Feministische Nachrichtenagentur Jinnews

"Wir stehen auf der Seite der Schwachen"

Kurden in der Stadt Diyarbakir an einem Zeitungsstand (November 2015)
Kurden in der Stadt Diyarbakir an einem Zeitungsstand (November 2015) © dpa / picture alliance / EPA / Sedat Suna
Von Christian Buttkereit |
Jinnews ist eine feministische Nachrichtenagentur in der türkischen Kurdenmetropole Diyarbakir. Die Arbeit des ausschließlich weiblichen Teams ist nicht leicht - immer wieder geraten sie in den Fokus der türkischen Zensoren; eine der Anschuldigungen: Der PKK nahe zu stehen. Doch die Frauen lassen sich nicht unterkriegen.
"Journalismus ist gerade in diesen Zeiten wichtig. Wenn hier etwas passiert, dann spüre ich die Verantwortung, der Öffentlichkeit davon zu berichten", ...
... sagt Safiye Alagas, Chefredakteurin der Nachrichtenagentur Jinnews. Jin heißt auf Kurdisch Frau, denn bei Jinnews besteht die gesamte Belegschaft aus Frauen – von der Fahrerin bis zur Technikerin. Und natürlich Chrefredakteuerin Safiye Alagas:
"Weil wir alle Frauen sind, haben wir einen besonderen Zugang zu den Themen. Zum Beispiel stellen wir bei Fällen von sexuellem Missbrauch mehr den Täter bzw. den Verdächtigten in den Vordergrund und schützen das Opfer. Insbesondere missbrauchte Kinder, damit sie durch die Berichterstattung nicht zusätzlich leiden müssen."

"Vieles ist mit der kurdischen Mentalität verbunden"

Das ist in türkischen Medien leider nicht selbstverständlich. Missbrauchsfälle machen einen großen Teil der Berichterstattung aus. Aber auch ungleiche Arbeitsbedingungen und rassistisch motivierte Gewalt gegen Frauen:
"Vieles vom dem, was hier in der Region passiert, ist mit der kurdischen Identität verbunden. Wenn zum Beispiel ein Polizeibeamter eine Frau sexuell belästigt hat, dann gehen wir davon aus, dass das etwas damit zu tun hat. Die kurdische Identität spielt auch eine Rolle dabei, wenn solche Dinge ungestraft bleiben."
Dass die Öffentlichkeit zumindest davon erfährt – dafür sorgt Jinnews nun seit sechs Jahren. Ihre Nachrichten verbreiten die Journalistinnen im Internet auf Türkisch, Kurdisch, Englisch und Arabisch. Immer wieder haben die türkischen Behörden Jinnews eine Nähe zur als Terroroganisation verbotenen kurdischen PKK unterstellt. Chefredakteurin Alagas weist das zurück:
"Die öffentliche Wahrnehmung ist die, dass wir uns nur um kurdische Dinge oder um PKK-Nachrichten kümmern würden. Das ist aber nicht so. Wir stehen auf der Seite der Schwachen. Es spielt aber keine Rolle, ob es sich bei den Schwachen um Kurden oder Türken handelt."
Auf der Seite der Schwachen sehen die Redakteurinnen auch die Zivilbevölkerung in der kurdischen Enklave Afrin in Nordsyrien. So wie kaum ein anderes Medium berichtet Jinnews darüber, wie die Menschen unter dem Einmarsch der türkischen Armee und ihren Verbündeten leiden. So heißt es heute in einer Schlagzeile "Zwei getötete Frauen innerhalb von 24 Stunden".
"Wir hatten auch schon früher freiwillige Reporterinnen in der Region, die uns von dort aus zugearbeitet haben. Die schicken uns meistens Fotos oder kurze Informationen und Videos zu. Die übernehmen wir dann."

Schon zwei Mal wurde die Agentur per Dekret geschlossen

Ein anderer Bericht zeigt kurdische Frauen, die sich als weibliche Schutzschilde auf den Weg nach Afrin machen. In Augen des türkischen Staates dürfte das Terrorpropaganda sein. Dementsprechend intensiv steht Jinnews unter Beobachtung.
Zweimal bereits wurde die Agentur per Dekret geschlossen, ihre Internetseite sieben Mal blockiert. In der Türkei ist sie heute nur über den Umweg einer ausländischen Verbindung zu öffnen. Trotzdem lassen sich die Redakteurinnen nicht unterkriegen:
"Natürlich haben wir Angst, wie auch nicht? Jeder hat Angst, denn für niemanden sind es sichere Zeiten, weder für uns, noch für andere."
Eigentlich wollten sie heute, am Weltfrauentag, auch mal über etwas Schönes berichten. Aber auch das ist in der Türkei in Zeiten des Ausnahmezustandes gar nicht so einfach:
"In Diyarbakir sind auch am Weltfrauentag viele Aktionen verboten worden. Zum Beispiel ein Fahrrad-Corso der Frauen. Eine bunte Aktion eigentlich. Aber das Gouvernement hat sie verboten, wegen der Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Das fanden wir schon ziemlich lächerlich."
Der ständige Druck durch Politik und Behörden geht auch an den idealistischen Nachtrichtenfrauen nicht spurlos vorbei. Die Redaktion ist von zwischenzeitlich 60 auf 25 Mitarbeiterinnen geschrumpft. Gearbeitet wird zu Hause oder im Cafe, weil sich Jinnews die Miete für das Büro nicht mehr leisten kann.
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