Argentinischer Tango als politisches Statement
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Jeans und Turnschuhe statt Smoking und Glitzerkleid: Die Bands der alternativen Tango-Szene in Argentinien haben mit einer verstaubten Tangomusik gebrochen. Beim Independent Tango-Festival FACAFF in Buenos Aires geht es etwa auch um Politik.
Der Club Atlético Fernández Fierro in Buenos Aires wirkt nicht wie ein Tangosaal – eher wie ein alternativer Rock- oder Punkmusik-Club. Das Licht ist schummrig und das Mobiliar abgewetzt, das Publikum holt sich Bier von der Bar. Auf der Bühne präsentieren sich keine Musiker im Smoking, keine Sängerinnen im Glitzerkleid, keine Tänzerinnen mit Netzstrümpfen. Die Orchester, die beim Independent Tango-Festival FACAFF auftreten, tragen Jeans und Turnschuhe und spielen keine nostalgischen Melodien, die in der Zeit stehen geblieben sind, sondern Musik, die etwas mit dem Argentinien von heute zu tun hat – sagt Walter Coccaro, Organisator des Festivals:
"Zwar sind viele Tango-Melodien zeitlos, aber die Inhalte spiegeln unsere Lebenswirklichkeit nicht wider. Junge Tango-Musiker schreiben heute Texte, die aktuelle soziale Themen aufgreifen."
Es sind nicht nur die Texte – auch ein besonderer Klang kennzeichnet viele der neuen Tango-Orchester, die seit der Jahrtausendwende in Argentinien entstanden sind. Eines der ersten war das Orquesta Típica Fernández Fierro, der Gastgeber des Festivals FACAFF. Mit seinem rasanten, furiosen, ja wütenden Sound hat das Orchester in den letzten zwei Jahrzehnten ein großes junges Publikum erobert, das vorher kein Interesse an Tangomusik hatte. Gründungsmitglied Flavio Reggiani, ein Bandoneon-Spieler mit Dreadlocks:
"Unser Orchester ist so entstanden, wie eine Rockband entsteht: Aus der Lust, gemeinsam zu spielen und Neues auszuprobieren, eine neue musikalische Ästhetik zu suchen. Unser Tango ist rebellisch und sogar anklagend. Wir spielen gegen Dinge an, mit denen wir nicht einverstanden sind - unsere Absicht ist nicht, talentiert oder virtuos zu klingen."
Etwas Eigenes und Innovatives machen
Tango also als Protestmusik in einem Argentinien, das chronisch unter Krisen und krasser sozialer Ungerechtigkeit leidet. Aber nicht alle Ensembles, die beim FACAFF auftreten, sehen ihre Musik als politisches Statement. Gemeinsam ist den Festival-Teilnehmern, dass sie etwas Eigenes und Innovatives machen, dass sie gebrochen haben mit einer verstaubten Tangomusik, die zu einer Art Museumsstück für Touristen verkommen war. So zum Beispiel die Sängerin Patricia Malanca.
Patricia Malanca ist eine der originellsten und kraftvollsten Künstlerinnen des argentinischen Independent Tango. Sie fusioniert die Musik ihrer Heimat, etwa mit kubanischen Nueva Trova-Klängen, und schreibt fast alle ihre Texte selbst - eine Neuheit in dem traditionell männlich dominierten Genre, in dem Machismo die Inhalte vieler Tangos prägte. Beim diesjährigen FACAFF sind Frauen so präsent wie nie zuvor auf den Tango-Bühnen von Buenos Aires, wo sie früher meist nur sangen. Heute spielen sie auch Bandoneon, Klavier oder Kontrabass und treten selbstbewusst mit eigenen Orchestern auf.
"Der Tango ist absolut lebendig"
"Das ist ein echtes Phänomen. Wir sind nicht drei oder vier Musikerinnen, sondern 40, 50, und wir werden Spuren hinterlassen", sagt Patricia Malanca. Für sie spiegelt die Independent Tango-Szene gesellschaftliche Veränderungen wider, und das Erstarken der argentinischen Frauenbewegung mit ihrem Eintreten gegen Gender-Gewalt ist nur eine davon.
"In den letzten 20 Jahren hat der unabhängige Tango dafür gekämpft, etwas Neues zu erschaffen – statt Tote zum Leben zu erwecken. Heute ist der Tango absolut lebendig."
(abr)