Feminismus-Festival in Berlin
Die indische Dichterin und Aktivistin Sabika Abbas eröffnete das Berliner Feminismus-Festival mit einem Gedicht über schamlose Frauen, hier bei einer Performance. © Tejinder Singh
Der Kampf für die Rechte von Frauen hat viele Gesichter
05:38 Minuten
Seit 1872 ist das Wort als Streitbegriff über die Gleichberechtigung schriftlich verbürgt: Feminismus. Was bedeutet er 150 Jahre später? Dazu haben das Goethe-Institut und die Berliner Sophiensäle drei Tage lang Frauen aus vielen Ländern eingeladen.
Mit einem flammenden Gedicht eröffnet die indische Dichterin und Aktivistin Sabika Abbas das Berliner Feminismus-Festival. „Bescharmin“ – Schamlosigkeit, gewidmet allen Frauen, die schamlos ihr Recht einfordern am Himmel, an der Erde zu reden, zu leben, aufzubegehren, sich zu befreien, zu tanzen.
Ja, überall auf der Welt kämpfen Frauen den gleichen Kampf, sagt Urvashi Butalia aus Neu-Delhi: „Feministinnen auf der ganzen Welt geht es um Gewalt gegen Frauen, Gesundheit von Frauen, politische Rechte.“ Die Historikerin, Literaturwissenschaftlerin und Gründerin eines feministischen Verlags zählt zu den führenden Feministinnen Indiens.
Ein Himmel, viele Stimmen
„Kaste, Religion: Das alles spielt eine Rolle für Feminismus in Indien“, erklärt sie. „Für mich aus einer privilegierten Klasse ist es leicht, jede Religion abzulehnen, aber eine Frau aus der armen Unterschicht kann sich vielleicht nur innerhalb der Religion ausdrücken und Freiraum bieten ihr einzig traditionelle religiöse Feste.“
Als Beispiel nennt sie den Straßenprotest vor zwei Jahren gegen das neue Bürgerschaftsgesetz der herrschenden hindu-nationalistischen Regierungspartei BJP, der von muslimischen Frauen im traditionellen Hidschab dominiert wurde. Der Kampf für die Rechte von Frauen hat viele Gesichter:
Die Homepage des Festivals „Frequenzen. Feminismen global“ zeigt ein Bild der afghanischen Künstlerin Nabila Horaksh: Eine Gruppe junger Frauen mit weißen Kopftüchern. „Ich habe sie ohne klare Gesichter gemalt, weil ihnen die Gesellschaft ihre Identität raubt. Sie sollen aus der Gesellschaft und aus der Geschichte verschwinden“, erklärt die Künstlerin.
Ein Leben auf der Schaukel
Vor drei Monaten gelang Horaksh über Pakistan die Flucht nach Deutschland. Viele der Festival-Teilnehmerinnen teilen die Erfahrung der zurückgelassenen Heimat. Die ägyptische Theatermacherin und Regisseurin Abeer Ali lebt seit ein paar Jahren in Berlin.
Ein Leben auf der Schaukel – zwischen Heimweh und neuer Freiheit und neuer Einsamkeit ohne die alles kontrollierende Familie, die aber eben auch Schutz bietet. Mit ihrem multi-ethnischen Frauenensemble „Heschek-Beschek“ hat sich Abeer Ali die eigene Wahlfamilie erfunden.
Ihr Stück „Unfamiliar – Unvertraut“ ist eine melancholische Revue: Abeer besingt ihre Heimatstadt Alexandria, ihre Mitmusikerin Damaskus. Heimatorte, die irgendwann keinen Raum mehr boten für selbstbestimmtes Leben. Am Ende stimmen alle den Hildegard-Knef-Evergreen „In dieser Stadt war ich zuhause“ an.
Fremd im eigenen Land
Die Erfahrung schamloser Frauen, fremd im eigenen Land zu sein, ist nicht an einen Ort und eine Kultur gebunden. In ihrem Kampf setzen Frauen auf unterschiedliche Strategien. Die afghanische Künstlerin Abila Horaksh setzte sich in Kabul dafür ein, gemeinsam mit ihren männlichen Kollegen zu arbeiten.
Und auch bei diesem Festival hatten Männer einen Ort: Beim Stammtisch zu Männlichkeit diskutierten schamlose Männer ihre Geschlechterrollen. „Was macht Gender? Warum funktioniert es so gut?“, fragte der Rapper, Musikproduzent und bekennende trans Mann Sir Mantis.
„Es gibt Sicherheit und das ist eben das Perfide, warum man sich unwohl fühlt, aus dieser Rolle rauszugehen. Und wenn man als Kind in diese Rollen reinwächst, ist das immer eine Gewalterfahrung und das passiert allen irgendwo.“
Ja, überall, wo Frauen für ihr Recht, selbstbestimmt zu leben, kämpfen, kämpfen sie für das Recht aller: Männer wie Frauen. Und Nein, Feminismus in Indien, Afghanistan, in Deutschland oder in den USA ist nicht identisch. Unterdrückung hat viele Gesichter, nur der Himmel, den Sabika Abbas einfordert, geht über allen auf, Frauen und Männern, egal, wo sie unterdrückt, verfolgt und ermordet werden.