Mitwirkende
Redaktion: Carsten Burtke
Regie: Roman Neumann
Technik: Ingeborg Görgner
Sprecherin: die Autorin
Wenn Männer für Frauenrechte kämpfen
30:06 Minuten
Feminismus ist längst nicht mehr nur Frauensache. Auch Männer treten für die Gleichstellung von Frauen ein. Was können sie bewirken? Und was sagen Feministinnen dazu, wenn Männer sich stark machen für die Rechte von Frauen?
Männer und Feminismus – das war und ist für viele noch immer ein Gegensatzpaar. Aber offenbar nicht mehr ganz so ausschließlich wie früher, denn inzwischen gibt es auch männliche Unterstützer. Doch was heißt das, wenn ein Mann so etwas erklärt? Wie kommt es dazu und wie sieht es konkret aus, wenn Männer für Feminismus eintreten?
Vincent Herr und Martin Speer sind zwei solche Männer. Die beiden stehen in Berlin-Kreuzberg in einer Halle, in der gerade eine Konferenz von "UN Women" stattfindet – wegen Corona mit großen Abständen und größtenteils digital. Herr und Speer sind seit 2018 Botschafter einer Kampagne der UN-Frauenorganisation. "HeForShe" heißt diese Kampagne, also "Er für sie". Ziel sei es, sagt Vincent Herr, dass sich Männer für Frauenrechte einsetzen und die auch mal anderen Männern erklären:
"Ich will nicht verallgemeinern, aber ich denke, dass die meisten Männer wenig bis gar keine Erfahrung mit erlebtem täglichem Sexismus haben und ihnen Fragen rund um Diskriminierung und wie sich das anfühlt, sehr fremd sind und sie das oft gar nicht verstehen. Es geht um ein Leben auf Augenhöhe, es geht um Respekt – und ich glaube, dass wir dahin kommen, indem wir als Männer mit Männern darüber sprechen."
Männliche Feministen - das ist immer noch erklärungsbedürftig
Vincent Herr und Martin Speer sind Anfang 30. Das Thema Geschlechtergerechtigkeit beschäftigt die beiden schon länger, als Autorenduo schreiben sie Artikel darüber. Und sie verstehen sich als Feministen.
"Es ist immer erklärungsbedürftig. Was ja eigentlich total skurril ist", sagt Martin Speer. "Denn wenn Feminismus die radikale Einsicht ist, dass Männer und Frauen beides Menschen sind und gleichberechtigt sein sollten – dann sollte es gar nicht erst erklärungsbedürftig sein, dass man sich für eine gleichberechtigte Gesellschaft einsetzt"...
Eine Einsicht, die es allerdings auch bei ihm nicht von Anfang an gab. In seiner Familie wurde nie über das Thema gesprochen, auch nicht im Freundeskreis.
"Wenn man als Mann in seinen Jugendjahren auch mit seinem Bild von Männlichkeit ringt, sich selber als Mann sucht, dann läuft ein Teil dieser Erfahrung auch darüber, sich gegenüber Frauen abzugrenzen und Männlichkeit so zu definieren, dass es über eine Abwertung anderer läuft. Als junger Mann war ich mir eigentlich nicht bewusst, dass ich Teil des Problems bin."
Den eigenen Sexismus lange nicht erkannt
Erst als sein Kollege Vincent ihm in vielen Gesprächen erklärt, wie viel hier eigentlich schiefläuft, macht es bei ihm langsam Klick.
"Das war auch der Anfang von Gesprächen, die ich mit Frauen in meinem Umfeld geführt habe, mit meiner Schwester, mit meiner Mutter, mit Freundinnen, was ihre Erfahrungen mit Sexismus sind, wie ihre Lebensrealität ist. Und dann ging bei mir eine große Tür auf, wo ich gemerkt habe, dass meine Lebensrealität eine sehr andere ist als die von den Frauen in meinem Umfeld – und dass ich selbst, obwohl ich das gar nicht wusste, jahrelang Sexist war."
Bei Vincent Herr war es anders. Seine Eltern haben viel mit ihm über die Diskriminierung von Frauen gesprochen, sein Vater verstand sich selbst als Feminist.
