Festtag in der Diaspora

Von Aglaia Dane |
Die Religion der Yeziden ist im Nordirak entstanden. Sie waren und sind dort immer wieder schweren Verfolgungen ausgesetzt. Nicht zuletzt deshalb findet sich in Deutschland eine große und weiter wachsende Gemeinde. Jetzt, im April, ist für die Yeziden eine besondere Zeit, es ist ihr heiliger Monat.
"Glaubensgebundene Yeziden halten sich auch an ganz viele Regeln, die am Mittwoch stattfinden. Das geht so weit, dass sie sich am Mittwoch nicht waschen, also keine Schere bedienen, also eigentlich keine Arbeiten tätigen sollen. Aber das ist hier in Deutschland in der Diaspora kaum möglich."

Ilyas Yanc ist Yezide und hat selbstverständlich heute gearbeitet. Der gebürtige Türke ist Sozialarbeiter in einem interkulturellen Zentrum und lebt seit Mitte der 80er in Oldenburg.

"In der Historie der Yeziden gab es viele wichtige Ereignisse, die eine Rolle gespielt haben, warum der Mittwoch eine herausragende Rolle bei den Yeziden hat. Es ist zum Beispiel so, dass ein Engel an einem Mittwoch erschaffen wurde."

Dieser Engel heißt Tausi Melek - er ist der wichtigste von sieben Engeln, die Gott aus seinem Licht geschaffen haben soll. Die Yeziden glauben, dass Gott Tausi Melek an diesem Tag den Auftrag gegeben hat, die Erde bewohnbar zu machen - für Tiere, Menschen und Pflanzen.

Und im April zeigt die Natur, was Tausi Melek, der oft als Pfau dargestellt wird, den Menschen an Reichtum beschert hat.
Normalerweise berät Ilyas Yanc Migranten. Doch heute Abend ist er der Showmaster. Zur Feier des Tages trägt er eine beige Tracht.

"Das sind sogenannte Shalwar-Hosen, also Pluderhosen und dazu eine Jacke und eine Weste."

Ilyas Yanc steht auf der Bühne des Gemeindesaales in Oldenburg. Während sich um ihn herum ein Kinderchor versammelt, um zu proben, testen er und ein paar junge Männer die Musikanlage: Keyboard, Mischpult, Mikrofone - und auch die Saz wird angeschlossen, ein traditionelles Saiteninstrument aus dem Nahen Osten. Dort - genauer gesagt im Nordirak - hat das Yezidentum seine Ursprünge. Als Begründer gilt ein muslimischer Ordensbruder des 11. Jahrhunderts - Sheikh Adi.


Die Grabstätte von Sheikh Adi liegt im irakischen Lalish - der Ort ist für die Yeziden ein Heiligtum. An der Wand hinter der Bühne hängt ein Plakat. Es zeigt eine bergige Landschaft, darin ein Steingebäude mit spitzen Türmen - das ist der Schrein in Lalish. Auch dort, wo weltweit die meisten Yeziden leben, laufen vermutlich gerade die Vorbereitungen für das große Fest - wie hier in Oldenburg.

In der Küche haben die Frauen das Kommando übernommen. Sie hantieren mit Blechen voll mit Börek und süßem Gebäck und füllen Trauben und Mandarinen in Schüsseln, die sie auf zwei große Rollwagen stellen. Dabei ist auch Behiye Tolan, die Frauenbeauftragte des yezidischen Forums - der Verein, der das Gemeindezentrum in Oldenburg vor mehr als zehn Jahren gegründet hat. Sie zeigt auf kleine Körbe mit bunten Eiern.

"Wir haben genauso Eier, wie bei den Christen zu Ostern. So werden bei uns auch Eier gefärbt und die werden jetzt verteilt auf den Tischen". "

Der heutige Festtag hat im Kurdischen viele Namen. Übersetzt heißen sie "vier Sonnen" oder "Neujahr". Die meisten verwenden aber den Begriff: Çarşema sor - also "Roter Mittwoch".

Ähnlich wie bei manchen Osterbräuchen geht es auch bei diesem Fest darum, die Schöpfung zu preisen, die Entstehung neuen Lebens. Und das ist nicht die einzige Parallele zwischen dem Yezidentum und anderen Religionen. Die Yeziden glauben an nur einen Gott. Sie erkennen Jesus und Mohammed als Propheten an. Es gibt eine Art Taufe, die Jungen werden beschnitten.

Der Kulturwissenschaftler Andreas Ackermann von der Universität Koblenz beschäftigt sich seit Jahren mit dem religiösen Leben von Yeziden in der Diaspora. Er bezeichnet das Yezidentum als eine synkretistische Religion.

""Wir finden da Elemente des Zoroastrismus, aber auch des Islam - Sheikh Adi war eigentlich ein muslimischer Religionsgelehrter. Wir finden aber auch Elemente des Frühchristentums. Und wenn man sich den Kontext Kurdistan betrachtet, dann sieht man, dass Kurdistan schon sehr lange ein Rückzugsgebiet für Minderheitenreligionen ist, die dann durchaus miteinander in Kontakt gekommen sind."

Ein großer Unterschied zu den anderen monotheistischen Religionen: Es gibt keine heilige Schrift. Zwar sind aus der Zeit von Sheikh Adi einige Texte überliefert- doch sie bilden keine Glaubensgrundlage. Das Yezidentum hat sich jahrhundertelang in erster Linie mündlich transportiert.

"Das ist interessanterweise ein Zustand, der sich in der Migration in Deutschland bei den Yeziden ändert. Die Yeziden sind stark daran interessiert, religiöse Texte zu produzieren."

