Ensemble Organum:
Jean-Étienne Langianni, Frédéric Tavernier, Jean-Christophe Candau, Ahmed Saher, Jérôme Casalonga
Leitung: Marcel Pérès
Der genetische Code des Spirituellen
Das Ensemble Organum mit seinem Leiter Marcel Pérès gastierte beim niederschlesischen Festival Wratislavia Cantans in Breslau und Glogau. Passend zum Thema "Süden" gab es Gesänge der andalusischen Christen und muslimisch-mystischen Orden Nordafrikas.
Das Ensemble Organum von Marcel Pérès ist seit langem auf der Suche nach den verborgenen gemeinsamen Wurzeln des christlichen und muslimischen Gesangs. Im Repertoire zweier Stile aus dem 15. Jahrhundert zeigen sich verblüffende Ähnlichkeiten: Die Gesänge der Sufi-Orden Marokkos, die Sama'a, und die Hymnen der Mozaraber, der Christen, die unter islamischer Herrschaft in Andalusien lebten, schöpften aus den gleichen musikalischen Quellen. Nicht zuletzt aus Gründen der Geografie - Nordafrika und die iberische Halbinsel sind schließlich benachbart.
Gesänge des homo sapiens
Schon 1999 begann Marcel Pérès, Sänger und Musikforscher, seine anspruchsvolle Suche. Damals hatte Frankreich das Jahr "Le temps du Maroc" ausgerufen, um den Reichtum der marokkanischen Kultur zu zeigen und zu feiern. Pérès selbst nennt es die Entschlüsselung der "genetischen Codes des Spirituellen". Seine Annahme lautet, dass der Mensch trotz aller sprachlichen, religiösen, kulturellen und sozialen Unterschiede aufgrund der schlichten Körperlichkeit eine gemeinsame musikalische Basis haben müsse. Beim Singen sucht ein christlicher Mönch, ein muslimischer Mystiker oder jeder andere noch so verschieden ausgebildete und geformte homo sapiens das immer gleiche: Die Überwindung der eigenen Sterblichkeit und Begrenztheit, die Nähe zu Gott und Welterkenntnis, physisch und psychisch, emotional und geistig.
Die mozarabischen Gesänge, die heute keiner mehr ausführt, entstanden zur gleichen Zeit wie die der muslimischen Bruderschaften, die als Samaa bis in unsere Zeit praktiziert werden. Tatsächlich sind die musikalischen Formeln, Kadenzen, Rhythmen und Modalitäten die gleichen, haben Marcel Pérès und die Mitglieder seines Ensemble Organum festgestellt, als sie begannen, gemeinsam mit zwei marokkanischen Sängern zu arbeiten, die mit der Samaa-Tradition aufgewachsen sind. Ganz organisch, beinahe unmerklich, fließen in diesem Programm die lateinischen und arabischen Gesänge ineinander. Das sei eine Art Wunder, meint Marcel Pérès - dank der Dynamik, die im Samaa noch immer herrsche, gewinne der lateinische Gesang der Mozaraber seine ursprüngliche Energie zurück.
Allahu-akbar auf der Dominsel
Das Konzert in der Heilig-Kreuz-Kirche auf der Breslauer Dominsel beim Festival Wratislavia Cantans war ein bewegender Akt - erstmals dürfte in einer katholischen Kirche Polens der islamische Gebetsruf "Allahu Akbar" zu hören gewesen sein, in seiner vollen spirituellen Kraft und unmittelbar gefolgt vom Halleluja der christlichen Liturgie.
Festival Wratislavia Cantans
Stiftskirche zum Heiligen Kreuz und St. Bartholomäus, Wrocław (Breslau)
Aufzeichnung vom 10. September 2019
Stiftskirche zum Heiligen Kreuz und St. Bartholomäus, Wrocław (Breslau)
Aufzeichnung vom 10. September 2019
Ein Mediterranes Mosaik - Mozarabische Gesänge und Gesänge der marokkanischesn "Samaa"-Tradition