"Wenn wir im Fernsehen Debatten geschaut haben und auf dem Panel sitzen nur Männer, hat er das angesprochen. Meinte, es sei doch komisch, dass da nur Männer sitzen. Ich glaube, in dem Sinne habe ich das von meinen beiden Eltern sehr früh gelernt, dass das ein Thema ist und dass Frauen teilweise nicht die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben und ihnen große Steine oder Blöcke in den Weg gelegt werden."
Für diese Wahrnehmung wollen beide nun auch andere Männer sensibilisieren. Sie ermutigen Frauen aus dem eigenen Umfeld, vielleicht mal zu fragen, was die schon alles erlebt haben in Sachen Sexismus.
"Diese Auseinandersetzung mit Sexismus fehlt in unserer Erfahrungswelt, weil es uns nicht betrifft, wir werden ganz selten diskriminiert. Und von daher ist dieser persönliche Zugang, über Frauen aus dem eigenen Umfeld zu merken, Sexismus ist etwas, das nicht ganz weit weg passiert, sondern auch in meinem direkten Umfeld, ein sehr wichtiger Punkt. Weil man merkt, da ist eine Struktur dahinter, das ist System dahinter. Und das können wir eben nur durchbrechen, indem wir auch als Männer darüber sprechen."
Auch Feministen müssen dabei jedoch mit einem Verhalten rechnen, das Frauen nur allzu gut kennen – nämlich, dass viele Männer weghören, wenn es um Diskriminierung oder Sexismus geht, oder denken, das sei alles gar kein "echtes" Problem.
Männlichkeitsbilder werden nicht hinterfragt
Der Grund hat mit einer starken Verinnerlichung von Männlichkeitsmustern zu tun, erklärt der Sozialwissenschaftler Andreas Heilmann. Die eigene Haltung wird dabei als die gesellschaftlich "normale" betrachtet und daher nicht in Zweifel gezogen:
"Männer reden in der Regel nicht darüber, dass das, was sie tun, männlich ist, sondern es wird als allgemein menschlich begriffen und auch so gesetzt. Das macht es natürlich schwer, das als möglicherweise problematisch zu thematisieren, zu verhandeln und neue Formen des Umgangs miteinander zu finden – neue Formen des Menschseins, des Mannseins einzuüben."
Andreas Heilmann forscht zur Soziologie der Geschlechterverhältnisse. Er hat auch untersucht, wie sich Männlichkeit in modernen Wachstumsgesellschaften ausdrückt. Da gibt es inzwischen eine ziemliche Vielfalt, sagt er. Doch ein Verhalten bleibt meistens konstant: das Ringen um Geltung und der Aufbau von Hierarchien.
"Das sind sehr stark emotional verankerte Muster. Das Verlassen solcher Muster bedeutet nicht nur ein Verstehen, dass sich da auf einer normativen Ebene was ändern muss, sondern auch das Loslassen von diesen emotional stark verankerten Mustern – es ist eine Identitätsebene, natürlich."
Und das erschwert auch den Dialog darüber, was am Verhalten von Männern problematisch sein könnte.
"Davor müsste das Reflexivwerden von Männlichkeit stehen, also sich einfach bewusst zu werden, dass das eigene Verhalten, die eigene Positionierung im Geschlechterverhältnis eine männliche ist, eine geschlechtlich konnotierte ist – und dass diese Position auch mit Privilegien einhergeht."
In der Arbeitswelt geht es ebenfalls langsam mit dieser Bewusstwerdung. Auch bei Robert Franken hat es eine Weile gedauert, bis ihm klar wurde, dass die Strukturen oft ziemlich ungerecht sind. Jahrelang hat er in der Start-up-Szene gearbeitet, machte Karriere, wurde Chef von zwei großen Online-Plattformen:
"Das war super bequem, das ist ja das Problem. Man merkt ganz lang nicht, als Mann, der so ein Set-up hat wie ich, dass dieses Set-up auch Konsequenzen hat für andere, die nicht so sind wie man selber. Das ist halt die Falle, dass du eine ganz lange Zeit denkst, es läuft ja wie geschmiert, ich weiß gar nicht, was ihr alle habt."
