"Das Klima für politische Kunst ist gut"
Alle drei Jahre veranstaltet die Bundeszentrale für politische Bildung das Festival "Politik im Freien Theater" - dieses Mal in München an den Kammerspielen. Das Motto heißt "REICH" - und zielt auf Armut und Ungleichheit ab.
Dieter Kassel: Schon seit mehreren Jahrzehnten veranstaltet die Bundeszentrale für politische Bildung das Festival "Politik im Freien Theater". Es findet eigentlich alle drei Jahre statt, diesmal mussten Fans und Theatermacher sogar vier Jahre bis zur nächsten Ausgabe warten, aber ab heute findet sie statt. Diesmal in München, in Kooperation mit dem Spielmotor München und den Münchner Kammerspielen, und für Letztere ist Christoph Gurk für das Festival verantwortlich, er ist Mitglied des künstlerischen Leitungsteams der Kammerspiele. Schönen guten Morgen, Herr Gurk!
Christoph Gurk: Ja, guten Morgen!
Kassel: Das Motto des diesjährigen Festivals ist "REICH". Nun ist Reichtum und Geld etwas, was man mit der freien Szene ja tendenziell eher nicht in Verbindung bringt. Wofür steht denn dieses Motto?
Gurk: Ja, da haben Sie Recht. In der freien Szene wird nicht gerade mit Geld um sich geworfen. Das Festivalmotto "REICH" ist natürlich auch so ein bisschen polemisch gemeint. Wer das Wort "reich" denkt, muss natürlich auch gleich das Gegenteil assoziieren, also "arm", und das ist genau das, worum es bei dem Festival auch gehen soll: um die ungleiche Verteilung von Macht und Geld nicht nur in München, in Deutschland, sondern natürlich auch auf der ganzen Welt.
Kassel: Wie aktuell kann man denn da gerade sein? Ich meine, wenn Sie München, arm und reich sagen, fällt mir natürlich unter anderem das Wohnungsdrama, Mieten und Ähnliches, ein. Kommt das zum Beispiel vor?
Wer hat Geld? Wer geerbt? Wer eine Eigentumswohnung?
Gurk: Das kommt auf jeden Fall vor. Ja, in der Tat ist ja bekannt, dass München die höchsten Mieten in Deutschland hat. Viele Menschen, die ich kenne, müssen bis zu 50 Prozent ihres Nettoeinkommens fürs Wohnen ausgeben, manche sogar mehr.
Unter anderem wird die Gruppe She She Pop – das sind ja Veteranen der Performance und freien Szene – das Stück "Oratorium" machen, in dem es um die Frage geht, wer im Saal, der eigentlich da gerade im Theater sitzt, hat wie viel Geld, wer hat geerbt, wer kann sich selber eine Eigentumswohnung leisten im Ruhestand und wer muss weiterhin Miete zahlen.
Kassel: Generell wird ja auch in Deutschland viel gesprochen über die Schere, die weiter auseinandergeht zwischen Arm und Reich, deutschland-, weltweit. Das kann man natürlich einfach mal feststellen, und kaum jemand wird sagen, ist halt so, jeder wird sagen, sollte eigentlich nicht so sein. Aber was kann man zum Beispiel bei dem Thema darüber hinaus auf der Bühne machen?
Gurk: Das Theater ist natürlich nicht dazu da, Sachen, die in der Politik verbockt worden sind, dafür eine Ersatzveranstaltung zu sein. Lösungen müssen, finde ich, seitens der Kunst nicht präsentiert werden. Was die Kunst aber kann und auch das Theater, das ist, den bestehenden Zuständen oder der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten und darüber eine gesellschaftliche Diskussion auslösen.
Kassel: Ich hab das Gefühl, dass seit einigen Jahren in Deutschland wieder generell mehr über Politik, auch diskutiert wird, auch jenseits von Parlamenten und journalistischen Veranstaltungen, aber wenn die Gesellschaft tatsächlich wieder politischer wird, macht das politisches Theater eher leichter oder wird es eher schwerer?
