Alphatiere und Lokalschönheiten
Die Adaption des ausufernden Romans "2666" von Roberto Bolano eröffnete das Festival F.I.N.D an der Berliner Schaubühne. Trotz intensiver Momente blieb der Abend fragmentarisch.
Weit über tausend Seiten hat der posthum erschienene Roman "2666" des 2003 verstorbenen chilenischen Autors Roberto Bolano. Unterteilt ist er in fünf Kapitel, die weitgehend unabhängig voneinander gelesen werden können und mit einer Vielzahl von Personen besetzt sind.
An diese Struktur hält sich auch die 4,5-stündige Inszenierung des katalanischen Regisseurs Alex Rigola. Zwar dampft er die Fülle von Figuren, Geschichten, Begegnungen und Episoden auf ein übersichtliches Maß ein, entwickelt mit der Konzentration auf stets wiederkehrende Protagonisten Struktur und Überschaubarkeit – zersiedelt bleibt die Inszenierung dennoch.
Kampf mit dem Textmonstrum
Jeder Teil stellt verschiedene Personenkonstellationen in den Mittelpunkt: In ersten Teil begeben sich vier Germanisten auf die Suche nach dem rätselhaften Dichter Archimboldi, der sich im letzten Teil als deutscher Soldat und Schriftsteller Hans Reiter entpuppt. Teil zwei, drei und vier spielen in Santa Teresa, jener mexikanischen Kleinstadt, in der eine Mordserie an mehr als 400 Frauen und Mädchen jahrelang unaufgeklärt bleibt. Über 30 Personen sind auf neun Schauspieler verteilt, die – trotz Entschlackung – bravourös bis tapfer mit dem Textmonstrum kämpfen.
Der dritte Teil erweist sich als inszenatorisches Herzstück, das – im Gegensatz zu den eher statisch, extrem textlastig angelegten Passagen davor und danach – auch szenisch-physisch verdeutlicht, was der Ort Santa Teresa für seine Bewohner bedeutet: Er zwängt sie ein, nimmt ihnen buchstäblich den Raum zum Stehen und die Luft zum Atmen. Eingepfercht in einen grünen engen Kasten, drängeln sich Santa Teresas Alphatiere und Lokalschönheiten, treffen auf Journalisten, die staunend und furchtsam in ihre sexbesessene, Fremden-, Schwulen- und frauenfeindliche Welt eintauchen.
Intensiv aber kleinteilig
Doch trotz intensiver Momente gelingt kein wirklicher Bezug zu den Geschichten. Spielfreude, aber auch ein großer Abstand kennzeichnet das Verhältnis der Schauspieler zu ihren Figuren. Der kleinteiligen Epik des Romans folgend, entwickelt der Abend viele Fragmente, die weder sich fügen noch überzeugen wollen.