Fernsehen im digitalen Wettbewerb

Von Christoph Gehring |
Fernsehen und Internet - das war das Thema auf den 40. Mainzer Tagen der Fernsehkritik. Internetplattformen wie Youtube bieten kostenlos Fernsehen für und von jedermann. Dabei bleibe jedoch sowohl die inhaltliche als auch die technische Qualität auf der Strecke, betonte ZDF-Intendant Markus Schächter. Und verwies auf die vollen Archive der professionellen Fernsehbetreiber, die in den Zeiten des Word Wide Web wieder zum Leben erweckt werden könnten - in bester Bildqualität.
Herrlich mag es gewesen sein, Fernsehen zu machen, als das Fernsehen noch so klang:

"ZDF-Kennung 1963"

Das war die Erkennungsmelodie des Zweiten Deutschen Fernsehens, als es 1963 auf Sendung ging. Bald darauf befand der Gründungsintendant Karl Holzamer, dass das damals neue Medium Fernsehen der kritischen Betrachtung bedürfe, und er rief die Mainzer Tage der Fernsehkritik ins Leben. Die Gemütlichkeit der frühen Jahre ist beim diesjährigen, dem 40. Zusammentreffen der Elite von Fernsehkritikern und Fernsehmachern längst vorbei, die Konkurrenz ist groß und groß die Angst vor

"Youtube - Youtube - Youtube - Youtube "

Youtube, die Plattform, auf der Hinz und Kunz und vor allem die Kids des Internetzeitalters Videoclips von allem und jedem präsentieren können, ist die Chiffre für das World Wide Web an sich, für die Digitalisierung des Fernsehens, der Medien allgemein und des Lebens insgesamt.

"Das, was wir auf Youtube sehen, hält man ja längstens drei, vier Minuten aus. Und wenn wir es länger aushalten, dann wiederum nur weil wir es vielleicht schon hätten sehen können und wir es uns im Grunde genommen nur als Revival, als Zitat uns zu Gemüte führen,"

...sagt Dietrich Leder, Professor an der Kölner Kunsthochschule für Medien und er meint damit, dass das einzig Sehenswerte bei Youtube und den anderen Videoplattformen die - meist raubkopierten - Ausschnitte aus dem Fernsehen sind, die man in einem kleinen Bildschirmfenster in zumeist herzerweichend schlechter Qualität betrachten kann.

Das muss ja nicht sein, findet der Gastgeber der Tage der Fernsehkritik, ZDF-Intendant Markus Schächter. Das professionelle Fernsehen, wie wir es kennen, sitzt nämlich auf berstenden Archiven voller Inhalte, die in den Zeiten des Word Wide Web wieder zum Leben erweckt werden könnten - in bester Bildqualität, versteht sich:

" Ich denke, wir haben allen Grund, als öffentlich-rechtliche Inhaltebetreiber uns auf diese Zeit durchaus mit frohem Mut zu rüsten. Denn auch dort wird gelten: Der Inhalt entscheidet. Und wir als die einzigen, die sich im Prinzip um verwertbare Informationsinhalte kümmern, sind dafür gut ausgestattet. Man könnte sogar einen Schritt weitergehen, zugespitzt: Das Netz mit seinen Verlinkungen, seinen Vernetzungsmöglichkeiten ist die technologische Entsprechung der Breite und der Tiefe der Inhalte, die in den Archiven des Öffentlich-Rechtlichen ruhen."

So der Intendant. Schade eigentlich, dass der Tag nur 24 Stunden hat und der Medienkonsument sich stündlich, ja: minütlich neu entscheiden muss, welchem Medium er seine wertvolle Zeit widmen möchte.

