Festival

Ratlos auf der Reeperbahn

Eröffnungsfeier des Reeperbahn-Festivals am 17.9.2014
Das Reeperbahn-Festival zieht jedes Jahr viele Besucher an. © dpa/picture alliance/Daniel Reinhardt
Von Dirk Schneider |
Das Reeperbahn-Festival in Hamburg hat sich innerhalb weniger Jahre zu einem der bedeutendsten Treffs der Musikbranche entwickelt. Auch in diesem Jahr zeigte sich: Die Branche ist noch immer auf der Suche nach dem Kurs für die Zukunft.
Wenn man Alexander Schulz, den Chef des Reeperbahn Festivals fragt, wie seine Veranstaltung innerhalb weniger Jahre zum wichtigsten Treff der deutschen Musikbranche werden konnte, geht ein Strahlen über sein Gesicht. Und er schaut einen mit diesem Blick an, der sagt: "Ja, unglaublich, oder?"
"Ja, ich glaube, da passten dann so ein paar Sachen zusammen. Ich glaube diese Konstellation: Den Ort, den wir gewählt haben, die programmatische Ausrichtung und vielleicht auch das Wachsen als Publikumsveranstaltung erstmal und der unbedingte privatwirtschaftliche Wille, hier jetzt etwas umzusetzen, das hat natürlich eine ganz andere Power als wenn jemand sagt: Hier, wir verwalten die Marke Berlin, wir haben eine Fashion Week, wir haben eine Design Week, wir haben eine Soundso Week, Musik müssen wir auch noch besetzen. Mach mal ne Week, und hier ist das Budget. Es ist ja bei uns ganz umgekehrt gewachsen."
Nach der Musikmesse Midem in Cannes ist das Reeperbahn Festival eines der wichtigsten europäischen Events in diesem Bereich. Und dabei schien die Hansestadt spätestens seit dem Wegzug des Musiklabels Universal nach Berlin ihren Status als große Musikmetropole für lange Zeit eingebüßt zu haben. Die Stadt hat längst Morgenluft gewittert: Letztes Jahr erging von der Hamburger Kultursenatorin die feste Förderzusage für das Reeperbahn Festival von jährlich 430 000 Euro, das Gesamtbudget liegt bei 1,85 Millionen. Und die Stadt hat eine Studie über die deutsche Musikwirtschaft angestoßen, was längst überfällig war:
Jens Michow: "Das gibt es in Großbritannien schon seit vielen Jahren, und das ist diese Studie, die gezeigt hat, dass der Musikwirtschaftsexport in Großbritannien größer ist als der Stahlwirtschaftsexport."
Unsichere, ratlose Männer auf den Podien
Jens Michow ist Präsident des Bundesverbandes der Veranstaltungswirtschaft, die, nach seiner Aussage, einen so großen Umsatz macht wie der deutsche Buchhandel – und eben nur ein Teilbereich der Musikwirtschaft ist. Er hofft, dass die Ergebnisse dem deutschen Musikbusiness zu einem stärkeren Einfluss in der Politik verhelfen: Die Musikwirtschaft besteht eben nicht nur aus Labels, Verlagen und Plattenläden. Es gibt das große Geschäft mit der Livemusik, aber auch zahlreiche Dienstleister und Hersteller von Musikinstrumenten und -equipment.
Wie ernst zumindest der Bereich Livemusik von der Bundesregierung genommen wird, zeigt die Verleihung des Spielstättenprogrammpreises: 870 000 Euro durfte Kulturstaatsministerin Monika Grütters dieses Jahr an Programmmacher und kleinere Spielstätten verteilen. Fast 60 Preisträger gab es hier, Konzertort des Jahres wurde der Münchner Club Milla. Übrigens einer der ganz wenigen prämierten Orte mit einer ProgrammmacherIN.
Auch auf den Podien des Konferenzprogramms saßen in der großen Mehrzahl Männer. Und die tun einem fast leid, so unsicher sind sie sich über die Zukunft des Musikgeschäfts. Die liegt im Digitalen, und wird sich wohl vor allem auf mobilen Endgeräten abspielen, so viel scheint sicher. Ansonsten lernen die Anbieter von Musikstreamingdiensten wie Deezer oder Napster selbst gerade erst das Konsumverhalten ihrer Kunden kennen. Die Klassikbranche steht da vor einer doppelten Herausforderung: Sie muss die konservative Klientel an die digitale Welt heranführen, und einer jüngeren Hörerschaft die Angst vor dem riesigen Repertoire nehmen. Gerade für das Repertoire liegt die große Chance im Digitalen, betont Markus Petersen von Warner Classics:
"Und das hängt damit zusammen dass das Schöne am Digitalbereich ja ist, dass alles verfügbar ist. Das heißt wir haben das Problem des so genannten 'Long Tails' nicht mehr, wo wir ja das massive Problem haben, dass wir Repertoire, das wir eigentlich gerne verfügbar hätten, eben nicht physisch verfügbar machen können. Rechnet sich einfach nicht. Dieses Problem haben wir im digitalen Bereich nicht."
Grönemeyers Musik gibt es nicht im Internet zu hören
Dafür gibt es für die Klassik im Streaming-Bereich ganz andere Probleme: Die Abrechnung erfolgt pro Track, für einen Sinfoniesatz von über 20 Minuten bekommt die Plattenfirma im Streaming nicht mehr Geld als für einen dreiminütigen Popsong.
"Dafür müssen wir mittelfristig eine Lösung finden."
Prominentester Sprecher beim Festival war dieses Jahr wohl Herbert Grönemeyer. Er ist nicht nur international erfolgreicher Musiker, sondern auch Betreiber des unabhängigen Plattenlabels Grönland. Folgerichtig sollte Grönemeyer auf dem Reeperbahn Festival über künstlerische und geschäftliche Strategien im Musikbusiness sprechen. Erste Lektion: Behalte die mediale Berichterstattung möglichst unter Kontrolle. Von dem Gespräch, das Ex-MTV-Moderator Steve Blame führte, durften keine Film-, Foto- oder Tonaufnahmen gemacht werden. Schade, denn Grönemeyer präsentierte sich gut gelaunt und streitlustig. Das Streaming von Musik nannte er "Ausverkauf", sein neues Album, das im November erscheint, werde es nicht im Internet zu hören geben.
Grönemeyer hat leicht reden, er dürfte finanziell gut genug aufgestellt sein, um völlig unabhängig zu agieren. Dass die Zukunft der Musikvermarktung noch gesucht werden muss, bestätigt auch Festivalchef Schulz:
"Für den Bereich der Musikwirtschaft, der sich Musikindustrie nennt und die sogenannte 'recorded music' wird es in den nächsten Jahren noch schwer sein. Da ist noch nicht klar, wie eine angemessene Vergütung für die Künstler erfolgen soll. Über die Streaming-Dienste wie sie jetzt angelegt ist und vergütet ist, ist es sicherlich nicht ausreichend. Wir haben kein Konzept in der Schublade beim diesjährigen Reeperbahn Festival."
Lukrativ sind nur noch – für manche Künstler – die Liveauftritte. Sie sind auch immer noch das, wofür auch dieses Jahr wieder rund 30 000 Besucher zum Reeperbahnfestival gekommen sind.
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