Der Soundtrack zum Abgesang
Zum Auftakt des Festival Pop Kultur in Berlin vertonte die schottische Post-Rock-Band Mogwai einen Film über Leben und Tod im Nuklearzeitalter. Hier wurde zu stark auf Emotionen gesetzt, moniert unser Musikkritiker.
Wie dürfen wir uns das vorstellen, wurde da ein Film gezeigt und zwischendurch ist die Band aufgetreten, um Musik zu spielen oder hat die Band den gesamten Film mit ihrer Musik getragen?
"Dieser Film vom irischen Regisseur Mark Cousins ist keine klassische Dokumentation, sondern ein Zusammenschnitt von historischem Filmmaterial, das ohne einen Sprecherkommentar die Geschichte vom ersten Atombombenabwurf auf Hiroshima über die Kuba-Krise, den Reaktorunfall von Tschernobyl und schließlich auch von Fukushima erzählt. Das Ganze ist eher suggestiv montiert und erhält natürlich durch die sehr laute Musik dieser Band Mogwai eine große Kraft. Ich muss aber sagen, dass mir das als Film überhaupt nicht gefallen hat, dafür finde ich das Thema viel zu komplex, dafür wird hier viel zu stark auf Emotionen gesetzt."
Keine Filmvorführung sondern ein Konzert
"So wie es gestern Abend im Admiralspalast präsentiert wurde, auf einer eher kleinen, nicht bühnenfüllenden Leinwand, hat mir das wiederum sehr gut gefallen, denn das war keine Filmvorführung sondern in erster Linie ein Konzert. Es war klar, dass die Musik im Vordergrund steht, die fünf Bandmitglieder von Mogwai waren zwar nicht hell angestrahlt, man konnte sie aber doch beim Musizieren erkennen. Die Musik dieser Band hatte schon immer etwas von einem Soundtrack, zu dem mir aber oft die Bilder gefehlt haben und nun, in Kombination mit diesen ja oft sehr dramatischen Bildern von Hiroshima, von Tschernobyl, von Friedens- und Anti-Atomkraftdemonstrationen, in dieser Kombination hat mich das als Konzert sehr beeindruckt."
Der Musikausschnitt, den wir gerade gehört haben, war ja gelinde gesagt etwas monoton. Gab es auch feine Zwischentöne?
"Ja, es gab auch sehr feine Zwischentöne. Die Band ist mit zwei Synthesizern, zwei Gitarren und einem Schlagzeug aufgetreten und es waren nicht nur Wände aus Gitarrenlärm, es waren auch sehr feine Kompositionen zu hören, vor allem aber auch das Schlagzeug hat mich sehr beeindruckt. Zum Großteil war die Musik aber sehr laut, sehr überwältigend, im positiven wie im negativen Sinne. Es gab fantastische Momente, in denen die Musik und die Bilder wirklich verschmolzen sind. Das gab es oft. Es gab aber auch Sequenzen, in denen die Musik eine Bedeutung behauptet hat, die eigentlich nicht da war. Das wurde ein bisschen dadurch abgemildert, dass die meisten Bilder ja auch sehr alt waren und man schon darüber lächeln konnte, wie sich die Menschen vor 50 Jahren, natürlich auch noch unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs, auf einen Atomkrieg vorbereitet haben. Andererseits gibt es die nukleare Bedrohung ja immer noch, durch atomare Waffen und Atomenergie. Dennoch, wenn diese Musik eine andere, in unserer Wahrnehmung aktuelle Thematik begleitet hätte, etwa den Krieg in Syrien, das wäre schlicht nicht auszuhalten gewesen."
Popkulturelle Deutschlandpremieren
Das Konzert war die erste Veranstaltung des Pop-Kultur Festivals in Berlin, das offiziell heute eröffnet, also sozusagen ein Teasing. Was bietet das Festival und wie passt diese Veranstaltung da hinein?
"Das Festival verspricht Premieren aus dem popkulturellen Bereich, Deutschlandpremieren jedenfalls. Das Konzert gestern war eine Deutschlandpremiere. Es wird andere Konzerte geben, zum Beispiel wird die große türkische Sängerin Selda Bagcan zum ersten Mal gemeinsam mit der jungen israelischen Band Boom Pam auftreten. Selda Bagcan ist eine Legende, eine Begründerin des anatolischen Rock. Sie hat in den Siebzigerjahren anatolische Musik mit der E-Gitarre zusammengebracht, eine große Stimme und eine politische Sängerin, die ihre Lieder in den frühen Achtzigerjahren ins Gefängnis gebracht haben und die in den letzten Jahren im Westen wieder große Aufmerksamkeit bekommen hat. Richard Hell, einer der ganz frühen Musiker des amerikanischen Punk, wird zum ersten Mal in Deutschland aus seiner Biographie lesen. Es wird Diskussionsrunden geben, unter anderem zum Thema Pop und Depression und es werden viele noch unbekannte Bands zu entdecken sein."
Deutschlandradio Kultur wird als Medienpartner auch über das Festival berichten, was ist in unserem Programm geplant?
"Die Sendung Kompressor wird heute und morgen live vom Festival senden, darin werden zu Gast sein heute der britische Pop-Theoretiker Jon Savage und Phil Collins, nicht der Sänger, sondern der renommierte Filmemacher Phil Collins, der ein Projekt mit der Sängerin Cate LeBon gemacht hat. Morgen werden dann dort unter anderem Richard Hell und Matthew Herbert im Gespräch sein. In unserer Musiksendung 'Tonart am Nachmittag' werden wir mit der britischen Sängerin Eska reden, mit der schon erwähnten Selda Bagcan haben wir ein exklusives Interview bekommen und mit der sehr spannenden Gospel-Rock-Band Algiers aus den USA werden wir sprechen. Am Donnerstag, also morgen Abend, wird Deutschlandradio Kultur selbst eine Diskussionsveranstaltung abhalten zum Thema 'Pop und Behinderung'. Es wird darum gehen, welche Chancen Pop für eine Repräsentation und Sichtbarmachung von Behinderung bietet, um Cyborg-Diskurse, die Verbindung von Mensch und Technik... Es gibt da sehr spannende, aber auch nicht unproblematische Diskurse, angestoßen unter anderem von der Sängerin Viktoria Modesta, die eine Unterschenkelprothese trägt und diese in ihren Auftritten als glamouröses Accessoire, ja fast schon als eine Machtinsignie inszeniert."