Ungewohnte Klänge
16 Tage, 46 Veranstaltungen an 28 sehr unterschiedlichen Orten: Kirchen, Hochschulen und Galerien, Wartehäuschen oder ein Motorradclub. Ungewöhnliche Orte für eine ganz spezielle Veranstaltung.
Was ist Musik? Das?
Ausschnitt Konzert Luciano Maggiore
Oder ist das Musik?
Ausschnitt Geoffrey Farmer-Installation (Dada-Gesang einer weiblichen Stimme)
Das aber zweifellos. Oder?
Ausschnitt "In C“ interpretiert von den Katarakt Allstars
Was Musik ist, definiert jeder anders.
"Ein illustratives Beispiel: Ich öffne meine Schranktür – ich hab so nen alten Schrank von meiner Oma, der knarrt noch richtig schön – und wenn ich die dann öffne, dann hör ich plötzlich, wie viele Töne da in diesem Zwischenbereich sind. Und dann richte ich mein Mikrofon an bestimmte Stellen und entdeck noch mehr Klänge, weil ich die ja sonst mit dem Ohr gar nicht so stark wahrnehme, wenn ich die jetzt direkt ans Mikrofon ranhalte. Dann setze ich die im Computer neu zusammen und dann entsteht wieder was Neues. Aber so der Ausgangspunkt ist auch häufig so ne Alltagsbetrachtung."
Erklärt Gregory Büttner, Gründungsmitglied des Verbands für aktuelle Musik Hamburg, der hinter Blurred Edges steckt. Der Verband will die vereinzelten Szenen der experimentellen Musik miteinander verknüpfen, ihnen eine gemeinsame und somit stärkere Stimme geben. Das Festival wiederum dient als Plattform zum Austausch zwischen den Szenen und der Öffentlichkeit.
Manchmal wird das Publikum zum Teil der Konzerte
Mit dabei sind viele lokale Künstler, aber auch internationale Musiker und Ensembles. Und manchmal wird das Publikum sogar selbst zum Teil der Konzerte und Klanginstallationen. Wie etwa bei der "Mobile-Suite": Die Handys der Musiker und des Publikums werden über eine Konferenzschaltung verbunden, jede Annäherung führt zu akustischen Rückkopplungen; Abstand wird hörbar.
Gebrauchsgegenstände werden umfunktioniert, Alltägliches wird anders interpretiert. Bei Blurred Edges trifft man nicht nur auf Musiker, sondern auch auf Querdenker, Forscher und Erfinder. Wie etwa Ferdinand Försch mit seinen imposanten selbst gebauten Instrumenten und Klangskulpturen – die Bach-Harfe ist an sich schon ein echter Hingucker, in Kombination mit Förschs virtuosem und furiosen Spiel schlichtweg beeindruckend.
Das Blurred Edges-Programm umfasst Komposition und Improvisation, analoge und elektronische Sounds, Performances und Klangexperimente, minimale Klänge und Noise-Wände, mehr als nur Konzerte – Veranstaltungen zum Hören, Schauen, Anfassen und Mitmachen.
"Blurred Edges" heißt "verwischte Ränder". Das Festival will Grenzen auflösen und neue Perspektiven eröffnen.
"Das geht nicht unbedingt darum, was vom Mainstream als Musik definiert ist, sondern um alle möglichen Formen der Klangkunst: Geräusche, Klappern, Klirren, Brummen, was auch immer. Hier werden einfach neue Hörgewohnheiten ausgelotet und erforscht.“
Erklärt Anika Väth vom Blurred Edges-Team.
Keine übergeordnete Instanz
So unkonventionell wie die Sounds, so speziell ist auch die Organisationsstruktur des Festivals: Blurred Edges wird nicht wie üblich von einer übergeordneten Instanz kuratiert. Das fünfköpfige Koordinationsteam bestimmt lediglich den Zeitrahmen, schafft einen "Möglichkeitsraum", den unterschiedliche Organisatoren mit ihren Veranstaltungen füllen können:
"Wir sind ein Produzentenfestival.Wir sind Musiker, Labelbetreiber, sonst wie irgendwie Aktivisten in dieser Musik und laden eben Leute ein, die uns gefallen, die dort Sachen organisieren. Also d.h. es gibt gar keinen Kurator. Wir haben weder Festivalthema, weil das für unser Konzept eigentlich viel zu einschränkend ist und auch keine Panels oder so was. Also das macht jeder Organisator selber, was sein Interesse ist."
Der Verband für aktuelle Musik Hamburg bleibt weitgehend stumm - keine Foren, keine Räume für Diskussionen. Das ist schade. Auch wenn sich die Initiatoren mit Blurred Edges die verwischten Ränder auf die Fahne geschrieben haben, wäre das Festival die Chance für den Verband, selbst mit der Öffentlichkeit in den Dialog zu treten, zur Auseinandersetzung anzuregen. Und auch ich als Festivalbesucher hätte mir an mancher Stelle mehr Austausch, das Gespräch mit den Machern gewünscht.
Wer sich aber einfach dem puren Hörerlebnis hingeben will oder bereit ist, auf eine eigenständige Forschungsreise zu gehen, wird sich bei Blurred Edges gut aufgehoben fühlen. Und hat ganz einfach die Möglichkeit, hineinzuschnuppern: Einige Konzerte sind gratis oder finden im öffentlichen Raum statt.
Der ungeschulte Zuhörer ist also willkommen. Blurred Edges begreift sich nicht als eine geschlossene Gesellschaft für Insider oder gar als eine Avantgarde:
"Ich finde den Begriff schwierig. Also erstens finde ich ihn komisch, weil er so elitär ist. Dann – als ob ich jetzt was weiß, was Andere noch nicht wissen. So geh ich gar nicht vor. Ich entdecke Klänge und entdecke ne Musik und arbeite damit. Aber ich fühl mich wie im Jetzt, also nicht in irgendner Zukunft. Das ist keine Zukunftsmusik."