Festival "Writing in Migration" in Berlin

Jenseits der Klischees: Weltliteratur vom schwarzen Kontinent

Die nigerianische Schriftstellerin Yewande Omotoso
Auch zu Gast in Berlin: die nigerianische Schriftstellerin Yewande Omotoso © imago/Gallo Images
Von Sophie Elmenthaler |
Afrikanische Literatur ist mehr als das Schreiben über Bürgerkrieg, Armut oder unterdrückte Frauen. Was Weltliteratur aus Afrika ausmacht, lässt sich beim Festival "Writing in Migration" in Berlin erfahren.
Ein bisschen stolz sehen Karla Kutzner und Stefanie Hirsbrunner schon aus, als sie da zwischen den letzten Vorbereitungen in der Künstlergarderobe vom Babylon-Kino in Berlin auf dem Sofa sitzen. Zwei Jahre lang hat ihre Literaturagentur Interkontinental das dreitägige Festival Writing in Migration vorbereitet, das in wenigen Stunden startet:
Karla Kutzner: "Also wir haben diese Lücke entdeckt, also warum gibt es das in Berlin eigentlich nicht und in Deutschland sowieso nicht? Und das wollten wir ändern, deswegen haben wir beschlossen, jedes Jahr ein großes Literaturfestival von, für und mit afrikanischen AutorInnen zu veranstalten."
Stefanie Hirsbrunner: "Wir sind da wirklich auf einem anderen Stand, wenn man es mit UK oder Frankreich oder den USA vergleicht, ich glaube, das hat viele Gründe, und in der Literatur ist ganz viel Unwissen auch da."

Gäste aus Nigeria, Südafrika oder Zimbabwe

Die künstlerische Leitung des Festivals hat in diesem Jahr die deutsch-nigerianische Autorin Olumide Popoola. Sie hat das Programm zu verantworten und die Gäste eingeladen, viele aus Nigeria, aber auch anderen afrikanischen Ländern wie Südafrika, Simbabwe und Kamerun. In ihrem aktuellen Roman "When we speak of nothing" reist die Hauptfigur, ein Transmann, auf der Suche nach seiner Herkunft aus England in die Heimat seines Vaters, Nigeria. Dort findet er trotz der eher ablehnenden Gesellschaft ein verständnisvolles Umfeld für seine Persönlichkeit. Olumide Popoola lebt in England und schreibt auf Englisch, kennt also die literarische Szene beider Länder ganz gut.
Olumide Popoola: "Hier in Deutschland war es so ein interessantes Festival, aber ich kenne ja niemanden, und without fail in England war es wow, what a lineup. Das sind ja super Leute, die zusammengekommen sind, und das hat mich dann sehr erstaunt."

Das Festival soll eben keine Klischees reproduzieren, sondern eine professionelle Plattform bieten.
Olumide Popoola: "Ich wollte Afrika nicht als Problemland darstellen, sondern es sollte auch darum gehen, wie cool die Leute sind, was die für interessante Sachen machen, wie innovativ die sind. Ich wollte auch, dass die Leute vielleicht auch ein bisschen überrascht sind, was es für neue Stimmen gibt, die Trendsetter sind, und zwar nicht im afrikanischen Kontext sondern im literarischen Kontext."
Olumide Popoola, die Kuratorin von "Writing in Migration" hält ein Schild auf dem das Datum des Literaturfestivals zu sehen ist: 26.-28.4.2018
Olumide Popoola, Kuratorin von "Writing in Migration" © Karla Kutzner

Große Offenheit für fremdsprachige Literatur

Olumide Popoola wünscht sich, dass Literatur aus afrikanischen Ländern in Deutschland eben nicht unter dem Label "Afrika" vermarktet wird, sondern einfach nach Genre. So könnte Clementine Burnley aus Kamerun zum Beispiel nicht als Exilautorin mit der Erwartung auf dystopische Prosa über Diktatur und Korruption beworben werden, sondern als Verfasserin von Kurzgeschichten, die sich mit allgemein menschlichen Themen wie Verlust und Interkulturalität befassen. Sie schreibt gerade an einem historischen Roman, der zur Zeit des Mauerfalls zwischen Kamerun und Berlin, ihrer Wahlheimat, spielt. Clementine Burnley sagt, es gebe in Deutschland eigentlich eine große Offenheit fremdsprachigen Autoren gegenüber.
"Es heißt, mindestens 20 Prozent von dem, was in Deutschland erscheint, sind Bücher in Übersetzung. Das heißt, Großbritannien hat diesen Ruf, sehr international zu sein, aber die Autorinnen, die da schreiben, schreiben auf Englisch."
Das heißt, die Kosten und Risiken der Übersetzung entfallen. Afrika habe eben nur das besagte Imageproblem. Das Festival beginnt mit einer Podiumsdiskussion auf der großen Bühne. Richtig voll ist es noch nicht, der Saal ist etwa zu einem Drittel gefüllt. Olumide Popoola lotet mit drei Gästen das Festivalmotto "Writing in Migration" aus.

Was bedeutet Migration?

Migration, ein Begriff, an dem sich in Deutschland gerade die Gemüter spalten, wird hier weiter gedacht: Jude Dibia, Verfasser des ersten nigerianischen Romans mit schwuler Hauptfigur etwa, sieht Migration als Conditio Humana.
"Die Menschen haben sich schon immer von einem Ort zum anderen bewegt. Der Begriff Migration hat in unserer heutigen Welt allerdings eine andere Bedeutung angenommen."
Wer als Migrant und wer als Expat oder Reisender gilt, sei dabei auch oft eine politische Frage, sagt seine Kollegin Yewande Omotoso, Verfasserin des Romans "Die Frau nebenan". Ihre Eltern seien oft umgezogen, aber Migration würde sie das nicht nennen.
Es geht bei der Diskussion aber auch um die Bewegung, die beim Schreiben und Lesen entsteht. Die Wandlungen, die Charaktere durchlaufen und die durchs Schreiben in verschiedenen Sprachen entstehen.
Nach der Diskussion gibt es erst einmal Essen im Foyer, westafrikanische Fusionsküche. Es wird zunehmend voller. Die Auftaktveranstaltung hat schon gezeigt, wie breit das Spektrum an Themen ist, das die geladenen Autoren mitbringen. Von der Frage des Geschlechts über den Berliner Mauerfall aus kamerunischer Sicht bis hin zu Kolonialismus und Gedächtnis oder dem Schreiben in Zweit- und Drittsprachen: eine anregende Perspektiverweiterung.
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