Festival europäischer Regisseure
An der Berliner Schaubühne findet derzeit das Festival Internationale Neue Dramatik (F.I.N.D) statt. Noch bis zum 11. März werden hier neue Arbeiten zeitgenössischer Autoren und Theatermacher gezeigt - darunter viele international renommierte Ensembles.
"So. Er stieg zurück in sein Auto, setzte sich rein, fuhr davon, bog um die Ecke, ich hörte noch die Reifen quietschen, dann dachte ich: Gott sei Dank, der Typ fährt weg, ich kann in aller Seelenruhe in das Hotel gehen."
Eine Seitenstraße des Kurfürstendamms in Berlin, der Eingang zu einem Hotel. Eine Gruppe von acht Zuschauern steht vor einem abgestellten Wagen, dem eine elegant gekleidete Dame entstiegen ist. Hier beginnt "Hotel Bogota", eine Folge von fünf Dramoletten, die die in Gruppen aufgeteilte Zuschauerschaft quer durch das angestaubte Etablissement verfolgen kann, in der intimen Situation der Nähe zu den Akteuren und ihren bizarren Lebensgeschichten.
"Jetzt ist er offenbar Schriftsteller geworden, und hat ein Reisestipendium in genau dieselbe Stadt bekommen, die du in deiner Jugend bereist hast und zuerst denkst du, dass er deshalb angefangen hat, dich hier in diesem Altersheim zu besuchen ..."
Eine rätselhafte Zeitreise erlebt die Protagonistin in Jonas Hassen Khemiris Auftragsstück der Schaubühne. Andere Geschichten führen durch das Zimmer einer nymphomanischen Dame in Sylvain Leveys "Gottesanbeterin" bis auf den Balkon vor Zimmer 433, wo ein durchgedrehter Börsenhändler dem Zimmermädchen an die Wäsche will. Schnell aber erweist er sich dann doch nur als ein neurotischer, egomanischer kleiner Junge, der alle seine Körpersäfte bei sich behalten will, um nur ja die letzte Aggression beim Geldmachen aus sich rauszuholen.
"L'impasse, I am what I am."
Mickael Serré versucht, nunmehr im Studio der Schaubühne eine Fusion aus individuell erlebter Verzweiflung und gesellschaftlicher Aussichtslosigkeit. Für seine Installation "L'impasse, I am what I am" hat er Franz Xaver Kroetz "Wunschkonzert", das die letzten Stunden einer Selbstmörderin anhand alltäglicher Verrichtungen schildert, mit Splittern aus "Der kommende Aufstand" des unsichtbaren Komitees kollagiert.
Aber diese aus Frankreich kommenden Texte über Revolte und das Ende der kapitalistischen Gesellschaft verdoppeln in der kurzen Aufführung nur auf anderer Ebene die Erfahrung der Aussichtslosigkeit.
Die F.I.N.D - Macher haben im Gegensatz zu den ersten Jahren auf einen Länder- oder Themenfokus verzichtet, was dem Programm einen Allerlei-Charakter verleiht. Aber etwas anderes könnte, wie Schaubühnenchef Thomas Ostermeier erklärt, im Programm einen roten Faden bilden:
"Wir haben uns ja davon verabschiedet, entweder einen regionalen Fokus zu setzen oder Themen zu setzen. Das haben wir hier am Haus auch bei unseren Spielzeiten nie getan. Wir versuchen ja eher, den Regisseuren oder den Autoren die Möglichkeit zu geben, ihre Stoffe zu finden. Wir haben uns eigentlich nur unter der Maßgabe auf dieses Programm geeinigt, dass viele Theatermacher ihre eigenen Autoren sind und viele Autoren zu ihren eigenen Regisseuren werden."
Mit einer Computeranimation beginnen Warlikowskis gewaltige, auf viereinhalb Stunden angelegte "Afrikanische Erzählungen", eine Kollage aus verschiedenen Shakespeare-Stücken mit Texten des südafrikanischen Nobelpreisträgers Coetzee. Ein alter Mann und eine junge Frau erscheinen wie Schemen in einem Restaurant und unterhalten sich über ihre unmögliche Liebe.