Männliche Monokulturen aufbrechen
In das Gefühl, dass alles ganz prima läuft, mischten sich allerdings bald auch schon Zweifel:
"Ich habe gemerkt, dass es gerade in der Start-up-Welt, in die ich damals nach dem Studium eingestiegen bin, bestimmte Konstruktionen von Unternehmertum gibt, die sehr männlich geprägt waren. Bestimmte Vorstellungen, wie ein solches Unternehmen zu laufen hat, welche Wachstumsfantasien es zu transportieren hat. Und daraus entstanden natürlich bestimmte Alphamänner-Kulturen, in denen ich mich nicht besonders wohlgefühlt habe. Ich habe aber schon gedacht, dass das dann auch an mir liegt und ich gewisse Anpassungsleistungen zu tätigen habe. "
Robert Franken hat seinen Berufsweg schließlich verändert hat und arbeitet jetzt als Berater. Der digitale Wandel ist eines seiner Themen, aber auch: wie in Unternehmen mehr Geschlechtervielfalt entsteht. Viele der männlichen Kunden, die er berät, muss er dann erstmal von einer falschen Vorstellung befreien – und ihnen erklären, dass ihre Firma lange nicht so modern und voller Chancengleichheit ist, wie sie selber meist denken.
"Leider ist der Umkehrschluss dann oft sehr, sehr schnell: Ja, wir brauchen zwei, drei, vier, fünf Maßnahmen, um für mehr Vielfalt im Unternehmen zu sorgen. Und dann entwickelt man für diese Maßnahmen noch bestimmte Metriken, damit man auch messen kann, wie erfolgreich diese Maßnahmen sind. Und dann glaubt man ganz oft, dass man seine Schuldigkeit getan hat. Aber es ist halt leider viel komplexer."
Denn natürlich ändert ein Maßnahmenpaket nicht automatisch die männliche Denke. Die hängt oft weiter fest in Rollenklischees, etwa, wenn es darum geht, wie Führung aussehen sollte, wie man sich in der Business-Welt durchsetzt. Erreicht Franken die Männer trotzdem, vor allem als erklärter Unterstützer des Feminismus?
"Grundsätzlich gibt es natürlich ein gesundes Maß an Skepsis und manchmal auch ein ungesundes Maß an Skepsis. Ich erlebe alles. Schwierig wird es dann, wenn es zynisch wird, wenn Menschen versuchen, das, was man dort hineinträgt, so ein bisschen lächerlich zu machen, als Gedöns abzutun, statt einfach neugierig zu bleiben. Ich versuche dann diese Anknüpfungspunkte aufrechtzuerhalten. Aber natürlich – es werden nicht alle Hurra schreien, wenn es darum geht, den Status quo zu verändern."
Feminismus kann Männern auch helfen
Dabei müssten Männer gar nicht befürchten, etwas zu verlieren, wenn sich ihre Rolle in der Gesellschaft verändert. Der niederländische Autor Jens van Tricht sagt: Ganz im Gegenteil, es hilft ihnen sogar. Er hat ein Buch darüber geschrieben – mit einem unmissverständlichen Titel. Es heißt: "Warum Feminismus gut für Männer ist".
Es wird Zeit, sagt Jens van Tricht, dass Männer sich von all den Klischees lösen, wie ein "echter" Mann sein soll – hart, stark, ohne Angst oder Schmerz. Bis heute sind viele gefangen in diesem Korsett. Oft mit fatalen Folgen für Gesundheit und Psyche.
"Männer haben Probleme, die direkt zusammenhängen mit der so geannten ‚Man Box’, mit dem Gefängnis der Männlichkeit, mit der Unterdrückung von Gefühlen – Sucht nach Alkohohl und Drogen, aber auch Einsamkeit und Depression und Selbstmord."
Die Statistik stützt diese These. Etwa zwei Drittel aller Suizide in Deutschland werden von Männern begangen. Sie leben im Durchschnitt ungesünder, rauchen und trinken mehr und sterben früher als Frauen. Schaden fügen sie aber nicht nur sich selbst zu, sondern auch ihrer Umgebung.
"Die Männlichkeitsbilder kreieren natürlich ganz viele Probleme. Gewalt ist das erste, woran ich denke. Männer lernen, sich selbst und der Welt Gewalt anzutun. Gewalt in vielen Formen: Gewalt gegen Frauen und Kinder, Gewalt von Männnern gegen Männer, gegen Schwule, gegen LGBTs. Aber auch Krieg, Kriminalität, Radikalisierung oder Hooliganismus."
Schädliches und toxisches Verhalten abzulegen und sich zu Zielen des Feminismus zu bekennen, sind für den Autor deshalb zwei Seiten derselben Medaille. Am Ende gehe es allen besser, wenn Männer aufhören, immer hart und dominant sein zu wollen, und sich endlich erlauben, einfach nur Menschen zu sein.
"Ich denke, es ist wichtig zu benennen, dass Männer auch weibliche Eigenschaften haben. Obwohl, wenn wir weiter denken und wirklich anerkennen, dass alle Männer und Frauen menschliche Eigenschaften haben, ist es eigentlich Blödsinn, wenn wir die noch männlich oder weiblich nennen."
Als "psychisch Gestörter" beschimpft
Wer die klassischen Rollenzuschreibungen hinterfragt und sich als Mann mit Feminismus identifiziert, wird jedoch schnell auch als Nestbeschmutzer beschimpft. Der Schriftsteller, Musiker und DJ Thomas Meinecke war einer der ersten, der sich explizit als Feminist bezeichnet hat – und bekam entsprechende Reaktionen von Männern.
Meinecke ist heute 65 Jahre alt. Er erinnert sich noch gut daran, wie es war, als er in den 90er-Jahren anfing, Autorinnen wie Judith Butler zu lesen und sich für sie zu begeistern – vor allem für ihre These, dass die Geschlechtsidentität nichts ist, womit man auf die Welt kommt, sondern etwas, das einem beigebracht wird:
"Das ist natürlich ein unglaublich interessantes Feld, weil es sozusagen die sogenannte sexuelle Identität als ein Konstrukt vorführt und erklärt. Ich habe da viel gelernt und dachte, okay, ich bin kein Mann, ich muss kein Mann sein, ich rede hier als ein soziales Wesen namens Mann – und bin aber dafür, dass es eine Geschlechtergerechtigkeit gibt. Und da wurde mir aber am Anfang immer unterstellt, ich muss pervers sein. Der will ja gar kein Mann sein, das ist sozusagen ein psychisch gestörtes Wesen."
Meinecke war das egal. 1998 schreibt er den Roman "Tomboy", ein Wort, das im Englischen ein burschikoses Mädchen beschreibt. In dem Buch bringt er die gängigen Geschlechterrollen heftig ins Wanken – was vor 20 Jahren noch weit weniger normal war als heute. Auch das Thema Frauenrechte wurde damals noch viel mehr belächelt.
"Die Zeit war für Frauen noch viel ungünstiger als heute – es tut sich da ja jetzt was. Das war eher so eine Art spezielles Problem am Rand der Gesellschaft. Frauen waren immer nur das Andere und gesprochen wurde immer von einer männlichen Position aus. Und dieses Andere – da kann man sich vielleicht gelegentlich auch mal kümmern, so wie man jetzt versucht, keine Ahnung, befallene Kastanienbäume noch zu retten. Ungefähr auf dem Level war das. So kam ich mir damit vor."
Das Thema Geschlechterrollen und ihre Dekonstruktion beschäftigt Thomas Meinecke bis heute, als Schriftsteller und als Feministen. Auf die heutige Debatte blickt er mit gemischten Gefühlen, vor allem auf das Ringen um eine geschlechtergerechte Sprache.
"Ich würde mal sagen, wir haben es noch etwas länger mit Rückzugsgefechten des Patriarchats zu tun und die sind teilweise böse, weil die teilweise mit verbrannter Erde verbunden sind, die die hinterlassen wollen. Aber generell bin ich guter Dinge, dass in diesem friemeligen Kleinkram – und das hat eben sehr viel mit Sprache zu tun – die Chance liegt, das zu klären, und da muss einfach weitergearbeitet werden. Und da gibt es elegantere und unelegantere Lösungsmöglichkeiten in der Sprache und die werden gerade ausgetestet."
Erziehung ohne Geschlechterballast
Dass man sich als Mann nicht nur Freunde macht, wenn man sich Feminist nennt und es dann auch noch wagt, die Kategorien "männlich" oder "weiblich" in Zweifel zu ziehen, das hat auch Nils Pickert aus Münster erfahren.
Pickert ist Autor und Journalist – und Vater von vier Kindern. An diesem Nachmittag sitzt er auf einem Spielplatz und schaut dabei zu, wie zwei seiner Kinder im Sand spielen. Zwischendurch kommt immer mal eins gerannt und will was zu essen. Was ihn schon lange umtreibt, ist die Frage, wie Eltern ihre Kinder ohne das klassische Rollendenken erziehen können. Jungen und Mädchen, sagt er, werden leider viel zu oft auf ein bestimmtes Verhalten getrimmt.
"Wir geben Jungen fast überhaupt keine Option, Kümmern oder Mitfühlen zu entwickeln, Empathie und Getröstetwerden oder ein Interesse an Verschönerung und weichen Dingen. Wir sehen es auch nicht besonders gerne, wenn Mädchen boxen gehen, sich messen, herausfordern oder Brillanz zeigen. Wir könnten den Kindern doch zugestehen, dass sie ihre eigene Identität erproben und sehen, worauf sie Lust haben, wozu sie Talent haben und wozu nicht, ohne dass wir das ständig labeln, dem ein Geschlecht verpassen und sagen, das tut ein Junge oder ein Mädchen nicht."
Nils Pickert und seine Partnerin haben entschieden, ihre Kinder ohne den ganzen Geschlechterballast zu erziehen. Ohne Rosa und Hellblau, ohne klare Rollenvorgaben. So kam es dann auch zu jenem denkwürdigen Tag, als einer der Söhne im Alter von fünf im knallroten Kleidchen der Schwester herumlaufen wollte. Pickert sagte nicht etwa ‚Lass das, Röcke sind nix für Jungs’, sondern machte kurzerhand mit. Zog sich selbst einen Rock an und marschierte so mit dem Sohn an der Hand durch die Stadt. Danach hat er einen Artikel mit Foto gepostet – und plötzlich wurde weltweit berichtet über den "Vater im Rock".
Ja, in den Erziehungsansichten ändert sich etwas, meint Nils Pickert. Aber leider halt doch nur begrenzt:
"Ich habe schon den Eindruck, dass wir insbesondere kleinen Jungen mehr zugestehen als früher. Dass wir ihnen eine gewisse Phase zugestehen, wo sie weich sein dürfen oder schutzbedürftiger. Aber spätestens mit der Grundschule und allerspätestens mit der weiterführenden Schule ist dann Schluss mit lustig. Dann geht es viel um Machen und Führen, um Härte zeigen, um sich nicht verletzlich zu zeigen. Und es hat wenig mit der Suche nach Nähe, Verantwortlichkeit und Liebe zu tun. Und das ist sehr, sehr schade, denn das ist ja auch in den Jungen drin. Das sind ja keine Fremdsprachen, die wir ihnen erst mit großem Aufwand beibringen müssen. Wir müssen nur aufhören, ihnen ständig zu erzählen, dass das unmännlich ist."
Inzwischen hat Nils Pickert ein Buch darüber geschrieben: "Prinzessinnenjungs" heißt es – ein Plädoyer dafür, Buben auch Dinge zuzugestehen, die nicht zum gängigen Ideal von Männlichkeit passen. In den sozialen Medien wurde er dafür übel beschimpft, als Verräter und noch viel mehr.
"Das ist anstrengend und da sind Mauern, ich renne die ganze Zeit dagegen und viele andere Menschen tun es auch. Aber ich bin nicht bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Ich bin auch nicht bereit, dass andere einen sehr viel höheren Preis dafür bezahlen müssen. Und deswegen ist das das Feld, das ich mir ausgesucht habe, in dem ich gerne bereit bin, mich zu streiten, mich mit Leuten auseinanderzusetzen. Wenn es denn sein muss, mache ich das – das ist es wert."
Ziel des Feminismus wird nicht richtig verstanden
Männer, die sich zum Feminismus bekennen – viele gibt es noch nicht. Zwar finden weit mehr Männer als noch vor zwanzig, dreißig Jahren Gleichberechtigung wichtig, zumindest wird das verbal so erklärt. Sich aber als Feministen bezeichnen? So weit will die große Mehrheit nicht gehen.
Die Meinungsforscher von YouGov haben 2016 eine Umfrage dazu gemacht. Auf die Frage, ob sie sich als Feminist bezeichnen würden, antworten damals acht Prozent der Männer in Deutschland mit ‚Ja’. Auch bei den Frauen wollten sich nicht allzu viele als Feministin beschreiben – insgesamt 20 Prozent. Trotz allem was die Frauenbewegung erreicht hat – der Feminismus hat es nach wie vor schwer.
"Das liegt daran, dass der Feminismus nicht als demokratischer Auftrag verstanden wird."
Ines Kappert leitet das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie in der Heinrich-Böll-Stiftung. Dass es vielen offenbar schwerfällt, sich mit dem Begriff zu identifizieren, erlebt auch sie immer wieder.
"Ich mache das ganz gerne mal bei meinen Vorträgen: Da stelle ich hin und wieder die Eingangsfrage, wer aus dem Publikum versteht sich denn als Demokrat oder Demokratin. Da gehen in der Regel dann immer alle Hände hoch. Und dann frage ich, wer von Ihnen versteht sich denn als Feministin oder Feminist? Und dann kann man es meistens an einer oder zwei Händen abzählen."
Die patriarchale Erzählung ist "extrem erfolgreich"
Leider, sagt Ines Kappert, ist der Feminismus in der allgemeinen Wahrnehmung ganz stark entkoppelt von dem, worum es im Kern eigentlich geht.
"Dann erkläre ich es immer: Wir haben die Grundrechte, wir haben den Artikel 3, niemand darf diskriminiert werden aufgrund des Geschlechts. Und es geht doch darum, genau das umzusetzen und tatsächlich dafür zu sorgen – als Demokratin, als Demokrat, dass man nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert wird. Das wird aber überhaupt nicht verstanden. Sondern die patriarchale Erzählung, Feminismus ist halt so ein Hobby von seltsamen Frauen, ist extrem erfolgreich."
Das Bild von der anstrengenden Emanze sitzt deshalb bis heute fest den Köpfen. Dass trotzdem inzwischen auch Männer für den Feminismus eintreten wollen, sei daher eine gute Entwicklung, meint Ines Kappert.
"Das kann ganz viel bringen! Das kann zum einen bringen, dass diese Verfemung von Feminismus und von Feministinnen unterbrochen wird. Das kann auch bringen, dass diese Idee, das Problem ist nicht die Diskriminierung, sondern ein paar Feministinnen, die den Schuss nicht gehört haben, einfach an Terrain, an Boden und an Glaubwürdigkeit verliert."
Feministinnen nerven, Feministen werden beklatscht
Männliche Unterstützer des Feminismus begrüßt auch Stefanie Lohaus, Mitbegründerin und Mitherausgeberin des "Missy Magazine" für Popkultur, Politik und Feminismus. Vor allem, wenn sie etwas daran ändern, dass sich Männer oft gar nicht zuständig fühlen, wenn es um Fragen der Gleichberechtigung geht.
"Ich denke schon, dass wir nicht weiterkommen, wenn sich nicht alle Geschlechter oder alle Gruppen mit diesen Themen befassen. Es gibt ja tatsächlich auf der anderen Seite diese Problematik, dass bei diesen Themen immer gesagt wird ‚Macht ihr Frauen mal, das geht mich ja gar nichts an.’ Es ist schon eher ein Problem, Männer für diese Themen zu begeistern. Die sind eigentlich ganz froh, wenn das die Frauen einfach nur unter sich machen, wenn sie sich damit gar nicht befassen müssen."
Allerdings, sagt Stefanie Lohaus, muss man schon auch genau hinschauen – ob jemand nur redet und oder eben auch wirklich hilft, die Strukturen zu verändern. Ein Ärgernis bleibt allerdings grundsätzlich bestehen, wenn Männer das Wort ergreifen im Sinne des Feminismus – dass für sie plötzlich ein sehr helles Scheinwerferlicht angeht.
"Wir kennen diese Männer, die plötzlich auftauchen und diesen Leitartikel schreiben und irgendwie plötzlich entdeckt haben, oh mein Gott, da gibt's ja ein gesellschaftliches Problem, und ich könnte irgendetwas damit zu tun haben. Häufig sind das dann Männer, die Vater einer Tochter geworden sind – da gibt's auch eine gewisse Kongruenz – und die sich mit diesem ganzen Themenfeld eigentlich noch nie richtig befasst haben, aber qua Geschlecht Gehör finden und Applaus bekommen. Und auch viel mehr Applaus und viel mehr Gehör als die vielen Frauen, die auch sehr gute Beiträge und sehr viel Wissen dazu angesammelt haben und schreiben – und das ist natürlich schon bitter."
