Kommentar zur Feministischen Außenpolitik

Leitlinien ohne notwendigen Kurswechsel

Exil-Afghaninnen demonstrieren in der Innenstadt von Frankfurt gegen das Taliban-Regime, Unterdrückung und für Frauenrechte. Auf dem Schild einer Teilnehmerin steht "Gleichberechtigung für Frauen in Afghanistan".
Demo in Frankfurt: Frauenrechte gab es für Afghaninnen auch während der 20-jährigen Präsenz der NATO-Truppen hauptsächlich auf dem Papier, schreibt Jasamin Ulfat-Seddiqzai. © picture alliance / dpa / Boris Roessler
Ein Kommentar von Jasamin Ulfat-Seddiqzai |
In den Leitlinien zur "Feministischen Außenpolitik" von Annalena Baerbock wird ausgerechnet Afghanistan als Praxisbeispiel benannt, kritisiert die Literaturwissenschaftlerin Jasamin Ulfat-Seddiqzai - und warnt vor einem Missbrauch feministischer Ideale.
Wer eine Empörungswelle provozieren will, muss vor ein beliebiges Konzept nur das Adjektiv „feministisch“ stellen. So sorgte die Vorstellung der Leitlinien von Baerbocks feministischer Außenpolitik letzte Woche für viel Aufsehen.
Schnell trendete auf Twitter der Hashtag „Toiletten“, weil die Außenministerin am Beispiel des Baus sanitärer Anlagen in nigerianischen Dörfern aufzeigte, wie unterschiedlich Planung aussehen kann, wenn weibliche Perspektiven berücksichtigt werden. Baerbock sprach dabei von "ganz normalen Problemen ganz normaler Menschen", um deutlich zu machen, dass Lösungen gerade in der Entwicklungszusammenarbeit pragmatisch sein müssen.
Weil sie dabei jedoch über Toiletten sprach, wurde die Rede schnell ins Lächerliche gezogen. Dabei verschleiert diese Art der Kritik, die sich an Versprechern und Toilettenhumor hochzieht, die tatsächlichen Schwachstellen einer feministischen Außenpolitik, so wie sie uns bisher vorgestellt wurde.

Kürzung von Ernährungshilfen als Druckmittel?

Während Baerbock sehr richtig nach mehr Realfeminismus ruft, also nach mehr Pragmatismus und weniger Ideologie, findet man in der fast neunzigseitigen Broschüre zu den neuen Leitlinien nicht viel Innovatives. So wird ausgerechnet unter dem Abschnitt „Feministische Außenpolitik in der Praxis“ das Beispiel Afghanistan genannt, ein außenpolitisches Projekt, welches man nach allen Regeln der Kunst wohl als feministisch gescheitert bezeichnen kann. Frauenrechte gab es für Afghaninnen auch während der 20-jährigen Präsenz der NATO-Truppen hauptsächlich auf dem Papier. Nach der Machtübernahme der Taliban ist die Lage noch schlimmer geworden.
Besonders absurd wird der Ruf nach Pragmatismus und Einbindung weiblicher Lebensrealitäten, wenn man eine Meldung des Außenministeriums vom Januar betrachtet. Nachdem die Taliban Ende 2022 verkündeten, dass Frauen nur noch sehr eingeschränkt für NGOs arbeiten dürften, plant das Außenministerium laut Baerbock, Hilfen besonders im Bereich der Ernährungssicherung zu kürzen, obwohl der „Afghanistan Economic Monitor“ der Weltbank vom Januar zeigt, dass die Taliban Frauen die ihnen zugedachten Gelder auszahlen.
Kann das Kürzen der Hilfen, und damit das Aushungern von Frauen und Kindern, die Taliban tatsächlich zum Umdenken zwingen?

Missbrauch feministischer Ideale

Der Missbrauch feministischer Ideale hat gerade im afghanischen Kontext gefährliche Tradition. So nutzte die Bush-Administration – selbst nicht gerade für feministische Politik bekannt – im Jahr 2001 die Befreiung der afghanischen Frau als Begründung, um einen überstürzten Krieg mit zahllosen zivilen Opfern zu beginnen.
Schon damals warnten Experten, dass das Verbinden von feministischer Rhetorik mit einem brutalen Krieg afghanischen Frauen langfristig schaden würde. Heute sind Frauenrechte in Afghanistan – anders als noch in den 70er- und 80er-Jahren – zum Synonym für Bomben und Korruption geworden. Der Missbrauch feministischer Ideale, den man auch "imperialen Feminismus" nennt, wird in der fast neunzigseitigen Veröffentlichung jedoch nicht problematisiert.
Und so liest sich das Papier nicht wie ein Kurswechsel, sondern eher wie ein Wohlfühlpaket für die eigene Wählerschaft. Das zeigt sich auch an anderen Stellen. Obwohl die neuen Leitlinien betonen, wie wichtig die Aufnahme gefährdeter Afghaninnen in Deutschland ist, arbeitet Verkehrsminister Wissing daran, die private Seenotrettung zu erschweren. Realistisch betrachtet wird damit also einer der wenigen Wege, auf denen Geflüchtete noch nach Europa kommen können, immer gefährlicher.

Nicht feministisch - sondern unmenschlich

Wie feministisch ist also die neue Außenpolitik, wenn in der Realität sogar afghanische Frauen nur noch schwer Asyl in Deutschland erhalten? Wird sie sich auch den schwierigen Fragen stellen oder bei der Diskussion über die Platzierung sanitärer Anlagen in nigerianischen Dörfern stehenbleiben?
Am Beispiel Afghanistan sieht man, dass es in der Realität keine einfachen Lösungen gibt. Frauen und Kinder hungern zu lassen, um den Taliban Feminismus beizubringen, ist aber nicht feministisch, sondern schlicht und ergreifend unmenschlich.

Jasamin Ulfat-Seddiqzai lehrt und forscht an der Universität Duisburg-Essen zu britischer Literatur im 19. Jahrhundert. Ihre Schwerpunkte sind Orientalismus, Stereotypenbildung und Männlichkeitsbilder, insbesondere im Kontext der Anglo-Afghanischen Kriege, über die sie derzeit ihre Dissertation schreibt. Ihre journalistischen Texte behandeln Xenophobie, Frauen im Islam und erschienen in der „taz“ und der „Rheinischen Post“.

Jasamin Ulfat-Seddiqzai posiert für ein Pressebild.
© privat
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