Neue Töne in Savonlinna
Die Opernfestspiele im finnischen Savonlinna sind wegen ihres ihres idyllischen Austragungsort weltbekannt: Die Burg Olavinlinna. Der neue Festspielleiter Jorma Silvasti will nun das nationale Profil des Festivals neu beleben.
Ein bunt gemischtes Publikum strömt abends am Seeufer entlang. Manche mit festem Schuhwerk und Decken, andere in Anzug und Abendkleid. Dazwischen hasten die Musiker mit Geige oder Hornfutteral zur Wasserburg Olavinlinna. Hoch ragen die drei Türme in den blaßblauen Sommerhimmel. Noch zwei Brücken, und dann durch dunkle Gänge hinauf in den Burghof.
In den drei Anfangsakkorden steckt die ganze Spannung, was nun passieren wird - sagt Okku Kamu wenige Minuten vor der Vorstellung von Mozarts Zauberflöte in dem fensterlosen Verlies, das als Dirigentenzimmer dient. Die magische Drei kehrt wieder in den beweglichen Kulissenversatzstücken: drei Bäume, drei Felstürme.
Während der Ouvertüre leuchtet das Porträt des einstigen Festpielleiters Martti Talvela auf der Burgwand: genau vor 25 Jahren war sein Todestag. Talvela hatte 1973 die erste Zauberflöte in der Burg dem deutschen Regisseur August Everding anvertraut und selbst den Sarastro gesungen. Seitdem gehört diese Produktion in finnischer Sprache ins Repertoire.
"Ich singe das auch in meiner Stammbühne Staatsoper Berlin, im Dezember kommt's wieder, auch eine Everding-Inszenierung dort wie hier in Savonlinna."
Sagt der Darsteller des Papageno, Arttu Kataja.
Mittlerweile ein Festival von Weltrang geworden
Im Café Sarastro am Saimaa-See stopft der neue Festspielleiter Jorma Silvasti seine Pfeife. Einst war er der Lieblings-Tamino der Festspiele:
"Damals fuhr ich immer mit dem Boot zur Burg. Hinter der Burg gibts diesen Steg. Vorstellung gesungen, wieder ins Boot, Freunde mitgenommen in die Saimaa-See-Inselwelt durchgerast."
Seitdem sind 20 Jahre vergangen. Savonlinna ist mittlerweile ein Festival von Weltrang geworden, und diesen Standard möchte Silvasti bewahren. Aber wieder mit deutlich nationalem Profil - wie in den Anfängen des Festivals:
"Finnische Künstler, finnische Dirigenten, finnische Regisseure. Das heißt allerdings nicht, dass wir nicht mit Gästen vom Ausland arbeiten. Aber zuerst schauen wir uns um, was wir so im eigenen Haus haben. Die Leute suchen heutzutage ein Gesamterlebnis, und stehen wir in Savonlinna ziemlich gut. Wir können anbieten diese schöne Seenatur, schöne Vorstellungen, schöne Umgebung mit Burg Olavinlinna."
"Wir Künstler wir sind Räuber."
Neben Dauerbrennern wie Carmen, Madame Butterfly oder der Zauberflöte boten die diesjährigen Festspiele in diesem Sinne auch erstmalig die Oper Kullervo des finnischen Komponisten Aulis Sallinen. Sie ist ein Auftragswerk der Nationaloper Helsinki zur Eröffnung des neuen Hauses 1993.
Nach der erfolgreichen Uraufführung wurde Kullervo auch an mehreren deutschen Bühnen gezeigt. Kullervo ist der Name eines Helden aus dem finnischen Nationalepos Kalevala, das jedem Finnen bis heute geläufig ist.
"Ich habe die Geschichte von Kullervo ganz frei behandelt."
Sagt Komponist Aulis Sallinen, der auch das Libretto geschrieben hat.
"Das Stück fängt an mit Kalevala-Texten. Und das gibt dem Libretto eine sehr archaische Färbung. Ich habe vieles verändert. Wir Künstler wir sind Räuber."
Auch musikalisch bedient sich Sallinen ungeniert im Zitatenschatz von Wagner bis Richard Strauss...
Souverän steuert Dirigent Hannu Lintu mit ausgreifenden Gesten die großen Chorszenen auf der Bühne und die dynamischen Kontraste der reich mit Schlagwerk besetzten Orchesterstimmen. Manchmal erinnert Kullervo an Filmmusik, dann wieder an ein Musical, meist aber herrscht düstere Dramatik mit grellen Akzenten.
Schwer zu bespielende Burg
Diese Burg ist sehr schwer zu bespielen, denn die Bühne ist sehr breit mit wenig Tiefe. Und die Entfernungen zu den Künstlern sind gewaltig. Andererseits hilft die exzellente Akustik, eine Balance zwischen Bühne und Orchestergraben herzustellen.
Der Titelheld wird nach dem Verlust seines Elternhauses versklavt und gedemütigt. Aus Rache bringt er mehrere Menschen um und schwängert unwissentlich seine eigene Schwester. Ein grausamer Held! Beim Abschied von seiner Mutter fragt er sie, ob sie um ihn weinen würde, wenn er sterbe. Darauf sie: wie kannst du so etwas fragen. Ich bin doch deine Mutter!
Das ist die berührendste Szene im ganzen Stück, sagt die Darstellerin von Kullervos Mutter Tuija Knihtilä:
"And this aria was actually the reason why I chose this part. I have to to this!"
Wegen dieser Arie hat Tuija Knihtilä die Rolle angenommen. Sie mußte sie einfach singen!
Wellen, Wind und Möwengeschrei
Und seltsam - nach all dem Gemetzel und Unglück schließt Aulis Sallinen mit einem sinnlich-süßen Durakkord und reiht sich damit in die Musikgeschichte ein: auch in Wagners Ring oder im Finale der Salome finden sich solche Paradoxe.
Aber wenn die Oper ausklingt, endet sie nicht in Stille. Sie geht über in den Klang von Wellen, Wind und Möwengeschrei. Für Dirigent Hannu Lintu eine wichtige Dimension von Savonlinna.
"You hear the wonderful sounds from the lake, you hear the wind, the seagulls, birds."