Ukrainer und Russen beim "goEast" in Wiesbaden

Ein Filmfestival unter dem Einfluss des Krieges

05:47 Minuten
Filmstill aus "Klondike" von der ukrainischen Regisseurin Maryna Er Gorbach
Nicht abgesagt: Der Film "Klondike" von der ukrainischen Regisseurin Maryna Er Gorbach läuft im Wettbewerb. © goEast
Von Christian Berndt · 23.04.2022
Audio herunterladen
In Wiesbaden läuft gerade eines der wichtigsten Festivals für den ost- und mitteleuropäischen Film – das "goEast". Der Krieg in der Ukraine überschattet das Programm. Schwarz-Weiß-Denken soll hier vermieden werden. Doch leicht ist das nicht.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat schon vor der Eröffnung des 22. goEast-Festivals das Programm ordentlich durcheinandergewirbelt. Die Festivalleitung hat beschlossen, zusätzlich weitere ukrainische Filme ins Programm zu nehmen. Russische Beiträge wurden reduziert.
„Wir zeigen nur Filme, die keine staatliche Förderung bekommen haben, also unabhängige Filme, und wir haben auch russische Filmschaffende, die staatliche Finanzierung bekommen haben für ihre Filme, gebeten, ihre Filme zurückzuziehen aus dem Programm.“
Sonst hätten, meint Festivalleiterin Heleen Gerritsen, die ukrainischen Filmschaffenden wohl nicht teilgenommen.

Ukrainer und Russen diskutieren nicht gemeinsam

Keinesfalls will man die Begegnung zwischen Ukrainern und Russen auf dem Festival forcieren, deshalb hat das Festival zu einer Diskussionsveranstaltung über den Boykott russischer Filme keine Russen eingeladen.
„Ich werde auch ständig gefragt nach Brückenbauerfunktionen, die unser Festival ja hat. Das stimmt auch, aber ich will diese Brücke bauen zwischen Deutschland, dem Westen, und Osteuropa, weil da so viel Unverständnis herrscht. Und da wird jedes Mal darauf bestanden, dass wir doch bitte Brücken zwischen Russland und der Ukraine bauen sollen, ich finde das einfach anmaßend.“

Absagen aus der Ukraine

Aber trotz der Versuche, die Vorbehalte der Ukrainer in Teilen zu berücksichtigen, gab es Absagen - etwa der ukrainischen Regisseurin Alina Gorlova. Deren Film „This Rain Will Never Stop“ hat beim letztjährigen goEast-Festival den Hauptpreis gewonnen.
Nicht nur die Entscheidung, einen Film des mittlerweile verstorbenen, und ihrer Meinung nach, chauvinistischen russischen Regisseurs Rogoschkin zu zeigen, stört Gorlova. Sie findet auch, dass Kultur immer auch Teil der imperialistischen Politik Russlands gewesen sei. Deshalb könne die Filmkunst nicht vom russischen Angriffskrieg getrennt werden.
An der Diskussionsveranstaltung zur Boykottfrage nimmt Gorlova aber von Kiew aus online teil, und sie würde auch mit russischen Kollegen diskutieren. Es sei nur fair, Russen bei einer Diskussion über den Boykott ihrer Filme dabei zu haben.

Ukrainischer Film "Klondike" im Wettbewerb

Nicht abgesagt hat die ukrainische Regisseurin Maryna Er Gorbach, deren Film „Klondike“ im Wettbewerb läuft.
Maryna Er Gorbach hat kein Problem damit, den russischen Filmschaffenden Hallo zu sagen, aber sie wird sich keinen ihrer Filme anschauen. Und sie wird auch nicht mit ihnen auf einem Podium sitzen.
Am Tag des russischen Angriffs hätten alle an die russischen Kollegen geschrieben: Bitte helft uns! Aber die Russen hätten geschwiegen. Sie versteht, meint Er Gorbach, dass die russischen Filmschaffenden Angst haben, aber dann sollten sie sich wenigstens nicht über den Boykott ihrer Filme beschweren.

Fragen des Boykotts umstritten

Festivals seien wichtig für Filmschaffende, aber nichts im Vergleich zum Krieg. Darin sind sich alle ukrainischen Filmemacherinnen einig, was die Details des Boykotts betrifft, gibt es Unterschiede. Der belarussische Regisseur Ruslan Fedotov, der mit seinem in Russland spielenden und koproduzierten Film im Wettbewerb vertreten ist, hat vollstes Verständnis für die Boykottforderungen. Aber er findet einen generellen Boykott falsch.
Still aus dem Dokumentarfilm des belarussischen Regisseurs Ruslan Fedotov „Wo geht’s hin“
„Wo geht’s hin“ - seine ukrainischen Freunde, sagt der belarussische Regisseur Fedotov, waren von seinem Film begeistert.© goEast
Seine ukrainischen Freunde, sagt Fedotov, waren von seinem Film begeistert. Er hat den Dokumentarfilm „Wo geht’s hin“ in der Moskauer U-Bahn gedreht, und dort erlebt man nicht nur ein interessantes Kaleidoskop russischen Alltags, sondern auch eine verstörend militarisierte Gesellschaft mit Horden als Soldaten kostümierter Männer.
Es ist ein beängstigender Film, sagt Fedotov, der gerade in Budapest studiert. Als Fedotov den Film einem ungarischen Lehrer zeigte, hätte der zu ihm gesagt: Jetzt würde ihm einiges klarer über diesen Krieg.

Lässt sich trennen zwischen Kunst und Regime?

Fedotov versteht nicht, warum man einen solchen Film boykottieren sollte - die georgische Dokumentarfilmerin Salomé Jashe hingegen, die in der Jury von Wiesbaden sitzt, schon: Viel wichtiger wäre, diese regimekritischen Filme dem russischen Publikum zu zeigen.
Und Jashe findet, dass auch kritische Filmemacher Repräsentanten ihres Landes sind. In dieser Situation zwischen Kunst und Regime zu trennen, sei illusorisch – so wäre auch kaum vorstellbar, dass ein russischer Film den goEast-Wettbewerb gewinnt. Deswegen sei es auch im Moment nicht fair, russische Filme in Festivalwettbewerben zu zeigen. Denn diese Beiträge aufgrund ihrer künstlerischen Qualität zu prämieren, würde sich wohl kaum ein Festival erlauben.
Die westeuropäischen Filmfestivals erklären gerne, dass sie dem Schwarz-Weiß-Denken, wie es in Kriegszeiten herrscht, Nuancen entgegensetzen wollen. Aber das ist wohl viel komplizierter als es auf den ersten Blick scheint.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema