, Willen, Nicht-Aufgeben-Wollen eines gerissenen Gentleman, der Kontinente, Meere, Krisengebiete überquert, um im globalen Frost-Chaos seiner großen Liebe zu folgen. Statt "retten" und "beschützen" aber nutzt der Ich-Erzähler "jagen", "zerbrechen", "wegwerfen".
Damit wird eine Geschichte, die wir tausendmal als Love Story hörten, zum Kommentar über sexuelle Gewalt, Verfügbarkeit und Männer, die kein "Nein" gelten lassen. Feministin Anita Sarkeesian sagt: "Im patriarchalen Spiel sind Frauen nicht das gegnerische Team: Frauen sind der Ball." Kavans eisiger, kafkaesker, beklemmender Trip zeigt eine machtlose Frau – und die Gewalt-, Besitz- und Entwertungsfantasien eines Manns, der sie pflücken, ernten, erlegen will wie eine Figur in einer Videospiel-Queste.
Anna Kavan: "Eis"
Aus dem Englischen von Werner Schmitz, Silvia Morewetz
Diaphanes, Berlin 2020
184 Seiten, 16 Euro
Rose Macaulay: "Ein unerhörtes Alter"
1921. Neu auf Deutsch im Juni 2020: Ein gediegener, spöttischer, fast lapidarer Gesellschaftsroman über die britische Oberschicht vor 100 Jahren – dessen deutscher Titel trügt. Statt einem "unerhörten" Alter geht es (Plural!) um viele "Dangerous Ages": Mutter und Ehefrau Neville, Ende 30, gab das Medizinstudium für die Familie auf. Jetzt, wo die Kinder aufs College gehen, fehlt ihr die Konzentration, doch noch Ärztin zu werden. Ihre Schwester Nan, 33, ist fast verlobt – doch wird von ihrer Nichte, 21, ausgestochen. Doch sind Tante und Nichte am Ende beide zu progressiv, unangepasst, anstrengend, als potenzielle Frauen?
Eine Urgroßmutter, 84, kommentiert alle Handlungsstränge, und ihre Tochter, 63 und verwitwet, fragt sich in der Psychoanalyse, ob sie ihr Leben mit Care-Arbeit, Tratsch und Oberflächlichkeiten vergeudete. Ein leichtfüßiger, frappant aktueller Gesellschaftsroman: rasant, geistreich - gegen Ende aber doch eine arg lose Sammlung süffisanter Anekdoten.
Rose Macaulay: "Ein unerhörtes Alter"
Aus dem Englischen von Irma Wehrli
Dumont Verlag, Köln 2020
250 Seiten, 20 Euro