"Es wird eine Konkurrenz um die Aufmerksamkeit geben, um die Zeit, die ich überhaupt am Tag zur Verfügung habe, um solche Angebote wahrzunehmen. Das ist ein Problem, aber es hat vielleicht auch was Gutes fürs Fernsehen: Die Quote, die jetzt noch am anderen Tag in der Zeitung abgedruckt ist, wird nicht mehr so eine Bedeutung haben, weil einzelne Programme an so vielen verschiedenen Stellen abgespielt werden, dass insgesamt die Reichweite eine Rolle spielt und die Resonanz, aber nicht mehr die Quote des Tages."

Der da spricht, ist auf dem Lerchenberg nur zu Besuch: Thomas Leif und er ist in der Nachbarschaft des ZDF, beim Südwestrundfunk in Mainz, Fernsehchefreporter. Und außerdem Vorsitzender des Netzwerkes Recherche, das sich dem exakten, ermittelnden, ehrlichen Journalismus verschrieben hat. Einer Sache also, die es im Internet eigentlich nicht gibt.

"Ich würde sagen, da muss man schon die Nadel im Heuhaufen suchen. Es gibt kaum Journalismus im Netz, es gibt ganz selten Recherche im Netz. Wenn sie mal auf Deutschland bezogen das ansehen, bildblog.de kennen alle, das ist mit journalistischen Kriterien ausgestattete Arbeit, SPIEGEL online kennen alle, aber sie werden danach schon lange suchen müssen, um ein journalistisches Produkt zu finden. Und deshalb glaube ich, dass hier diese Nervosität, die auch auf dem Kongress herrscht, dass man bedroht wird von den Informationen aus dem Netz, etwas überzogen ist."

Im Netz gelten andere Regeln als in der Wirklichkeit des klassischen Fernsehens. Jeder kann mitmachen und jeder muss mitmachen, wenn er nicht in der digitalen Bedeutungslosigkeit verschwinden will. Denn die Vermählung von WWW und TV zu einem umfassenden audiovisuellen Kosmos steht unmittelbar bevor, wie ZDF-Intendanten Schächter weissagt:

"Das Netz und der Schirm, das war mal eine Konkurrenz, aber sie werden sich irreversibel vermischen und man wird in Zukunft nicht mehr unterscheiden können: Was ist Netz, was ist Schirm? Auf dem großen Flatscreen, der in Zukunft im Wohnzimmer steht, wird man das alte, klassische Echtzeitfernsehen erleben, das Live-Fernsehen, man wird das Abruffernsehen dazu haben und die ganze Palette des Internets. All das kommt zusammen und wird sich in vier, fünf Jahren als Selbstverständlichkeit erweisen."

Vor dem technischen Fortschritt sind sie am Ende alle gleich, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die kommerziellen Sender. Sie müssen sehen, wie sie ihre Inhalte an den Zuschauer bringen. Der Weg ist das Web, das Web ist der Weg, glaubt Otfried Jarren, Professor für Publizistikwissenschaft und Medienforschung in Zürich:

"Das trifft alle gleichermaßen. Also das Fernsehen als Fernsehen steht sozusagen vor der Frage, können wir noch das Medium sein, das aktuell berichtet, das eine Programmstruktur vorgibt. Das sicher nicht. Private wie öffentlich-rechtliche werden zunehmen auch Abrufangebote machen müssen und sie werden zugleich diese Angebote in digitale Plattformen verpackt variantenreicher für Zielgruppen als Abrufprogramme machen müssen. Das geht zur Zeit politisch und rechtlich noch nicht, aber logischer Weise wird es diese Angebote geben."

Denn wenn es sie nicht gibt, gibt es kein Fernsehen mehr, jedenfalls keines, das es wert wäre, gesehen zu werden. Sie werden das zu verhindern suchen, die Anstalten von ARD bis ZDF und ihre kommerziellen Komplementäre. Falls sie - wider Erwarten - dabei scheitern, ist es immerhin beruhigend, heute schon zu wissen, wer dereinst daran schuld gewesen sein wird: Die Generation Internet und:

"Youtube - Youtube - Youtube - Youtube "