Ferdinand Schmalz: "Mein Lieblingstier heißt Winter"

"Mehr das Hirnkastl aufmachen"

05:29 Minuten
Der Autor Ferdinand Schmalz trägt Hut und Schnauzbart und schaut lachend an der Kamera vorbei
Das Natürliche kann auch das Schreckliche sein: der Dramatiker Ferdinand Schmalz. © picture alliance / Hanz Punz
Von Christoph Leibold |
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Der Österreicher Ferdinand Schmalz gehört zu den meistgespielten Dramatikern der Gegenwart. 2017 gewann er mit "Mein Lieblingstier heißt Winter" den Bachmann-Preis. Nun hat er den Kurztext zu seinem ersten Roman ausgearbeitet.
Es herrscht erbarmungslose Sommerhitze. Franz Schlicht, Fahrer eines Tiefkühlkost-LKW, ist unterwegs zu seinen Kunden. Doch einer von ihnen, Herr Doktor Schauer, verlangt nach etwas völlig anderem als einem kühlenden Eis am Stiel. Schwer krebskrank will er sich in selbstmörderischer Absicht in die Gefriertruhe legen.

Der Eisschrank ist leer

Franz Schlicht ringt er das Versprechen ab, seinen toten Körper später auf eine Waldlichtung zu verfrachten. Doch als Schlicht zurückkehrt, ist der Eisschrank leer, die Leiche verschwunden. So endete schon die Urfassung von "Mein Lieblingstier heißt Winter", mit der Ferdinand Schmalz den Bachmann-Wettbewerb gewann. Was danach passiert, erzählt nun der Roman.
"Dieses Ende hat für mich schon immer einen Ausgangspunkt ergeben für eine größere Erzählung", sagt Schmalz: "Auf der Suche nach der verschwundenen Leiche begegnet Franz Schlicht, der Tiefkühlkostvertreter, einigen skurrilen Vorstadtfiguren."
Aber nicht nur die Figuren, der ganze Plot ist skurril – wobei das Bizarre bei Schmalz kein reiner Selbstzweck bleibt; nicht allein dem Amüsement des Lesepublikums dient. Der Roman ist eine Art philosophische Groteske.

Der Umgang mit dem Tod hat sich radikal verändert

Einige der Personen, denen Schlicht auf der Suche nach der verschwundenen Leiche begegnet, sind Mitglieder eines informellen Selbstmörderclubs, deren Denken um Fragen nach den letzten Dingen und dem richtigen Abgang kreisen, der nicht zwingend der sogenannte natürliche Tod sein muss:
"Weil das Natürliche kann doch das Schrecklichste auch sein (…). Nur weil die Leute sich ihre Natur verklären wollen, weil ihre Vorstellung einer Natur nicht über die Hecken ihrer Kleingärten hinaus noch reicht, heißt‘s nicht, dass automatisch das Natürliche das Bessere sein muss."
Ferdinand Schmalz ist aufgefallen, "dass sich unser Umgang mit dem Tod radikal verändert hat. Wir sterben in sterilen Räumen, umgeben von Maschinen. Vor hundert Jahren waren ganz andere Dinge wichtig: dass man in der richtigen Himmelsrichtung stirbt; dass man vorbereitet ist auf dem Tod; dass man die letzte Salbung, die letzte Ölung noch erhält und mit allen ins Reine kommt. Das hat mich interessiert: Wo hat sich da radikal unser Verhältnis zum Tod und zum Jenseits verändert?"

Den Kopf öffnen und hineingucken

In seinem Roman erzählt Schmalz von Menschen, die sich zu Lebzeiten einmauern oder ihrer Mumifizierung entgegen meditieren – und das mit einer Lust am Morbiden, die deutschen Lesern typisch österreichisch anmuten will. Wohl kein Zufall, dass eines seiner besten Theaterstücke eine Bearbeitung des Spiels vom Sterben des reichen Jedermann seines Landsmanns Hugo von Hofmannsthal ist.
Überhaupt bewegen sich die Schmalz-Dramen in der Tradition des sogenannten kritischen Volkstheaters, dessen Ahnengalerie sich von Ödön von Horváth bis Werner Schwab erstreckt. Wie sie schreibt Schmalz in einem bayerisch-österreichischen Kunstdialekt, geprägt von einer verqueren Syntax.
"Es ist schon eine starke Form, die ich da versuche, zu bedienen", erläutert Schmalz, "in der aber natürlich die Sprache immer wieder über sich selbst stolpert oder in der immer wieder über einen nicht logischen Sprachverlauf auch eine gewisse Wachheit im Denken hergestellt werden soll. So denke ich das zumindest."
In dieser sehr plastischen, stark rhythmischen Sprache hat Schmalz nun auch seinen ersten Roman verfasst, der ihm darüber hinaus ganz neue Perspektiven eröffnet als die Bühne. Das Gehäuse, also den Kopf, eines anderen Menschen zu öffnen, "um dann in ihn, den Menschen, reinzuschauen, wie da die Rädchen ineinandergreifen", das gehe leider nicht, heißt es einmal in "Mein Lieblingstier heißt Winter". Im Roman ist aber genau das möglich. Und Schmalz macht ausgiebig und gekonnt Gebrauch davon.

Ein Faible für das Schmalzige

"Man kann natürlich da noch mehr sezieren, mehr das Hirnkastl aufmachen und reinschauen, wie es funktioniert", sagt Schmalz. "Natürlich versuche ich, das auf der Bühne auch ein bisschen mit Monologen darzustellen. Aber so wie diese Erzählerfigur wie ein Mikroskop arbeitet, so ganz nah rangeht, das ist natürlich was, was am Theater wenig funktioniert."
Ferdinand Schmalz heißt übrigens eigentlich Matthias Schweiger. Den Künstlernamen hat er sich gegeben, weil er ein Faible fürs Schmalzige, Kitschige und für populäre Genres hat – sein Roman beispielsweise trägt Züge eines Krimis.
Vor allem aber, sagt er, ist Schmalz etwas Schillerndes. Auch das passt zu seinem Buch, das einem beim Lesen einem äußerst belebenden Wechselbad der Gefühle aussetzt.
So wie die Handlung mal in die flirrende Hitze der Stadt, mal in die Eisnebel von Gefrierschränken und Leichenschauhäusern eintaucht, schraubt Schmalz auch souverän an der Erzähltemperatur. Tun sich in einem Augenblick noch Abgründe auf, die einem Kälteschauer über den Rücken jagen, geht es schon im nächsten absurd-überhitzt zu. Nur lauwarm-langweilig ist das Buch nie.

Ferdinand Schmalz: "Mein Lieblingstier heißt Winter"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
192 Seiten, 22 Euro

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