Zu den neuen Standardwerken der Yeziden in Deutschland gehören die Bücher von Chaukeddin Issa. Der gebürtige Syrer und studierte Geologe lebt seit 1975 in Berlin. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, Geschichte, Gebete und Traditionen der Yeziden aufzuschreiben.

"Wissen Sie, bei den Yeziden handelt es sich ja um eine vom Aussterben bedrohte Minderheit. In der Diaspora, in der Fremde, habe ich früh erkannt, dass unser Volk Bücher in Deutsch und in Kurdisch braucht. Denn die Angst ist groß, dass dieses Volk auch verschwindet oder einfach den Boden verliert."

Auch im Internet gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Information über das Yezidentum - auch auf Deutsch. Die Gemeinden haben vor einigen Jahren begonnen, sich zu organisieren, an die Öffentlichkeit zu gehen -hierzulande müssen sie keine Verfolgung befürchten. 50.000 Yeziden leben zurzeit in Deutschland und die Gemeinden wachsen. Aus Sicht von Kulturwissenschaftler Andreas Ackermann könnte diese Entwicklung das Yezidentum neu beleben - und Deutschland zu einem neuen Zentrum dieser Religion werden. Das Gemeindezentrum in Oldenburg ist Symbol dieses neuen Selbstbewussteins.

Das ist das erste Zentrum, was von Yeziden in Eigenregie gebaut wurde. Vom Architekten bis zum Bauzeichner, Handlanger und die Spenden aus der Gemeinde."

Im Gemeindesaal sind mittlerweile mehrere Hundert Gäste eingetroffen, um den roten Mittwoch zu feiern. Man begrüßt sich auf kurdisch:

"Ida ta piroz be. Id ist der Feiertag. Pirozbe ist Glückwunsch. Also Glückwunsch zum Feiertag."

Oder, ortsüblich, mit einem breit gezogenen "Moin". Kinder toben durch die Tischreihen, die Männer versammeln sich rund um den Tresen, wo es nach frischem Kaffee duftet. Die jungen Mädchen haben kleine Grüppchen gebildet - ihr Festtagsoutfit: Minirock, High-Heels, roter Lippenstift.

Früher wurde sehr eng gesehen, heutzutage ist es etwas ganz Normales.

Die älteren Yeziden der ersten Einwanderergeneration und auch die Flüchtlinge aus dem Irak seien oft noch stark mit den Traditionen verbunden, erzählt Behiye Tolan. Doch die jüngeren, die wollen modern leben, wie ihre Klassenkameraden. Daraus können Konflikte entstehen, erzählt die Familienbeauftragte des Vereins - zum Beispiel, wenn es um das Gebot geht, nur innerhalb der Religionsgemeinschaft zu heiraten.

"Junge Mädchen, sag ich mal, die sich in einen Christen oder einen Muslim verlieben, kommen auch mit diesen Problemen an. Da muss man auch mit den Eltern reden. Man kann die Kinder nicht festhalten, aber wenn sie diesen Weg gehen wollen, dann muss man ihnen versuchen zu sagen, was das für ihre Eltern bedeutet."

Doch das Yezidentum ist keine frauenfeindliche Religion, betont die 46-Jährige. Dieser Punkt ist ihr wichtig: Denn einige Medien haben aus ihrer Sicht in den vergangenen Jahren ein Zerrbild gezeichnet - als es auch unter Yeziden Ehrenmorde gab. Diese schrecklichen Einzelfälle haben keine religiösen, sondern kulturelle Wurzeln, darin sind sich der Kulturwissenschaftler Ackermann und die Yezidin Behiye Tolan einig.

Ein großer Mann, kurzes blondes Haar, rote Brille, kommt lächelnd auf Behiye Tolan zu. Es ist Ulrich Schleppegrell. An seinem Jacket hat er einen kleinen Anstecker - darauf steht: Diakonie. Als Sozialarbeiter hat Ulrich Schleppegrell mit der yezidischen Gemeinde eine Zeit lang zusammengearbeitet - in einem Integrationsprojekt.

"Das ist die Nachhaltigkeit des Projektes. Und das ist hier auch ein hohes religiöses Fest für diese Gruppe. Von daher ist auch Respekt von meiner Seite aus, an diesem Tag zu kommen."

Behiye Tolan schaut etwas ungeduldig auf ihre Uhr. Vor einer halben Stunde sollte die Feier offiziell beginnen. "Typisch Migranten" scherzt sie. Doch der Moderator des heutigen Abends, Ilyas Yanc, betritt schon die Bühne und versucht sich Gehör zu verschaffen.

"Jetzt hoffe ich, dass alle Platz nehmen, sonst machen wir Musik."

Verschiedene Mitglieder des Vereins betreten die Bühne, halten Reden und tragen Gebete vor. Höhepunkt des Abends ist der Auftritt der Kinder. Etwa 15 Jungen und Mädchen, ganz in weiß gekleidet, betreten die Bühne.

Es ist ein kurdisches Lied - die Hymne der Yeziden, erklärt Behiye Tolan. Sie feuert die Kinder mit einem traditionellen Freudenschrei an, bei dem sie eine Hand wie einen Trichter an den Mund hält.

Die Feier in Oldenburg dauert bis in den späten Abend. Alte Frauen binden den Feiernden Bändchen um den Arm- in den kurdischen Farben rot, gelb und grün. Die Kinder spielen quer durch den Raum Fangen. Es wird gegessen, getrunken und später auch getanzt. Bei den Yeziden heißt es, der April sei die Braut des Jahres, erklärt Behiye Tolan. Yezidische Paare dürfen in diesem Monat deshalb nicht heiraten. Der Schöpfung will man schließlich nicht die Show stehlen.
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