Und wenn sich die große Bühne dann mit leibhaftigen Schauspielern des Warschauer Neuen Theaters füllt, beginnt die Reise durch Erfahrungen des gesellschaftlichen Ausschlusses mit der berühmten Erbschaftsszene aus Shakespeares "Lear". Später wird der vorzügliche Adam Ferency den Juden Shylock und schließlich den Moor Othello verkörpern und jedes Mal auf eine Gesellschaft stoßen, deren Gefühle, Gesetze oder Triebe ihn zum Außenseiter stempeln.
Das polnische Gastspiel wurde ebenso wie viele andere Programmbeiträge des diesjährigen F.I.N.D nur durch das europäische Theaternetzwerk Prospero möglich, wie Schaubühnen-Produktionsleiter Tobias Veit erklärt:
"Dieses Jahr haben wir beantragte Mittel nicht bekommen und sind aber Gott sei Dank organisiert in einem europäischen Netzwerk und innerhalb dieses Netzwerkes haben wir eben die Möglichkeit Einladungen auszusprechen. Im Rahmen der Berlin-Moskau-Städtepartnerschaft konnten wir die Inszenierungen der russischen Fräulein Julie hier einladen."
Thomas Ostermeiers am Moskauer Theater der Nationen erarbeitete "Fräulein Julie", sehr frei nach August Strindberg, spielt auf einer abweisenden Edelstahlfläche mit Edelstahlküche vor schwarz verhängten Hinter- und Seitenwänden, vor denen unentwegt der Schnee herabrieselt. Schwindel löst diese Bühnenbildvorgabe aus, einen milden Taumel, der als stummer Kommentar der Natur zur psychologischen Irrfahrt der drei Figuren eines Stücks passt, das Ostermeier zusammen mit dem russischen Dramatiker Michail Durchenkow sehr klug in heutige russische Verhältnisse übersetzt hat. Was bei Strindberg Ständeunterschiede waren, sind hier die unüberwindlichen Klassenunterschiede eines entfesselten postsozialistischen Kapitalismus.
Das russische und das polnische Gastspiel, vor allem ersteres früher Höhepunkt des Eröffnungswochenendes, zeigen aber auch eine langsame Veränderung des Festivals an: Strindberg und Shakespeare sind, auch nach massiven Eingriffen ihrer Regisseure und Adaptateure immer noch unverkennbar klassisches dramatisches Material. Das Festival internationale neue Dramatik wird also immer mehr, diesmal angefüttert durch Repertoirepositionen der Schaubühne, ein Festival etablierter europäischer Regisseure.
Eine Seitenstraße des Kurfürstendamms in Berlin, der Eingang zu einem Hotel. Eine Gruppe von acht Zuschauern steht vor einem abgestellten Wagen, dem eine elegant gekleidete Dame entstiegen ist. Hier beginnt "Hotel Bogota", eine Folge von fünf Dramoletten, die die in Gruppen aufgeteilte Zuschauerschaft quer durch das angestaubte Etablissement verfolgen kann, in der intimen Situation der Nähe zu den Akteuren und ihren bizarren Lebensgeschichten.
"Jetzt ist er offenbar Schriftsteller geworden, und hat ein Reisestipendium in genau dieselbe Stadt bekommen, die du in deiner Jugend bereist hast und zuerst denkst du, dass er deshalb angefangen hat, dich hier in diesem Altersheim zu besuchen ..."
Eine rätselhafte Zeitreise erlebt die Protagonistin in Jonas Hassen Khemiris Auftragsstück der Schaubühne. Andere Geschichten führen durch das Zimmer einer nymphomanischen Dame in Sylvain Leveys "Gottesanbeterin" bis auf den Balkon vor Zimmer 433, wo ein durchgedrehter Börsenhändler dem Zimmermädchen an die Wäsche will. Schnell aber erweist er sich dann doch nur als ein neurotischer, egomanischer kleiner Junge, der alle seine Körpersäfte bei sich behalten will, um nur ja die letzte Aggression beim Geldmachen aus sich rauszuholen.
"L'impasse, I am what I am."
Mickael Serré versucht, nunmehr im Studio der Schaubühne eine Fusion aus individuell erlebter Verzweiflung und gesellschaftlicher Aussichtslosigkeit. Für seine Installation "L'impasse, I am what I am" hat er Franz Xaver Kroetz "Wunschkonzert", das die letzten Stunden einer Selbstmörderin anhand alltäglicher Verrichtungen schildert, mit Splittern aus "Der kommende Aufstand" des unsichtbaren Komitees kollagiert.