Gurk: Das macht es auf jeden Fall leichter. In der Tat ist ja nicht nur im Theater, sondern auch in der bildenden Kunst ein starker Schub von Aktivismus zu beobachten. Kunst soll wieder ein Mittel sein, in gesellschaftliche Prozesse eingreifen zu können.
Politisches Theater ist nicht zwangsläufig links - aber oft
Das hat durchaus auch seine problematischen Seiten, aber ich denke, das Klima für eine Kunst, die die Verhältnisse, in denen wir leben, zuspitzt und deutlicher sichtbar macht, ist sehr gut. Und von daher bin ich auch sehr froh, dass wir dieses Jahr das Festival zum ersten Mal nicht nur nach München, sondern auch nach Bayern holen.
Kassel: Ist denn eigentlich politisches Theater zwangsläufig immer linkes Theater?
Gurk: Natürlich nicht, aber selbstverständlich ist es so, dass die meisten ProtagonistInnen aus der freien Szene wahrscheinlich eher einem, ich würde nicht sagen linken, aber auf jeden Fall linksliberalen Spektrum angehören. Also von Gegenteilen habe ich in letzter Zeit eher nicht gehört.
Kassel: Aber für die meisten, die sich solche Stücke oder Performances angucken, gilt das doch im Grunde genommen auch von ihrer Einstellung. Heißt das nicht, da wird Leuten was vorgeführt, was sie ohnehin schon denken, und man erreicht den Rest der Welt nicht?
Gurk: Das glaube ich nicht. Das Festival wird ja maßgeblich ausgerichtet von der Bundeszentrale für politische Bildung, und ein großes Ziel dieses Festivals ist es, theaterferne Schichten und Bevölkerungsgruppen zu erreichen.
Meine Kollegin Milena Mushak von der Bundeszentrale hat fast ein Jahr immer wieder in München verbracht, um sich mit zivilgesellschaftlichen Bewegungen, mit Organisationen zu treffen, um eben so ein Stück weit rauszukommen aus der Theaterblase und Leute ins Theater zu holen, die eben vielleicht nicht jeden Tag den Weg an die Maximilianstraße finden.
Kassel: Mir ist so ein bisschen aufgefallen, als ich das Programm angeschaut habe – und das wurde auch schon klar in Ihrer allerersten Antwort, die Sie vorhin auf die Frage nach dem Motto "REICH" gegeben haben –, es geht da sehr viel um Performance, was allerdings natürlich ein weites Feld ist. Aber dass es eher performative Sachen sind, weniger das klassische Theater, liegt das daran, dass einfach auch die Kammerspiele halt eine große Rolle spielen – Otto Lilienthal generell hat ja ein solches Programm geliefert in dieser Spielzeit – oder ist das ein allgemeiner Theatertrend?
Grenze zwischen Schauspielern und Performern löst sich auf
Gurk: Es ist sicherlich so, dass die Münchner Kammerspiele zu den Stadttheatern gehören, die sich derzeit am weitesten für Performance und freie Szene öffnen. Ich denke aber, Sie haben Recht mit Ihrer Frage und Ihrer Einschätzung, dass das ein bundesweiter und auch über den deutschsprachigen Raum hinaus zu beobachtender Trend ist – also eher weg vom klassischen Sprechtheater hin zu Performance und Performern, wo das, was auf der Bühne passiert, auch in gewissem Sinne etwas mit dem zu tun hat, was die Darsteller auch selber sind und verkörpern können. Man kann, glaube ich, die Grenze zwischen Schauspielern und Performern nicht so eng ziehen, wie das vielfach getan wird. Die Grenzen lösen sich da doch auf breiter Ebene auf.
Kassel: Christoph Gurk, Mitglied des künstlerischen Leitungsteams der Münchner Kammerspiele und damit in diesem Jahr für dieses Haus zuständig für das Festival "Politik im Freien Theater", das heute in München beginnt und dann bis zum 11. November dauert. Herr Gurk, danke fürs Gespräch und ein erfolgreiches Festival!
Gurk: Vielen Dank!
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