Feministin: Haltungen in der Gesellschaft müssen sich ändern
Eine Frauenquote könne hilfreich sein, reiche aber nicht aus, sagt Natasha Walter, Autorin des Buches "Living Dolls. Warum junge Frauen lieber schön als schlau sein wollen". Man könne zwar damit politisch einen Wechsel vorantreiben, "aber bevor diese Veränderungen gesellschaftlich und kulturell greifen, muss noch viel passieren".
Dieter Kassel: Natasha Walter war hier bei uns im Deutschlandradio Kultur zu Gast. Ich habe vor der Sendung mit ihr gesprochen und ich hab sie am Anfang gefragt, wann sie denn zum ersten Mal den Eindruck hatte, dass etwas schief gelaufen ist mit der Emanzipation, weil junge Frauen viel lieber ihr Aussehen einsetzen, um Erfolg zu haben als den Kopf.
Natasha Walter: Ich denke, wenn wir uns umsehen in der Gesellschaft, dann passiert es immer wieder, dass uns gesagt wird, dass die Frauen doch ganz glücklich und zufrieden sind mit dieser hypersexualisierten Kultur, die sie zum Objekt macht, dass sie doch eigentlich zufrieden sind mit ihrer Situation und dass sie ja selbst die Wahl haben. Aber wenn man sich das Ganze mal von Nahem ansieht, dann sieht man, dass diese Frauen damit oft echte Probleme haben oder auch die jungen Mädchen mit der Objektifizierung, der sie ausgesetzt ist. Ich sprach auch mit vielen jungen Frauen für mein Buch, und es hat sich herausgestellt, dass sie immer diesen starken Druck gespürt haben oder viele von ihnen diesen starken Druck gespürt haben, diesen sehr eng gefassten Idealen von Schönheit und Sexyness zu entsprechen. Also immer sexy und schön zu sein, ist ein extremer Druck, und wenn man dem nicht entspricht, dann heißt das für diese Frauen, dass sie versagt haben.
Besonders inspiriert hat mich eine E-Mail, die ich von einem jungen Mädchen bekommen habe, von einem Teenager, die auf einen Artikel reagiert hat, den ich über diese sogenannten Herren-Magazine in England geschrieben habe. Das war eine 17-Jährige, die sagte: Danke, dass endlich mal jemand das ausspricht, was ich die ganze Zeit denke und was ich mich aber selber nicht zu trauen wage. Ich hasse Pornografie, ich hasse es, diese Magazine, diese Flut von Sexobjekten zu sehen, denen jeden Tag ausgeliefert zu sein, und trotzdem sagt niemand etwas dagegen. Und dieses Mädchen fühlte sich wirklich allein, und das war für mich ein ziemlicher Schock – 100 Jahre nach dem Beginn des Feminismus oder länger, und es ist eigentlich nichts passiert. Es ist immer noch so, dass die Menschen sich alleine fühlen, solchen Situationen ausgeliefert.
Kassel: Gerade aber, was nun dieses Akzeptieren des Objektseins angeht, müssen wir, glaube ich, gar nicht über die Sexindustrie sprechen – oder zumindest nicht nur, wir können auch das tun –, sondern über scheinbar alltägliche Vorgänge. Nehmen wir ein Bewerbungsgespräch, ich kenne das aus persönlicher Erfahrung, im Sinne von aus Dingen, die ich wirklich erlebt habe. Wenn Frauen sich für ein Bewerbungsgespräch schön machen, ist dagegen nichts zu sagen, was aber ist, wenn sie dann ihr Aussehen wirklich nutzen, um den Job zu bekommen, eben auch im Sinne von sich auftakeln, zum Objekt werden, und dann aber sagen, na ja, was ich im Grunde genommen tue, ich nutze die Macht aus, die ich über Männer hab durch meinen Körper?
Walter: Ich habe ein Problem damit, wenn Frauen sich damit zufrieden geben mit ihrer sexuellen Macht, wenn sie sich darauf reduzieren lassen und wenn die sexuelle Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit alles ist, was man erhält, denn ich denke, da fehlen dann anderswo auch die Wertschätzungen von Frauen. Zum Beispiel, wenn man sich erfolgreiche Frauen anguckt, die in der Politik es zu etwas gebracht haben, die sehr viel Erfolg haben, dann merkt man, dass sie in der Gesellschaft immer wieder niedergemacht werden und auf ihr Äußeres reduziert werden, dass man, egal wie erfolgreich sie sind, sie nach ihrer sexuellen Attraktivität beurteilt. Und wenn sie sexuell eben nicht attraktiv sind, dann sind sie eben auch nicht wirklich erfolgreich.
