Gabriele Schor (Hrsg): Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er-Jahre aus der Sammlung Verbund, Wien
Prestel-Verlag, München, London, New York 2015
512 Seiten, 59 Euro
Die ironische Aneignung männlicher Posen
"Aktionshose: Genitalpanik" - das ist der Titel eines Werks aus der feministischen Kunstszene der 1970er-Jahre. Sie wird in einem umfangreichen Band vorgestellt: Frauen verfolgten bestimmte Strategien, um ihren Platz im öffentlichen Kunstbetrieb einzufordern.
"ART IS A CRIMINAL ACTION" – so heißt eine Fotomontage der Künstlerin Ulrike Rosenbach aus dem Jahre 1969/1970, die den türkisfarbenen Einband dieses opulenten Buches schmückt. Darauf steht Ulrike Rosenbach breitbeinig da, in der Hand eine Pistole, mit der sie direkt auf den Betrachter zielt. Die Fotografie zitiert Andy Warhols "Double Elvis", doch anstelle des zweiten Elvis Presley hat Ulrike Rosenbach neben die Pop-Ikone ihren eigenen Körper montiert.
Die Aneignung „männlicher" Posen, die gerne mit einem ironischen zur Schau stellen der eigenen Weiblichkeit gewürzt wurde, ist typisch für feministische Kunst der 1970er Jahre. Die Österreicherin Valie Export fotografierte sich 1969 in "Aktionshose: Genitalpanik" mit Lederjacke und Maschinengewehr in einer Jeans, die den Blick auf ihre Scham frei gibt. Und die US-Amerikanerin Lynda Benglis sorgte 1974 für einen handfesten Skandal, als sie splitternackt mit eingeöltem Körper, Sonnenbrille und Riesendildo, der aus ihrem Geschlecht zu wachsen scheint, im Magazin „Artforum" posierte.
Gegen traditionelle Rollenverhältnisse
Diesseits und jenseits des Atlantiks verfolgten Frauen ähnliche Strategien, um ihren Platz im öffentlichen Kunstbetrieb einzufordern. Sie wehrten sich gegen die traditionellen Rollenverhältnisse, die sie als Frauen und Mütter an Heim und Herd fesselten. Ihre künstlerischen Mittel waren die neuen Medien Fotografie, Video und Performance, ihr Material: der eigene Körper.
Es ist eine Schatzsuche, auf die man sich beim Blättern durch insgesamt 500 Werke von 34 Künstlerinnen aus der Wiener „Sammlung Verbund" begibt. Die engagierte Herausgeberin Gabriele Schor trägt seit zehn Jahren feministische Kunst für die Firmensammlung eines österreichischen Stromanbieters zusammen. Viele der Werke sind in Vergessenheit geraten, einige wurden gar nicht als „Kunst" verstanden. So gibt es neben bekannten Namen wie der jungen Cindy Sherman auch Künstlerinnen wie die Österreicherin Birgit Jürgensson zu entdecken, die sich 1975 einen Herd als „Hausfrauenschürze" um den Hals band – plakativer lässt sich der damalige Slogan „das Private ist politisch" kaum in Kunst übersetzen.
Bestandsaufnahme und Kampfansage
Das Buch "Feministische Avantgarde" ist neben einer umfangreichen Bestandsaufnahme zugleich eine Kampfansage: Denn feministische Kunst der 1970er Jahre wird im kunsthistorischen Kanon der Nachkriegszeit gar nicht als eigenständiger Teil der "Avantgarde" gezählt – dazu gehören Pop-Art, Fluxus oder Wiener Aktionismus. Feministische Kunst wurde dagegen noch in den 1990er Jahren als "Hausfrauen-Klage" verspottet, nur zögerlich wird ihr ein kunstgeschichtlicher Rang zugestanden.
Leider verpasst das Buch die Chance, mit dieser "feministischen Avantgarde" ein breites Publikum zu erreichen. Während der opulente Werkskatalog mit ganzseitigen Farbdrucken und kurzen Einführungstexten zu jeder Künstlerin eine echte Fundgrube ist, bewegen sich die einführenden Essays auf dem Level eines gebildeten Diskurses unter Gleichgesinnten. Der Kontext, die gesellschaftliche Sprengkraft, die existenzielle Dringlichkeit dieser Kunst droht für den Laien unter akademischen Fachtermini und Fußnoten zu verschwinden. Schade eigentlich: Wer zuvor mit feministischer Kunst nichts anfangen konnte, den wird auch dieser Band kaum überzeugen. Fans dagegen haben eine neue Bibel gefunden.