Helfen, ohne zu bevormunden
Männlicher Feminismus kann deshalb auch ein schmaler Grat sein. Auf der einen Seite braucht es ein klares Bekenntnis, damit die Botschaft auch wirklich ankommt. Auf der anderen Seite heißt es, die eigene Öffentlichkeitswirksamkeit zu hinterfragen. Die sollte auch nicht allzu groß werden, sagt Unternehmensberater Robert Franken, "weil man, glaube ich, sehr aufpassen muss, dass man nicht über Gebühr Raum beansprucht. Weil das, was ich repräsentiere, ja Teil des Problems ist. Das heißt, ich muss schon genau gucken, wo äußere ich mich, wie äußere ich mich und wo ist es angebracht, zurückzutreten. Und ich habe für mich versucht, einen Weg zu finden, wo ich ein Teil der Lösung sein kann und versuche trotzdem sensibel zu bleiben, wo ich auch ein Problem bin. Und das ist nicht immer auflösbar."
Diese Schwierigkeit sieht auch Vincent Herr.
"Das ist vielleicht so ein bisschen das, womit ich ringe: Wie kann ich am besten helfen, ohne gleichzeitig vielleicht auch eine Situation zu übernehmen? Deshalb ist es auch für mich nach wie vor ein konstantes Fragen, vielleicht auch eine Selbstreflexion, die mir auch nicht immer leicht fällt. Es ist ein Prozess, durch denn ich und viele Männer, die das ernst meinen mit dem Feminismus, sehr regelmäßig gehen müssen."
Feministen machen andere Männer auch neugierig
Andererseits kann das Mannsein auch helfen, Türen zu öffnen. Wer als Feminist auftritt, wird nämlich nicht immer sofort von anderen Männern beschimpft. Einige hören sich auch schon mal an, was das für ein Typ ist und was der so erzählt.
"Es ist tatsächlich so, dass gerade auch andere Männer ein bisschen hellhörig werden und das verstehen wollen. Da kommt nicht sofort, du bist ein Trottel, sondern da ist zumindest ein Interesse im Sinne von, hm, das ist ein Mann, der das sagt, da möchte ich mal ein bisschen mehr wissen."
Das sind sie wieder, die unterschiedlichen Stempel für Männer und Frauen: Die Feministin nervt, der Feminist – ach schau mal an!
Auch Mareice Kaiser ärgert sich über diese Unterschiede in der Bewertung. Kaiser ist Chefredakteurin des Magazins Edition F, das Wirtschaftsjournalismus für Frauen macht, die gängigen Stereotype kennt sie deshalb in- und auswendig. Sie meint aber trotzdem, dass es gut ist, wenn Männer über andere Männer auch ganz neue Vorbilder finden.
"Wenn ich nur ein starkes Vorbild habe oder vielleicht zwei – vielleicht ist es mein Vater, vielleicht ist es mein Bruder – dann weiß ich gar nicht, was gibt's denn noch? Wie kann Männlichkeit noch gelebt werden? Und da kann ich mir total gut vorstellen, wenn Menschen Bildungsarbeit bzw. Männerbildungsarbeit machen, die zeigt, dass Männlichkeit ganz vielfältig gelebt werden kann, dass das auch einfach so ein Aha-Moment ist zu sehen, ah ja, so kann es auch funktionieren. Und das, was ich vielleicht aus meiner Familie oder aus meinem Freundeskreis kenne, ist nicht die einzige Art, ein Mann zu sein oder Männlichkeit zu leben."
Es können auch neue Vorbilder entstehen
Ein Stück weit kommt da auch ein psychologischer Faktor zum Tragen. Eine Reaktion, die jeder und jede wohl auch von sich selber gut kennt.
"Wir Menschen ticken ja so – wir lassen uns ungern Sachen sagen über uns und unser Verhalten von Menschen, die so ganz anders sind als wir. Und wenn da aber eine Person kommt, die vielleicht so ähnlich aussieht wie ich, die in der gleichen Lebensrealität lebt, dann höre ich mir das eher an. Es scheint einfach so zu sein bei Menschen, dass wir Vorbilder brauchen, die uns so ähnlich sind wie möglich. Das heißt natürlich nicht, dass Männer, die über Feminismus reden, dann die einzigen sind, die aufklären können. Aber in bestimmten Räumen kann das auf jeden Fall hilfreich sein, wenn sie das tun."