Kassel: Das erinnert mich ein bisschen, obwohl es äußerlich betrachtet eine andere Idee ist, ein bisschen an das, was die deutsche Feministin Bascha Mika sagt. In Ihrem Buch "Die Feigheit der Frauen" sagt sie, die meisten Frauen hätten nicht den Mut dazu, wirklich emanzipiert zu sein, und deshalb blieben sie – das ist nun der Unterschied – deshalb blieben sie lieber zu Hause und kümmerten sich um die Kinder, da sind sie dann an einer Front erfolgreich, wo sie nicht mit Männern konkurrieren müssen. Ist das, was Sie gerade beschrieben haben, dass Frauen sich auf ihren Körper reduzieren lassen, versuchen, nur mit ihrem Äußeren Erfolg zu haben, nicht etwas Ähnliches, weil sie dann ja auch versuchen, mit den Männern nicht auf der gleichen Ebene zu konkurrieren?
Walter: Ich habe das Buch nicht gelesen, aber von dem, was ich über ihre Argumente gehört habe, verstehe ich das so, dass sie in erster Linie die Frauen selber für ihre Situation verantwortlich macht und auch verantwortlich für die Ungleichheit, so wie sie jetzt besteht. Aber ich denke, man muss da auf jeden Fall über das Individuelle hinausgehen. Man muss immer die Gesellschaft im Blick behalten und die Strukturen, die diese Ungleichheit letzten Endes erzeugen. Das ist nicht nur die Entscheidung einzelner Frauen, sich so zu verhalten, sondern es gibt immer eine Gesellschaft, die dahintersteht. Und diese Gesellschaft belohnt nun einmal Frauen, die sich – im Fall von England jetzt zum Beispiel – sexualisieren lassen, und gibt ihnen nicht wirklich eine Wahl. Und deshalb denke ich, dass man hier auf jeden Fall über das Individuum hinausgehen muss.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Natasha Walter, Autorin des Buches "Living Dolls", warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen, ein Buch, das sich aber nicht nur mit dieser Frage beschäftigt, sondern auch damit, warum es inzwischen wieder mehr Menschen gibt, auch intelligente Menschen, die an Stereotype wirklich glauben und die wirklich glauben, dass Jungs und Mädchen, dass Frauen und Männer unterschiedlich sind. Die einfache Antwort auf diese Frage ist Wissenschaft, denn es gibt Wissenschaftler, die behaupten, das sei auch längst bewiesen – es stecke in den Genen, es stecke in der Größe des Gehirns, Männer und Frauen sind tatsächlich nicht gleich. Es gibt einen Wissenschaftler in Großbritannien, der sogar behauptet hat, er hätte bewiesen, dass wirklich Jungs auf Blau anders reagieren als Mädchen und Mädchen auf Pink anders als Jungs – ein dort angesehener seriöser Wissenschaftler in Cambridge, Simon Baron-Cohen heißt er. Und immer mehr Leute glauben das. Aus dem Buch habe ich erfahren, dass in England auch seriöse Zeitungen zustimmend berichten. Ich würde schon gerne wissen von Ihnen, Frau Walter, für mich ist es Quatsch, aber halten Sie es für gefährlichen Quatsch?
Walter: Ja, und ich denke, Sie haben recht, wenn Sie das als eine gefährliche Art der Wissenschaft bezeichnen, die diesen biologischen Determinismus so hervorhebt, denn der biologische Determinismus führt automatisch zu einer Art Fatalismus. Denn wenn schon alles vorherbestimmt ist, wenn die Ungleichheit in den Genen liegt, dann kann man ja auch nichts mehr dagegen machen, dann brauch man ja auch gar nichts mehr zu verändern, dann müssen wir die Ungleichheit so, wie sie ist, akzeptieren. Akzeptieren, dass Männer mächtiger sind als Frauen, und akzeptieren, dass Frauen nun mal besser zu Hause bleiben sollten oder sonst etwas tun sollten, was Männer eben nicht machen. Und ich denke, es ist wichtig, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Kassel: Es ist vielleicht auch wichtig und gar nicht so einfach, den Kreislauf zu durchbrechen, dass viele sagen, Feminismus ist schön gewesen, hat viel erreicht, aber ist heute kein Thema mehr, was, aus Ihrem Buch weiß ich auch, in England, aber auch in Deutschland einige sagen und eben nicht nur die Männer, die trauen sich das ja erst langsam. Über Ihr Buch ist viel geredet worden in Großbritannien, aber glauben Sie, man hat wirklich Lust, auch über das zu diskutieren, was Sie da sagen und was Sie anprangern?