Aber diese aus Frankreich kommenden Texte über Revolte und das Ende der kapitalistischen Gesellschaft verdoppeln in der kurzen Aufführung nur auf anderer Ebene die Erfahrung der Aussichtslosigkeit.
Die F.I.N.D - Macher haben im Gegensatz zu den ersten Jahren auf einen Länder- oder Themenfokus verzichtet, was dem Programm einen Allerlei-Charakter verleiht. Aber etwas anderes könnte, wie Schaubühnenchef Thomas Ostermeier erklärt, im Programm einen roten Faden bilden:
"Wir haben uns ja davon verabschiedet, entweder einen regionalen Fokus zu setzen oder Themen zu setzen. Das haben wir hier am Haus auch bei unseren Spielzeiten nie getan. Wir versuchen ja eher, den Regisseuren oder den Autoren die Möglichkeit zu geben, ihre Stoffe zu finden. Wir haben uns eigentlich nur unter der Maßgabe auf dieses Programm geeinigt, dass viele Theatermacher ihre eigenen Autoren sind und viele Autoren zu ihren eigenen Regisseuren werden."
Mit einer Computeranimation beginnen Warlikowskis gewaltige, auf viereinhalb Stunden angelegte "Afrikanische Erzählungen", eine Kollage aus verschiedenen Shakespeare-Stücken mit Texten des südafrikanischen Nobelpreisträgers Coetzee. Ein alter Mann und eine junge Frau erscheinen wie Schemen in einem Restaurant und unterhalten sich über ihre unmögliche Liebe.
Und wenn sich die große Bühne dann mit leibhaftigen Schauspielern des Warschauer Neuen Theaters füllt, beginnt die Reise durch Erfahrungen des gesellschaftlichen Ausschlusses mit der berühmten Erbschaftsszene aus Shakespeares "Lear". Später wird der vorzügliche Adam Ferency den Juden Shylock und schließlich den Moor Othello verkörpern und jedes Mal auf eine Gesellschaft stoßen, deren Gefühle, Gesetze oder Triebe ihn zum Außenseiter stempeln.
Das polnische Gastspiel wurde ebenso wie viele andere Programmbeiträge des diesjährigen F.I.N.D nur durch das europäische Theaternetzwerk Prospero möglich, wie Schaubühnen-Produktionsleiter Tobias Veit erklärt:
"Dieses Jahr haben wir beantragte Mittel nicht bekommen und sind aber Gott sei Dank organisiert in einem europäischen Netzwerk und innerhalb dieses Netzwerkes haben wir eben die Möglichkeit Einladungen auszusprechen. Im Rahmen der Berlin-Moskau-Städtepartnerschaft konnten wir die Inszenierungen der russischen Fräulein Julie hier einladen."
Thomas Ostermeiers am Moskauer Theater der Nationen erarbeitete "Fräulein Julie", sehr frei nach August Strindberg, spielt auf einer abweisenden Edelstahlfläche mit Edelstahlküche vor schwarz verhängten Hinter- und Seitenwänden, vor denen unentwegt der Schnee herabrieselt. Schwindel löst diese Bühnenbildvorgabe aus, einen milden Taumel, der als stummer Kommentar der Natur zur psychologischen Irrfahrt der drei Figuren eines Stücks passt, das Ostermeier zusammen mit dem russischen Dramatiker Michail Durchenkow sehr klug in heutige russische Verhältnisse übersetzt hat. Was bei Strindberg Ständeunterschiede waren, sind hier die unüberwindlichen Klassenunterschiede eines entfesselten postsozialistischen Kapitalismus.
Das russische und das polnische Gastspiel, vor allem ersteres früher Höhepunkt des Eröffnungswochenendes, zeigen aber auch eine langsame Veränderung des Festivals an: Strindberg und Shakespeare sind, auch nach massiven Eingriffen ihrer Regisseure und Adaptateure immer noch unverkennbar klassisches dramatisches Material. Das Festival internationale neue Dramatik wird also immer mehr, diesmal angefüttert durch Repertoirepositionen der Schaubühne, ein Festival etablierter europäischer Regisseure.