Wichtig sein kann das vor allem in kulturellen Milieus mit starker patriarchaler Prägung. Anıl Altıntaş ist in so einem Milieu aufgewachsen. Er denkt oft daran zurück, wenn er durch Kreuzberg läuft und dort Migrantenfamilien beobachtet. Seine Eltern kamen aus der Türkei nach Deutschland und es gab nie Zweifel, wer zu Hause der Boss ist.
"Die Männlichkeitsbilder, mit denen ich aufgewachsen bin, waren sehr, sehr traditionell geprägt. Meine Bezugsperson war vor allem mein Vater und mein Vater war eine sehr dominante Person – sehr stark auch durch meinen soziokulturellen Hintergrund geprägt, weil wir auch wenig mit weiß-deutschen Familien befreundet waren. Es war so ein Mix zwischen meinem türkischen Background und gleichzeitig der Einbettung in die Männlichkeitsbilder, die in Deutschland sowieso vorherrschen."
In seiner Jugend wurde das nie hinterfragt, erinnert sich Anıl Altıntaş. Auch die Freunde gaben sich als starke Kerle, trainierten viel im Fitnesscenter. Mit Anfang 20 hat er dann gemerkt, dass etwas nicht stimmt – dass er eigentlich ständig eine Erwartung bedient.
"Das hat mich gestört, weil ich nicht immer so extrem laut sein wollte. Ich wollte auch nicht immer wieder krass pumpen gehen et cetera. Aber ich habe mich immer wieder in dieser Rolle gefunden, das tun zu müssen. Und es war ein Schritt, das überhaupt zu wagen und zu sagen, ich will das nicht mehr, und ich will vor allem nicht mehr dieser Vorstellung vom harten Türken nachgehen."
Ein Stein kommt ins Rollen
Inzwischen hat er sich ganz losgesagt von diesen Klischees. Als Autor schreibt Anıl Altıntaş nun Texte über muslimische Männlichkeitsbilder und wie sie einen prägen. Außerdem gibt er Workshops in Schulen, kürzlich etwa in der Rütli-Schule im Stadtteil Neukölln. Dort hat er sich dann mit 12- bis 14-Jährigen über Männlichkeit unterhalten.
"Und in dem Raum hat keine Person Deutsch als Muttersprache gesprochen. Und dann habe ich aber angefangen, ihre Sprache zu sprechen. Ich habe gesagt, Leute, kennt ihr das, auf einer Hochzeit, oder wer hat schon mal diese Situation mit dem Vater gehabt. Und nach fünf bis sechs Minuten waren auf einmal alle total aufmerksam."
Hätte eine Frau das erzählt, würden viele Jungen gar nicht erst zuhören, sagt Altıntaş. Und es hilft auch, dass es kein weißer Mensch ist, der ihnen wieder einmal erzählt, wie gefährlich muslimische Männer doch sein können. Dass er selbst für seine Arbeit beschimpft wird, kommt schon mal vor – aber es gibt auch viel positives Feedback.
"Was mich überrascht hat, war, dass viele Männer eine Offenheit hatten, sich auch mit mir darüber zu unterhalten. Die haben halt auch gemerkt, ich schreibe halt nicht über 10 Dinge, die ein Mann jetzt tun muss, sondern mehr über Geschichten, die man selbst kennt. Und dann merken sie, oh krass, da habe ich überhaupt noch nicht drüber nachgedacht. Ich glaube, wenn eine Person dann mal den Anfang macht, dann kann das vielleicht einen Stein ins Rollen bringen."
Männer, die für Feminismus eintreten, können für andere ein Denkanstoß sein, wenn sie es ernst meinen mit ihrem Bekenntnis. Sich den Begriff nicht nur anheften, sondern vormachen, wie das tatsächlich gehen kann. Gleichzeitig aber auch aufpassen, dass daraus keine Erzählung eines neuen Heldentums wird. Andererseits muss es aber auch gar nicht alles so schwierig sein, wie es vielleicht aussieht. Man muss sich einfach nur klar machen, worum es ganz am Ende eigentlich geht, meint Martin Speer.
"Wenn Männer verstehen, dass der Einsatz für Gleichberechtigung auch sie etwas angeht, dass sie sich verändern und weiterentwickeln müssen, dann wird es uns allen besser gehen."