Walter: Als ich angefangen habe, dieses Buch zu schreiben, habe ich mir schon darüber Gedanken gemacht, wie es wohl aufgenommen werden könnte. Es gab ja zu der Zeit keine wirkliche Debatte über das Thema Sexismus, der hat sich so schleichend in die Gesellschaft eingefressen und wurde halt einfach immer stärker, ohne dass es eine öffentliche Debatte gab. Und die Antworten, die ich zu meinem Buch dann erhalten habe, die Reaktionen, die es gab, die haben mich doch sehr bestärkt und sehr ermutigt. Ich fand das eigentlich phänomenal. Seitdem sind auch viele andere feministische Bücher in Großbritannien erschienen, im Zeitraum von den letzten zwölf Monaten, und es entwickelt sich auch auf einer Grass-Roots-Ebene, also von unten eine Art Feminismus, den es so vorher nicht gab. Auch die Tatsache, dass wir uns jetzt in einer konservativen Regierungszeit befinden, hat die Debatte natürlich auch bestärkt, wie Frauen in der Politik vielleicht sichtbarer werden könnten oder mehr Macht haben könnten. Es hat mich insgesamt ermutigt, wie die Entwicklung seit der Veröffentlichung meines Buches verlaufen ist. Es ist natürlich keine feministische Revolution, die jetzt stattfindet, aber ich denke, es geht doch weiter.
Kassel: Die politische Debatte, die Sie damit erwähnt haben, die fragt ja im Moment nach Gesetzen, die fragt ja, ob man eine Frauenquote – vielleicht auch in der Politik, aber ganz aktuell geht es um Führungspositionen in der Wirtschaft – per Gesetz durchsetzen sollte. Wäre das der richtige Weg?
Walter: Ich denke, dass solche Quoten durchaus hilfreich sein können, aber es reicht niemals aus, alleine Quoten einzusetzen, also allein stehend nützen sie wahrscheinlich nicht sehr viel. Und das ist etwas, was ich in den letzten Jahren auch gelernt habe, dass man vielleicht politisch so einen Wechsel vorantreiben kann, dass man Veränderungen erreichen kann, aber bevor diese Veränderungen gesellschaftlich und kulturell greifen, muss noch viel passieren, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, bis da wirkliche Gleichberechtigung herrscht, bis auch Frauen und Männer die gleichen Rechte haben oder die gleichen Möglichkeiten haben, zu Hause zu bleiben, für Kindererziehung oder ähnliche Themen. Da muss noch einiges passieren, und ich denke, es müssen sich etliche Haltungen in der Gesellschaft auch noch verändern, und das dauert natürlich Zeit – Haltungen zu dem Thema, was Frauen wirklich können und wonach sie streben sollten.
Natasha Walter: Ich denke, wenn wir uns umsehen in der Gesellschaft, dann passiert es immer wieder, dass uns gesagt wird, dass die Frauen doch ganz glücklich und zufrieden sind mit dieser hypersexualisierten Kultur, die sie zum Objekt macht, dass sie doch eigentlich zufrieden sind mit ihrer Situation und dass sie ja selbst die Wahl haben. Aber wenn man sich das Ganze mal von Nahem ansieht, dann sieht man, dass diese Frauen damit oft echte Probleme haben oder auch die jungen Mädchen mit der Objektifizierung, der sie ausgesetzt ist. Ich sprach auch mit vielen jungen Frauen für mein Buch, und es hat sich herausgestellt, dass sie immer diesen starken Druck gespürt haben oder viele von ihnen diesen starken Druck gespürt haben, diesen sehr eng gefassten Idealen von Schönheit und Sexyness zu entsprechen. Also immer sexy und schön zu sein, ist ein extremer Druck, und wenn man dem nicht entspricht, dann heißt das für diese Frauen, dass sie versagt haben.
Besonders inspiriert hat mich eine E-Mail, die ich von einem jungen Mädchen bekommen habe, von einem Teenager, die auf einen Artikel reagiert hat, den ich über diese sogenannten Herren-Magazine in England geschrieben habe. Das war eine 17-Jährige, die sagte: Danke, dass endlich mal jemand das ausspricht, was ich die ganze Zeit denke und was ich mich aber selber nicht zu trauen wage. Ich hasse Pornografie, ich hasse es, diese Magazine, diese Flut von Sexobjekten zu sehen, denen jeden Tag ausgeliefert zu sein, und trotzdem sagt niemand etwas dagegen. Und dieses Mädchen fühlte sich wirklich allein, und das war für mich ein ziemlicher Schock – 100 Jahre nach dem Beginn des Feminismus oder länger, und es ist eigentlich nichts passiert. Es ist immer noch so, dass die Menschen sich alleine fühlen, solchen Situationen ausgeliefert.
