Nur ein Thema, wenn Rassismus transportiert werden kann
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Nach der Festnahme zweier Afghanen wegen der Tötung ihrer Schwester ist die Diskussion um so genannte "Ehrenmorde" und um Integration im vollen Gang. Anwältin Christina Clemm wundert sich, dass Gewalt gegen Frauen nicht öfter breit diskutiert wird.
Nach der Festnahme zweier Afghanen, die mutmaßlich ihre Schwester ermordet haben, diskutiert Deutschland über so genannte "Ehrenmorde". Das Opfer sei "mutmaßlich aus einem Motiv, das stark auf patriarchalen Strukturen gründet", getötet worden, sagt Christina Clemm.
Die Fachanwältin für Strafrecht und Familienrecht befremdet in der Debatte allerdings, dass der Mord an einer Frau nur unter ganz bestimmten Umständen zu einem breit diskutierten Thema werde.
Patriarchale Strukturen
Denn wenn das Stichwort "Ehrenmord" falle, verlaufe die Debatte auffällig anders als bei vielen anderen Morden an Frauen, merkt die Juristin an, die auch der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts des Bundesjustizministeriums angehörte:
"Auf einmal gibt es dann diese großen Diskussionen: Alle führenden Politikerinnen und Politiker äußern sich dazu, sofort gibt es eine Debatte: Was muss mit diesen mutmaßlichen Tätern passieren?", sagt die Juristin, deren Buch "AktenEinsicht. Geschichten von Frauen und Gewalt" über Monate auf der Sachbuchbestenliste von Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Zeit" stand.
Clemm fragt sich angesichts dieser herausgehoben diskutierten Fälle: "Warum hören wir das nicht bei all diesen anderen Morden?" Nach neuen Zahlen seien vergangenes Jahr wahrscheinlich über 160 Frauen von ihrem Ex-Partner oder Partner getötet worden - also fast jeden zweiten Tag eine. "Warum wird darüber nicht gesprochen? Und warum wird nur dann darüber gesprochen, wenn es eben dazu taugt, auch rassistische Motive mitzutransportieren?"
Der schnelle Fingerzeig auf Andere
Schnell werde dann "Integration" zum Thema, sagt Clemm. "Wenn man zynisch wäre, würde man sagen: Das ist doch eigentlich ein Ausdruck von Integration, denn hier passiert es ja jeden Tag so", spitzt die Anwältin zu: "Es ist immer leicht zu sagen, das sind die anderen, das sind ja nicht wir. Es ist ja nicht unsere Gesellschaft, die genau das zulässt, dass wir ein so massives Problem mit Gewalt gegen Frauen haben."
Das Problem daran sei ihrer Ansicht nach, "immer nur strukturell nachzudenken, wenn es vermeintlich andere betrifft – und nicht mal zu gucken, was wir hier in Deutschland für ein großes, strukturelles Problem mit Gewalt gegen Frauen haben."
Plädoyer für den Begriff "Femizid"
Clemm macht sich daher stark dafür, den Begriff "Femizid" einzuführen. Die Bundesregierung weigere sich immer noch, das zu tun. In Spanien oder lateinamerikanischen Ländern sei dies hingegen schon längst geschehen.
"Wir brauchen Begriffe, um die Phänomene tatsächlich zu verstehen", sagt Clemm. "Wir müssen wirklich gucken, welche Strukturen dazu führen, dass so viele Frauen im sozialen Nahraum umgebracht werden."
Der Großteil der in Deutschland ermordeten Frauen, werde vom eigenen Partner getötet: "Das wird bisher nicht benannt. Deswegen gibt es auch nicht hinreichend Forschungsinstitute. Deswegen gibt es nicht hinreichend Schutz. Deswegen gibt es keine hinreichende Prävention."
Zu wenig Frauenhausplätze
Clemm verweist darauf, dass ein reiches Land wie Deutschland nicht genug Frauenhausplätze habe und dass Frauenberatungsstellen zu wenig Personal hätten, dass es insgesamt für diese Aufgaben zu wenig Geld gebe:
"Es fehlt wirklich an allen Ecken und Enden. Dann ist auch die Frage: Wie schützt man diese Frauen denn wirklich? Wie geht es weiter, wenn sie mal in einem Frauenhaus waren? Wo finden wir Wohnungen? Wie finden sie Arbeit? Es gibt immer noch die großen ökonomischen Abhängigkeiten."
Es gebe viele Ideen, wie man Schutz besser gestalten könnte, sagt sie. "Und da, muss man sagen, da fehlt es in Deutschland noch."
(mfu)