Musik von Menschen, Computern und Außerirdischem
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Beim Festival inSonic bewegt man sich an den Grenzen der Musik und des Menschlichen. Hier geht es um vertrackte Experimente und akustische Phänomene aus dem All – und den Wunsch, mit Hilfe künstlicher Intelligenz neue begabte Freunde zu kreieren.
Weltraumsignale in Töne umwandeln. Das kündigt die Computerstimme der Gruppe Quadrature hier an. Eine künstliche Intelligenz (KI), die mit menschlicher Kommunikation trainiert wurde, verarbeitet, was an elektromagnetischen Wellen im Universum herumschwirrt.
"Die versucht dann, in den Mustern von Informationen, die sie aus dem All nimmt, Patterns zu entdecken, die sinnvoll sind. Und das übersetzt sie dann zurück in Signale, die zum Beispiel Sprache entsprechen – oder andere klangliche Signale." So erklärt das Ludger Brümmer, Leiter des Instituts für Musik und Akustik im Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) und Festivalorganisator.
Den Weltraum zum Klingen bringen
Mit allen Mitteln versucht die Maschine, Sprache, Botschaften und Zeichen zu entziffern. Und was dabei herauskommt, wird in Sound ausgespuckt. Eine seltsame Mischung aus menschlichen, extraterrestrischen und künstlichen Geräuschen. Die visuelle Ebene ist sparsam und besteht vorwiegend aus Weltraumteleskopgrafiken.
Der Forschungsansatz, mit der Quadrature zusammen mit dem Klangkünstler Christian Losert hier Töne kreieren, ist im Vergleich zu dem, was andere Künstler machen, geradezu simpel. Es gibt komplizierteste Versuchsaufbauten, akribische Analysen und vertrackte Wissenschaftsmixturen.
Die Arbeit von Justine Emard heißt Supraorganism. Per Bewegungstracking von Bienen erlernt die künstliche Intelligenz, Vorhersagen zu treffen, die dazu dienen, die Geschwindigkeit von Motoren zu steuern, die über Drähte kleine Metallteile in Glaskörpern rotieren und dadurch Klang erzeugen. So ungefähr, einfach gesagt. Hier spätestens wird klar, dass es bei inSonic nur zum Teil um Musik und Klangereignisse geht – und mindestens so sehr um die Prozesse, die davor ablaufen.
In den Eingeweiden eines Flügels
Aaron Einbond versetzt den Hörer in die Eingeweide eines Flügels. Dessen Innenleben hat er mit einem 32-Kanal-Mikrofon-Array aufgenommen und kombiniert dies mit 3-D-Feldaufnahmen vom Place Igor Stravinsky in Paris. Die Installation sollte, wie so vieles andere, in einem der High-End-Akustikräume des ZKM stattfinden und musste für den Livestream auf zwei Kopfhörerkanäle heruntergeschrumpft werden.
Wehmut stellt sich ein, bei der Vorstellung, diese Arbeit im Konzertraum umherwandelnd über präzise angeordnete Weltklasselautsprecher zu hören. Aber auch so ist das Tosen im Bauch des Pianos mitreißend.
"Wir können mit der künstlichen Intelligenz auch interagieren und sie gibt uns – wie ein anderer Musiker – improvisierende Elemente zurück. Schon so eine Art – ich weigere mich so ein bisschen, das zu sagen – aber: künstlicher Mensch", sagt Ludger Brümmer.
Künstliche Intelligenz kennt kein Ende
Denn das ist ja der andere Wunsch an die KI: Freunde kreieren oder zumindest Mitmusikanten. Dass so ein Zusammenspiel auf Konzertebene nicht viel stattfand in dieser Pandemieausgabe von inSonic, liegt auf der Hand. Thema war es trotzdem. Auf einem der Panels etwa, bei dem auch die Doppellegende George Lewis auftrat – Jazz-Großmeister mit dem Art Ensemble of Chicago, aber auch einer der Visionäre der Computermusik, bei der es für ihn, logisch bei seinem Hintergrund, um Improvisation geht.
Wenn er von seiner künstlichen Intelligenz spricht, dann wie ein guter Vater, der ihr Wurzeln gegeben hat und Flügel. Man kann mit ihr zusammenspielen, aber sie ist auch schon groß genug, alleine umherzuziehen.
"Was ich dem Musiker sage, ist: Du brauchst nicht zu spielen. Setz dich hin und lass sie eine Weile spielen. Sie wird übernehmen, sie weiß, dass sie übernimmt – und du kannst später wieder einsteigen. Das größte Problem ist: Sie weiß nicht, wie man aufhört."
Am Ende weiß man es mal wieder nicht. Was ist künstliche Intelligenz? Was ist Intelligenz? Und wozu braucht man KI beim Musik machen? Aber das ist zumindest bei diesem Festival die falsche Frage. Das Programmieren und die Interaktion mit Technik sind so wichtig wie das, was aus den Lautsprechern oder Kopfhörern herauskommt. Aber alle Laborarbeit ist für die Katz ohne gute Musik. Und zum Glück gab es davon nicht zu wenig.