Kassel: Gerade aber, was nun dieses Akzeptieren des Objektseins angeht, müssen wir, glaube ich, gar nicht über die Sexindustrie sprechen – oder zumindest nicht nur, wir können auch das tun –, sondern über scheinbar alltägliche Vorgänge. Nehmen wir ein Bewerbungsgespräch, ich kenne das aus persönlicher Erfahrung, im Sinne von aus Dingen, die ich wirklich erlebt habe. Wenn Frauen sich für ein Bewerbungsgespräch schön machen, ist dagegen nichts zu sagen, was aber ist, wenn sie dann ihr Aussehen wirklich nutzen, um den Job zu bekommen, eben auch im Sinne von sich auftakeln, zum Objekt werden, und dann aber sagen, na ja, was ich im Grunde genommen tue, ich nutze die Macht aus, die ich über Männer hab durch meinen Körper?
Walter: Ich habe ein Problem damit, wenn Frauen sich damit zufrieden geben mit ihrer sexuellen Macht, wenn sie sich darauf reduzieren lassen und wenn die sexuelle Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit alles ist, was man erhält, denn ich denke, da fehlen dann anderswo auch die Wertschätzungen von Frauen. Zum Beispiel, wenn man sich erfolgreiche Frauen anguckt, die in der Politik es zu etwas gebracht haben, die sehr viel Erfolg haben, dann merkt man, dass sie in der Gesellschaft immer wieder niedergemacht werden und auf ihr Äußeres reduziert werden, dass man, egal wie erfolgreich sie sind, sie nach ihrer sexuellen Attraktivität beurteilt. Und wenn sie sexuell eben nicht attraktiv sind, dann sind sie eben auch nicht wirklich erfolgreich.
Kassel: Das erinnert mich ein bisschen, obwohl es äußerlich betrachtet eine andere Idee ist, ein bisschen an das, was die deutsche Feministin Bascha Mika sagt. In Ihrem Buch "Die Feigheit der Frauen" sagt sie, die meisten Frauen hätten nicht den Mut dazu, wirklich emanzipiert zu sein, und deshalb blieben sie – das ist nun der Unterschied – deshalb blieben sie lieber zu Hause und kümmerten sich um die Kinder, da sind sie dann an einer Front erfolgreich, wo sie nicht mit Männern konkurrieren müssen. Ist das, was Sie gerade beschrieben haben, dass Frauen sich auf ihren Körper reduzieren lassen, versuchen, nur mit ihrem Äußeren Erfolg zu haben, nicht etwas Ähnliches, weil sie dann ja auch versuchen, mit den Männern nicht auf der gleichen Ebene zu konkurrieren?
Walter: Ich habe das Buch nicht gelesen, aber von dem, was ich über ihre Argumente gehört habe, verstehe ich das so, dass sie in erster Linie die Frauen selber für ihre Situation verantwortlich macht und auch verantwortlich für die Ungleichheit, so wie sie jetzt besteht. Aber ich denke, man muss da auf jeden Fall über das Individuelle hinausgehen. Man muss immer die Gesellschaft im Blick behalten und die Strukturen, die diese Ungleichheit letzten Endes erzeugen. Das ist nicht nur die Entscheidung einzelner Frauen, sich so zu verhalten, sondern es gibt immer eine Gesellschaft, die dahintersteht. Und diese Gesellschaft belohnt nun einmal Frauen, die sich – im Fall von England jetzt zum Beispiel – sexualisieren lassen, und gibt ihnen nicht wirklich eine Wahl. Und deshalb denke ich, dass man hier auf jeden Fall über das Individuum hinausgehen muss.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Natasha Walter, Autorin des Buches "Living Dolls", warum junge Frauen heute lieber schön als schlau sein wollen, ein Buch, das sich aber nicht nur mit dieser Frage beschäftigt, sondern auch damit, warum es inzwischen wieder mehr Menschen gibt, auch intelligente Menschen, die an Stereotype wirklich glauben und die wirklich glauben, dass Jungs und Mädchen, dass Frauen und Männer unterschiedlich sind. Die einfache Antwort auf diese Frage ist Wissenschaft, denn es gibt Wissenschaftler, die behaupten, das sei auch längst bewiesen – es stecke in den Genen, es stecke in der Größe des Gehirns, Männer und Frauen sind tatsächlich nicht gleich. Es gibt einen Wissenschaftler in Großbritannien, der sogar behauptet hat, er hätte bewiesen, dass wirklich Jungs auf Blau anders reagieren als Mädchen und Mädchen auf Pink anders als Jungs – ein dort angesehener seriöser Wissenschaftler in Cambridge, Simon Baron-Cohen heißt er. Und immer mehr Leute glauben das. Aus dem Buch habe ich erfahren, dass in England auch seriöse Zeitungen zustimmend berichten. Ich würde schon gerne wissen von Ihnen, Frau Walter, für mich ist es Quatsch, aber halten Sie es für gefährlichen Quatsch?
Walter: Ja, und ich denke, Sie haben recht, wenn Sie das als eine gefährliche Art der Wissenschaft bezeichnen, die diesen biologischen Determinismus so hervorhebt, denn der biologische Determinismus führt automatisch zu einer Art Fatalismus. Denn wenn schon alles vorherbestimmt ist, wenn die Ungleichheit in den Genen liegt, dann kann man ja auch nichts mehr dagegen machen, dann brauch man ja auch gar nichts mehr zu verändern, dann müssen wir die Ungleichheit so, wie sie ist, akzeptieren. Akzeptieren, dass Männer mächtiger sind als Frauen, und akzeptieren, dass Frauen nun mal besser zu Hause bleiben sollten oder sonst etwas tun sollten, was Männer eben nicht machen. Und ich denke, es ist wichtig, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Kassel: Es ist vielleicht auch wichtig und gar nicht so einfach, den Kreislauf zu durchbrechen, dass viele sagen, Feminismus ist schön gewesen, hat viel erreicht, aber ist heute kein Thema mehr, was, aus Ihrem Buch weiß ich auch, in England, aber auch in Deutschland einige sagen und eben nicht nur die Männer, die trauen sich das ja erst langsam. Über Ihr Buch ist viel geredet worden in Großbritannien, aber glauben Sie, man hat wirklich Lust, auch über das zu diskutieren, was Sie da sagen und was Sie anprangern?
Walter: Als ich angefangen habe, dieses Buch zu schreiben, habe ich mir schon darüber Gedanken gemacht, wie es wohl aufgenommen werden könnte. Es gab ja zu der Zeit keine wirkliche Debatte über das Thema Sexismus, der hat sich so schleichend in die Gesellschaft eingefressen und wurde halt einfach immer stärker, ohne dass es eine öffentliche Debatte gab. Und die Antworten, die ich zu meinem Buch dann erhalten habe, die Reaktionen, die es gab, die haben mich doch sehr bestärkt und sehr ermutigt. Ich fand das eigentlich phänomenal. Seitdem sind auch viele andere feministische Bücher in Großbritannien erschienen, im Zeitraum von den letzten zwölf Monaten, und es entwickelt sich auch auf einer Grass-Roots-Ebene, also von unten eine Art Feminismus, den es so vorher nicht gab. Auch die Tatsache, dass wir uns jetzt in einer konservativen Regierungszeit befinden, hat die Debatte natürlich auch bestärkt, wie Frauen in der Politik vielleicht sichtbarer werden könnten oder mehr Macht haben könnten. Es hat mich insgesamt ermutigt, wie die Entwicklung seit der Veröffentlichung meines Buches verlaufen ist. Es ist natürlich keine feministische Revolution, die jetzt stattfindet, aber ich denke, es geht doch weiter.
Kassel: Die politische Debatte, die Sie damit erwähnt haben, die fragt ja im Moment nach Gesetzen, die fragt ja, ob man eine Frauenquote – vielleicht auch in der Politik, aber ganz aktuell geht es um Führungspositionen in der Wirtschaft – per Gesetz durchsetzen sollte. Wäre das der richtige Weg?
Walter: Ich denke, dass solche Quoten durchaus hilfreich sein können, aber es reicht niemals aus, alleine Quoten einzusetzen, also allein stehend nützen sie wahrscheinlich nicht sehr viel. Und das ist etwas, was ich in den letzten Jahren auch gelernt habe, dass man vielleicht politisch so einen Wechsel vorantreiben kann, dass man Veränderungen erreichen kann, aber bevor diese Veränderungen gesellschaftlich und kulturell greifen, muss noch viel passieren, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, bis da wirkliche Gleichberechtigung herrscht, bis auch Frauen und Männer die gleichen Rechte haben oder die gleichen Möglichkeiten haben, zu Hause zu bleiben, für Kindererziehung oder ähnliche Themen. Da muss noch einiges passieren, und ich denke, es müssen sich etliche Haltungen in der Gesellschaft auch noch verändern, und das dauert natürlich Zeit – Haltungen zu dem Thema, was Frauen wirklich können und wonach sie streben sollten.