Meinung

Was der Begriff Femizid bedeutet

04:17 Minuten
Ein Graffiti auf einer alten Hauswand "Stoppt Femizide"
Was bedeutet der Begriff? Femizid wird in vielen Diskussionen noch falsch verstanden. © IMAGO / CHROMORANGE / Weingartner-Foto
Ein Kommentar von Jara Streuer |
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Der Begriff Femizid ist längst in der Gesellschaft angekommen. Doch gibt es immer noch Verständnisprobleme. Denn hinter Tötungsdelikten gegen Frauen steht immer auch eine gesellschaftliche Dimension.
Spätestens 2021 ist der Begriff Femizid in der deutschen Gesellschaft angekommen. Er wurde in den Duden aufgenommen und im "Tatort" erwähnt.
Immer häufiger findet man ihn auch in Zeitungsartikeln. Die "FAZ" titelte: „Mutmaßlicher Femizid: Sie starb noch auf dem Schulgelände“. Bei der "taz" hieß es: „155 Femizide in Deutschland: Häusliche Gewalt nimmt weiter zu". Die "Zeit" schrieb: „Femizide in Österreich: Ein sicheres Land – für Männer“.
Schaut man in die zugehörigen Kommentarspalten, zeigt sich aber schnell: Es gibt kein einheitliches Verständnis davon, was ein Femizid ist. Bei "Zeit Online" schreibt jemand: "Bei einer ‚Beziehungstat‘ dürften in der Regel individuelle Motive ausschlaggebend sein; der Begriff ‚Femizid‘ ist da irreführend."
Auf Instagram heißt es in einem Kommentar: „Liest das eigentlich jemand Korrektur, bevor so ein Schwachsinn gepostet wird? Erst schreibt ihr, Femizid ist eine Tötung aufgrund des Geschlechts, aber dann sind die meisten hier genannten Fälle Beziehungstaten.“

Taten von gesellschaftlicher Dimension

Viele Menschen – das zeigen die Kommentarspalten – verstehen Femizid als ein Tötungsdelikt, das begangen wurde, weil jemand Frauen grundsätzlich hasst. Das ist allerdings nicht, was der Begriff Femizid meint, sondern es geht darum, aufzuzeigen, dass auch Taten, die auf den ersten Blick wie etwas Privates erscheinen mögen, eine gesellschaftliche Dimension haben.
Zum Beispiel bei sogenannten Trennungstötungen, wenn Frauen von ihren Expartnern umgebracht werden, nachdem sie die Beziehung beendet haben. Solche Taten sind häufig von einem sexistischen Macht- und Kontrollanspruch des Täters gegenüber dem Opfer geprägt.
Denn nach wie vor sind viele Männer zumindest unbewusst von der Vorstellung geprägt, ihre Frau sei gewissermaßen ihr Besitz. Sie stellen den Wunsch, die Beziehung mit dem Opfer fortzusetzen oder das Opfer jedenfalls an einer neuen Beziehung zu hindern, über die Entscheidung des Opfers, die Beziehung zu beenden. Dieses Muster frauenfeindlicher Gewalt zeigt sich etwa durch überproportional viele weibliche Opfer und männliche Täter, ähnliche Tatvorgeschichten und – als ein, aber nicht als einziges Indiz – vergleichbare Motive der Täter.

Ungenaue Begriffsklärung

Jemand, der seine Expartnerin getötet hat, reflektiert jedoch in der Regel nicht, inwiefern dabei sexistische Vorstellungen gewirkt haben. Wer das kann, würde die Tat wohl nicht begehen. Auch vielen anderen erschließt sich dieser Zusammenhang nicht.
Das liegt allerdings auch daran, wie der Begriff Femizid zum Beispiel in Medienbeiträgen übersetzt und erklärt wird. Femizide werden heute häufig umschrieben als „Tötung einer Frau aufgrund des Geschlechts“ oder „weil sie eine Frau ist“. Das legt eine Deutung von Femiziden als Taten aus generellem Frauenhass nahe.
Doch sollten wir den Begriff Femizid nicht aufgeben. Wir brauchen ihn, um die strukturelle Natur der Taten und den Zusammenhang mit sexistischer Diskriminierung wahrnehmbar zu machen.

Sexistische Denkstrukturen

Dafür muss der Begriff aber auch verständlich sein. Spricht man von einem Femizid, sollte man deshalb nicht mehr zu Begriffserklärungen wie „aufgrund des Geschlechts“ oder „weil sie eine Frau ist“ greifen, sondern den Geschlechtsbezug konkret erläutern, etwa indem der Hintergrund einer Tat erwähnt und immer wieder erklärt wird, warum etwa Trennungstötungen regelmäßig von Vorstellungen geschlechtsbezogener Ungleichwertigkeit geprägt sind.
Die Verwendung des Begriffs Femizid ist immer auch eine Aufforderung, sich mit sexistischen Denkstrukturen auseinanderzusetzen. Das ist notwendig, kann aber auch schwierig und schmerzvoll sein. Wer den Begriff nicht wie einen Code für Eingeweihte verwendet, sondern als einladende Erklärung für alle, kann ihm helfen, sein emanzipatorisches Potenzial zu entfalten.

Jara Streuer ist Akademische Rätin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Internationales Strafrecht an der Universität Münster. Sie hat Rechtswissenschaft in Berlin, Norwich (UK) und Münster studiert und zum Begriff "Femi(ni)zid" und seinen völkerstrafrechtlichen Bezügen promoviert.

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