Fernsehen voller Klischees

Muss man sich dem Zuschauer andienen?

Eine Fernbedienung wird am 09.01.2012 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) in Richtung eines Fernsehers gehalten.
Schauspielerisches Können sollten für eine Rolle ausschlaggebend sein, nicht Hautfarbe oder Nationalität, so Dückers. © picture alliance / dpa / Caroline Seidel
Von Tanja Dückers |
Was ist schlimmer: Im Fernsehen leicht zu erzählen und dabei politisch unkorrekt zu sein, oder den Zuschauer über eigene Vorurteile stolpern lassen? Die TV-Macher sollten sich trauen, ihre Figuren abseits fragwürdiger Klischees zu besetzen, meint die Autorin Tanja Dückers.
Die Schauspielerin Thelma Buabeng, in Ghana geboren, im Rheinland aufgewachsen, ist im Fernsehen und im Theater zu sehen, unter anderem im "Tatort" und bei Castorfs "Faust". Das Comedy-Projekt "Tell me Nothing from the Horse" hat sie ins Leben gerufen.
Buabeng, die von sich selbst sagt "Ich bin ein Kölsche Mädche", ärgert sich, dass Schwarze oder andere People of Color zu oft Rollen spielen müssen, die auf ihre Hautfarbe oder ihre vermeintliche Herkunft Bezug nehmen. Kurz gesagt: Zu oft noch müssen Türkinnen türkische Putzfrauen spielen und orientalisch aussehende Schauspieler arabische Kleinkriminelle. Bei Dreharbeiten musste Buabeng schon mal hören, dass der Zuschauer doch schließlich wissen wolle, wieso sie denn wohl bitte in Deutschland gelandet sei.

Es fehlt an Mut, Sehgewohnheiten zu verändern

Die Schauspielerin, Moderatorin und Sängerin Pegah Ferydoni ist in Berlin auf der Bühne des Maxim Gorki-Theaters oder des Heimathafens Neukölln zuhause. Im Tatort und in Kommissarin Lucas war die Grimme-Preisträgerin auch schon zu sehen. Auch sie beklagt, dass migrantische Schauspieler oft von ihrer Herkunft nicht loskommen könnten. Bei Rollenbesetzungen hieße es oft: "Wir können nicht noch einmal einen Kommissar mit migrantischen Hintergrund nehmen, das hatten wir schon 'mal." Bei einem blonden Schauspieler sage niemand: "Einen blonden hatten wir schon 'mal." "Muss man sich immer selbst thematisieren", fragt Ferydoni, die als Zweijährige mit ihren Eltern - einem Künstlerpaar - vor dem iranischen Khomeini-Regime fliehen musste.
Es scheint, als fehle es hierzulande oft an Mut, Sehgewohnheiten zu verändern. Das Argument mit der Einschalt-Quote ist gleich zur Stelle, wenn es auch nur um vorsichtige Veränderungen der Rollenbesetzungen geht. Die Medienpublizistin Claudia Wick glaubt, dass viele Zuschauer der öffentlich-rechtlichen Anstalten, "die Generation 60 plus", in ihren Sehgewohnheiten bestätigt werden möchten.

Problem: "bräsige Zuschauer"

Doch muss man sich dem Fernsehzuschauer im vorauseilenden Gehorsam andienen? Unterschätzt man den älteren "bräsigen" Zuschauer nicht vielleicht etwas? Ist er wirklich so unbeweglich? Kann man, muss man dem Zuschauer nicht zutrauen, mit einer türkischen Professorin - statt Putzfrau – zurechtzukommen?
Unlängst spielte Thelma Buabeng in einem Film eine Staatsanwältin, ohne dass die Handlung Rekurs auf ihre Hautfarbe genommen hat; sie war einfach eine deutsche Staatsanwältin. Protest hat es keinen gegeben.
Friedemann Fromm, Regisseur unter anderem der erfolgreichen Serie "Weißensee", meint über die oft stereotypen Rollenbesetzungen, ein Hauptgrund sei Bequemlichkeit. In vielen Redaktionen fehle schlicht der Mut, eine Entscheidung zu fällen, die möglicherweise nicht "quotenfreundlich" sei.

Fortschritt statt Anbiederung

Doch progressives Verhalten ist per definitionem etwas, das einen Schritt weiter geht und auch 'mal irritiert. Wer diesen Schritt nicht wagt, stagniert.
Die Medien sollten diesen Schritt vorausgehen und zeigen, dass die Qualifikation eines Schauspielers oder einer Schauspielerin für die Besetzung einer Rolle entscheidend ist und nicht von Nationalität, Herkunft oder Hautfarbe abhängt. Ein Wunsch der alten wie neuen Migranten sei es, hier wie jeder andere wahrgenommen zu werden. Klischees werden verhärtet, wenn sie ständig öffentlich repetiert werden.
Übrigens: In den 40er-Jahren ärgerten sich viele aus dem "Dritten Reich" in den USA ins Exil gegangene Schauspieler, dass sie wegen ihres Akzentes und der Tatsache, aus Deutschland zu stammen, so oft Nazis in Filmen spielen mussten.

Tanja Dückers, *1968 in Berlin (West), Schriftstellerin, Publizistin, Literaturwissenschaftlerin. Zu ihren Werken zählen u. A. die Romane "Himmelskörper", "Der Längste Tag des Jahres", "Spielzone" und "Hausers Zimmer", der Essayband "Morgen nach Utopia" sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Zuletzt erschien der autobiographisch gefärbte Rückblick "Mein altes West-Berlin". Tanja Dückers schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für die ZEIT Online und das DeutschlandRadio. Leitung von Schreibwerkstätten im In- und Ausland, u. A. in Belarus, Indien, Kenia und den USA. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

© Anton Landgraf
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