Feministische Ausstellung "Empowerment"

Patriarchale Strukturen infrage stellen

05:20 Minuten
Auf einem Videostill bilden drei Frauen mit ihren Körpern eine unbalancierte Waage.
Die Arbeit des Sorgetragens: Filmstill aus "Scale of Injustice" von Kawita Vatanajyankur in der Ausstellung "Empowerment". © Kawita Vatanajyankur / Nova Contemporary
Von Simone Reber · 11.09.2022
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Das Kunstmuseum Wolfsburg bietet mit der Ausstellung "Empowerment" einen Überblick über die weltweite Entwicklung feministischer Kunst im 21. Jahrhundert. Der vielschichtige Blick zeigt radikale, schockierende, witzige und kraftvolle Werke.
In der Ausstellung "Empowerment" im Kunstmuseum Wolfsburg schweben in einer Installation Wölkchen aus schwarzen Locken über einem Bett, dessen Matratze mit Rasierklingen gespickt ist. Sonia Barrett vom Künstlerinnen-Kollektiv "What the hELL she DOin!" hat sie aus gekauften, geliehenen, geschenkten, echten und künstlichen Haaren in mühseliger Knüpfarbeit an die Decke gehängt.
Sinnbilder für die Biografien vieler schwarzer Frauen oder Frauen of Color, deren Vorfahren von Sklavenhändlern aus ihrer Heimat in die Welt verschleppt wurden.
"Wir gehören zu mehreren Ländern und die Wolke ist auch so. Das Wasser steigt hoch in einem Land, bildet eine schwarze Wolke und lässt den Regen ganz woanders nieder, ist dann Teil des Bodens mehrerer Länder. Das ist auch ein Leitbild für uns alle, jetzt in diesen Zeiten, wo wir uns neu denken müssen – wie wir Teil des Klimas sind", sagt Barrett.

Das Künstlerinnen-Kollektiv stärkt den Rücken

Die vier Künstlerinnen und Kuratorinnen des Kollektivs aus verschiedenen Teilen Afrikas und der Diaspora haben sich nach dem herablassenden männlichen Kommentar zur Frauenarbeit benannt.
Eine Frau sitzt mit gespreizten Beinen über einem laufenden Wasserhahn.
Geschlecht und Identität: "Dragon Head" von Cao Yu.© Cao Yu / FB Art Collection Bozen / Galerie Urs Meile
Die geringe Wertschätzung von weiblicher Arbeit führt auch die Künstlerin Raeda Sadeeh in der Ausstellung sarkastisch in einem Video vor. Da saugt sie stoisch Staub in der Wüste Palästinas. Und die indische Fotografin Arshi Irshad Ahmadzai posiert verschleiert mit einem Tongefäß vor den Augen für ihr Bild "Tausend Jahre auf der Suche nach einem Gesicht". 
Den vier Künstlerinnen von "What the hELL she DOin?" stärkt das Kollektiv den Rücken gegen die Ignoranz. "Das ist ein wunderschönes Künstlerleben im Kollektiv, weil man wegtritt von diesem Machtkampf und diesem 'Ich muss wichtig sein'. So haben wir viel mehr Kraft und können uns der tatsächlichen Arbeit besser widmen", sagt Barrett.

Feministischer Aufbruch als weltweite Bewegung

Bedrückende Realität für Frauen weltweit ist auch die Erfahrung von Gewalt. "Presencia" hat Regina José Galindo ihre Performance genannt, für die sie die Kleider von ermordeten Frauen anlegte, und darin zwei Stunden still auf der Straße stand. In Erinnerung an die über 3000 Frauen, die in Guatemala jährlich ermordet werden - viele von ihren Partnern. 
Eine Frau in Reizwäsche mit amputierten Unterschenkeln und einer verstümmelten Hand.
Begehrte und verletzte Körper: "You're mine" von Mari Katayama.© Mari Katayama / Collection Antione de Galbert
Während sich die feministische Kunst in den 1970er-Jahren vor allem in Europa und den Vereinigten Staaten artikulierte, zeigt die Ausstellung im Kunstmuseum Wolfsburg jetzt den Aufbruch der Künstlerinnen als weltweite Bewegung. Deshalb verzichtet die Schau in der Beschilderung auch auf nationale Zuordnung, sagt Kuratorin Uta Ruhkamp:
"So viele Künstlerinnen haben transnationale Biografien, sind in einem Land geboren, ziehen in das nächste, lassen sich nieder, haben verschiedene Pässe. Was bedeutet das im Sinne von eigener Identität und Herkunft? Da entsteht ein Bild von einem flexiblen Menschen."
Dreieinhalb Jahre haben Museumsdirektor Andreas Beitin, sowie die Kuratorinnen Uta Ruhkamp und Katharina Koch zum Thema geforscht und Künstlerinnen und Kollektive aus allen Teilen der Welt eingeladen. Das sei ein Lernprozess gewesen, sagt Ruhkamp:

Wir müssen lernen, uns mit unserer Sozialisierung, als weiße Menschen in einem weißen Kunstkontext, neu zu verorten. Persönlich, identitär, aber auch im Verlust von Deutungshoheit, den sich die europäische Kunstgeschichte so häufig aneignet.

Kuratorin Uta Ruhkamp

Eine Alternative zu patriarchalen Strukturen bieten

Aber es sind eben auch weltweite Gemeinsamkeiten zu erkennen. "Ich komme mir vor, als wäre ich unsichtbar", schreibt die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem feministischen Manifest, das im Katalog abgedruckt ist. Feminismus ist komplizierter geworden im 21. Jahrhundert. "Empowerment" schließt die LGBTQ-Bewegung mit ein. Aber die Abgrenzung der geschlechtlichen Identitäten wirkt eher zersplitternd als stärkend. Kuratorin Katharina Koch ist anderer Meinung: 
"Es geht darum, diese ganzen verkrusteten patriarchalen Machtverhältnisse und Strukturen in Frage zu stellen und gemeinsam eine Alternative bieten zu können, und dafür müssen wir auch wieder zusammenkommen. Aber es ist trotzdem wichtig, in einem Schritt diese einzelnen Identitäten auch ins öffentliche Bewußtsein zu rücken."
"Feminismen" nennen die Kuratorinnen die unterschiedlichen Wege des politischen Aufbruchs. Das reicht bis zur Sorge um den Planeten. Da klingt das Konzept etwas wolkig. Die Kunst aber ist radikal, schockierend, witzig und kraftvoll.
Mit diesem vielschichtigen Blick auf die emanzipatorischen Bewegungen der Gegenwart hat sich auch das Kunstmuseum Wolfsburg nach seiner eigenen Identitätskrise neu positioniert. Und der Mann? Was ist aus dem traditionellen Mann geworden? Bei Monica Bonvicini reitet er immer noch als Cowboy über die Prairie. Nur leider läuft sein Pferd immer am Zaun entlang.

Empowerment
Kunstmuseum Wolfsburg
bis 8. Januar 2023

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