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"Johann Sebastian doppelt gefiltert"
Kunst, Empfindung, Fantasie: Diese Eigenschaften bewunderte Ferruccio Busoni an Johann Sebastian Bach. Mit seinen Bearbeitungen schuf der italienische Komponist und Pianist um 1900 einen eigenen "Bach-Sound", der noch heute eine Herausforderung darstellt.
Unter den großen Geistern, die die Musik hervorgebracht hat, war Ferruccio Busoni (1866-1924) der weltumspannende, der sich mühelos zwischen Sprachen und Kulturen bewegte. Dem Sohn eines italienischen Klarinettisten und einer deutschstämmigen Pianistin, der es als Klaviervirtuose schnell zu Weltruhm brachte, heiratete in Moskau eine Schwedin, die er in Finnland kennengelernt hatte.
In die Wiege gelegt war ihm zunächst buchstäblich das Erbe der italienischen Tradition, hatte man ihm doch die Zweitnamen Dante Michelangelo Benvenuto und damit gleichsam die halbe italienische Renaissance auf den Lebensweg mitgegeben. In der Tat wurde Busoni zum universal gebildeten Feingeist, zum Renaissancemenschen par excellence – und doch streifte er diese Namen ab, um dann seinen Hund, einen Bernhardiner, nach dem Maler Giotto zu nennen. Ein Foto zeigt die beiden würdigen Gestalten gleichsam auf Augenhöhe.
Von Allah bis Bach
Der Name aber, der sich mit Busoni schicksalhaft verbunden hat, ist der Johann Sebastian Bachs. "Bach-Busoni", so lautet das verlegerische Bindestrich-Konstrukt, das die zahlreichen von Busoni bearbeiteten Bach-Ausgaben bezeichnet. In ihnen finden sich Anpassungen barocker Claviermusik für moderne Konzertflügel, in denen vor allem der Pedalgebrauch eine gänzlich unbarocke Rolle spielt. Darüber hinaus gibt es äußerst virtuose, vielstimmige Arrangements von Orgelwerken und Transkriptionen gänzlich anderer Bach-Werke, etwa der Chaconne aus der Violinpartita d-Moll.
Busonis weiteres Schaffen wird dagegen nur wenig beachtet, etwa seine Opern oder sein romantisch-symbolistisches Klavierkonzert, das nach 75 Minuten Spieldauer mit einer – von einem Männerchor vorgetragenen – Hymne an Allah endet. Das Titelblatt des Notendrucks wurde von dem Maler Heinrich Vogeler aus Worpswede gestaltet. In diesem Umkreis erscheint auch Rainer Maria Rilke, dem Busoni 1907 seine visionäre Schrift "Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst" widmete. Hans Pfitzner verdammte das Werk, Arnold Schönberg bewunderte es, und heute lässt sich vermuten, dass für einen wie Busoni die Zeit noch gar nicht gekommen ist.
Halten wir uns einstweilen an "Bach-Busoni", an jenes vollgriffige Fantasie-Barock, das hier in sehr unterschiedlichen Lesarten etwa von Vladimir Horowitz, Jorge Bolet, Dinu Lipatti und nicht zuletzt von Busoni selbst zu erleben ist – dank des geheimnisvollen mechanischen Aufnahmeverfahrens der historischen Firma Welte-Mignon.
Bachs Größe Raum geben
Der Geschmack hat sich gewandelt, aber ganz ist die Zeit über diesen explizit unauthentischen Bach nicht hinweggegangen. Und wer weiß, wie es um unsere heutigen Bach-Kenntnisse stehen würde, wenn nicht Künstler wie Busoni diese Musik für die Konzertsäle erschlossen hätten. "Meinem Vater", so Busoni im Rückblick, "verdanke ich den Segen, daß er mich in meiner Kindheit strengstens zum Studium Bachs anhielt; und dies zu einer Zeit und in einem Lande, wo der Meister nicht viel mehr galt als ein Carl Czerny." Eine seiner Bach-Ausgaben begründete Busoni mit dem "Wunsch, ein größeres Publikum für diese an Kunst, Empfindung und Phantasie so reichen Kompositionen des Meisters zu interessieren".
Diesen Beitrag wiederholen wir aus dem Jahr 2014; die ursprünglich geplante Sendung über einen anderen Großmeister der Klaviermusik – Charles-Valentin Alkan – musste aus aktuellem Anlass leider verschoben werden.