Festival für neue Musik: Ultraschall Berlin 2023

So politisch wie Musik nur sein kann

04:20 Minuten
In einem zerstörten Konzersaal nahe Kiew ist auf einer verwüsteten Bühne ein demolierter Flügel zu sehen.
Der Angriffskrieg Russlands zerstört bewusst Kulturorte der Ukraine. © imago / imagebroker / Lars Schreiber
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Das Festival für zeitgenössische Musik ist dieses Jahr so politisch wie noch nie. Mit der iranisch-amerikanischen Bratschistin Muriel Razavi und neuen Kompositionen aus Belarus und der Ukraine bringt das Ultraschall-Festival weltpolitische Themen auf die Bühne.
Wenn Uraufführungen von den Machern des Ultraschall-Festivals an namhafte Komponistinnen und Komponisten in Auftrag gegeben werden, hat das einen langen Vorlauf.
Daher können die Konzerte kein politischer Kommentar zum Tagesgeschehen sein.  Die ukrainischen und belarusischen Stücke, die in den kommenden Tagen in Berlin uraufgeführt werden bieten aber eine Diskussionsgrundlage für die aktuelle politische Lage.

Musikalische Klassiker

Das ganz Neue wird seit der Gründung des Festivals 1999 den „Klassikern“ der Nachkriegs-Avantgarde gegenübergestellt. So werden in diesem Jahr das erste Streichquartett von Helmut Lachenmann von 1965 und sein aktuelles Streichtrio, sein Zweites, aus den Jahren 2021/22, im Konzert mit dem trio recherche aufeinandertreffen.

Aktueller als gewünscht

Als hochaktuell zeigt sich die Einladung der iranisch-amerikanischen Bratschistin Muriel Razavi. Sie präsentiert „ancient eve is once again offering apples”. Dieses von ihr gestaltete Programm mit Werken iranischer Komponistinnen verfolgt den Lebensweg einer iranischen Frau, die sowohl ihre Rechte als auch ihre freie Sexualität einfordert.
Eine junge Frau mit langen braunen Haaren hält ihre Bratsche lachend vor sich, während sie in einem Park mit einem besonderen Kleid mit Puffärmeln steht.
Bratschistin und Musikwissenschaftlerin Muriel Razavi blickt in ihrer Familie auf amerikanisch-iranische Wurzeln zurück.© Vera Brüning
Obwohl diese Konzeption weit vor den gegenwärtigen Unruhen im Iran entstand, stellt sich automatisch eine aktuelle Verbindung her.

Musik ermöglicht

Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin spielt unter der Leitung von Susanne Blumenthal ein Programm, das politische Gegensätze deutlich verneint. Denn hier treffen musikalische Welten der belarussisch stämmigen Komponistin Oxana Omelchuk auf die ukrainische Komponistin Anna Korsun. Sie umrahmen das Werk des russischen Komponisten Sergej Newski, der sich unmissverständlich gegen den russischen Angriffskrieg ausgesprochen hat.
Newskis Komposition „Stufen der Ideen“ bezieht sich auf einen über einhundert Jahre alten polemischen Text von Lew Tolstoi, in dem er sich gegen alle Arten von Nationalismus wendet.

Der warnende Dichter

Dieser verursache zwangsläufig Krieg, so der Dichter. Newski kleidet diese Idee in einen Orchestersatz, bei dem viele akustische Schollen nebeneinander und gegeneinander treiben.
Somit wird ukrainisch, belarussisch und russisch konnotierte Musik direkt zusammengebracht. Auf dem Konzertpodium trägt es eine große Symbolkraft und fällt leichter als in der politischen Realität.
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