Festungsstadt Baumholder
Klein-Amerika mitten in der deutschen Provinz, das ist Baumholder in der Pfalz, Standort der ersten US-Panzerdivision. Nirgendwo in der Welt sind an einem Ort so viele Kampftruppen stationiert: Rund 12.000 US-Soldaten und Zivilisten prägen das Bild der nur 4000 Einwohner starken Gemeinde.
Der Standortkommandant:
"Es gibt keine andere Gemeinde, wo die Menschen genauso freundlich sind."
Ein Einheimischer:
"Meine Eltern haben an Amerikaner vermietet, schon seit 1952, und mein ältester Freund war hier von 1955 bis 1957, wohnt in Las Vegas, und der Kontakt ist bis heute geblieben."
Der Altbürgermeister:
"Wenn Amerikaner heute im Irak sind und verunfallen oder sterben, dann sind das unsere Jungs."
Auf einem kleinen Marktplatz mit etwas rumpeligem Pflaster drängen sich Hunderte von Menschen. Es riecht nach gegrillter Bratwurst, die Bierstände sind dicht umlagert. Auf einer Bühne eine Kapelle. Die Musiker tragen bayerische Trachtenjanker, Lederhosen und Hüte mit Gamsbärten, spielen die üblichen Schunkellieder. Ein Bild, wie in vielen deutschen Kleinstädten bei Stadt- oder Schützenfesten. Trotzdem ist es in Baumholder in der Provinz zwischen Kaiserslautern und Idar-Oberstein anders.
Ein Mann, Anfang 20, Jeans, buntes Freizeithemd, etwa 1,80 groß mit kurzen, ziemlich eckig geschnittenen Haaren, trägt in jeder Hand vier oder fünf Bierhumpen an einen der Stehtische. Lärmend empfangen von anderen Männern, die so ähnlich aussehen. Es sind Soldaten der zweiten US-Kampfbrigade der ersten Panzerdivision, genannt "The iron brigade", die eiserne Brigade. An einem langen Holztisch sitzen Deutsche und Amerikaner, stoßen mit den Gläsern an, scheinen sich zu kennen. Alle reden durcheinander, gestikulieren. Sie genießen das Leben auf dem Altstadtfest von Baumholder, einer Gemeinde, wo 5000 Deutsche mit rund 12.000 Amerikanern seit Jahrzehnten zusammenleben. Es ist der größte Standort mit Kampftruppen außerhalb der USA. Die jungen Soldaten lachen, freuen sich, weil sie zeitweise weit weg vom Krieg und Afghanistan oder Irak sind.
"Ich mag Baumholder. Ich hatte bisher eine sehr schöne Zeit."
"Mir gefällt es sehr gut. 1960 und 61 war mein Vater ebenfalls hier. Eine interessante Erfahrung."
Die anderen Soldaten nicken. So, wie sie aussehen, mit ihren Biergläsern in der Hand, scheinen sie sich wirklich wohl zu fühlen in Baumholder. Es sind Berufssoldaten, die den Einsatz im Irak als Auftrag sehen, der das Risiko wert ist. Der Sprecher der Gruppe, groß, muskulös, gut durchtrainiert, zögert keinen Moment mit der Antwort auf die Frage, ob er für den Einsatz ist:
"Ganz sicher. Strategisch ist der Irak immer ein wichtiger Teil der Welt gewesen. Man kann jetzt wirklich positive Entwicklungen sehen."
Das Stadtfest ist der Höhepunkt der vielen Veranstaltungen im Jahr. Der Alltag dagegen ist ruhig, beschaulich. In der Ortsmitte ist vom Militär nichts zu sehen. Die Straßen sind schmal, mit kleinen, meist zweistöckigen Häusern. Oft aneinander gebaut. Aus einer Einfahrt mit einem großen Holztor fährt ein Auto. Es ist die alte Einfahrt für die Pferdefuhrwerke der Bauern. Aber das gehört in Baumholder zur Geschichte.
Denn 1951 sehen die Menschen, wie ein schwerer Truck nach dem anderen durch die schmale Hauptstraße brummt. Die Amerikaner sind da, um den Truppenübungsplatz der Wehrmacht zu übernehmen. Damit kommt wieder Leben in die riesigen Kasernenanlagen, die das kleine Baumholder auf den umliegenden Höhen wie ein gigantischer Ringwall umgeben. Ein drei- oder vierstöckiges Gebäude neben dem anderen. Hellbeige gestrichen, mit schwarzen Schieferdächern. Abgeschirmt durch einen 40 Kilometer langen Sicherheitszaun.
Drinnen dann eine Welt für sich. Ein ziemlich großes Klein-Amerika. Baseball- und Basketballanlagen, Kino, Schulen, Hallenbad, ein PX, ein amerikanischer Supermarkt und eine Truppenkantine. Im Innern des lang gesteckten Flachbaus lange Essensausgaben aus Edelstahl. Amerikanische Kost: Burger, Steaks, mashed Potatoes - aber auch vegetarische Angebote. Überall bunte Girlanden, hell und freundlich. Es ist Mittagszeit. Die Soldaten kommen herein, greifen sich Tabletts, ordern Essen. Ein drahtiger, mittelgroßer Mann in grün-beige gefleckter Uniform kommt durch die Pendeltür, setzt sich an einen der Tische. Es ist Lieutenant Colonel, also Oberstleutnant Derek Rountree, der Standortkommandant. Seit drei Jahren wohnt er mit seiner Familie in Baumholder, steht aber kurz vor seiner Versetzung zurück in die USA:
"Baumholder ist wirklich eine typisch pfälzische Kleinstadt. Man kann sich eine angenehmere Gemeinde gar nicht vorstellen, wo die Menschen genauso freundlich und offen sind. Ich habe vorher in Wiesbaden, in Heidelberg und in Bad Winsheim gelebt, aber das hier ist ein sehr schöner Platz."
Eine Frau im mittleren Alter tritt an den Tisch. Blond, burschikos, nicht allzu groß. Carola Rountree, die Ehefrau des Standortkommandanten, spricht mit den Amerikanern mit deutschem Akzent. Sie stammt aus Franken, kennt viele Garnisonen und hat eine klare Meinung zur Lebensqualität von Baumholder:
"Ich bin der Meinung, das drückt sich im ganzen Leben hier aus, weil die Amerikaner hier fest integriert sind. Also, ich komme aus einem typischen Soldatenstandort - ich komme aus Fürth. Wir hatten sehr viele Kasernen. Ich muss aber sagen, der Zusammenhalt hier, wie die Stadt Baumholder und die Umgebung auf uns aufpasst, ist fantastisch. Es ist eben kleiner, aber es wird sich umeinander gekümmert. Das ist wie früher auf dem Dorf, wo die Gemeinschaft eben viel größer ist."
So, wie sie auftritt, wirkt Carola Rountree bodenständig. Sie gehört zu den Frauen, die wissen, wann sie mit anpacken oder helfen müssen. Als Ehefrau des Standortkommandanten ist sie oft Anlaufadresse, wenn die Amerikanerinnen in der Garnison Sorgen und Probleme haben. Und wie so viele deutsche Frauen hat sie ihren Mann durch ihre Arbeit auf einem Stützpunkt kennengelernt. Derek Rountree lacht und beschreibt das erste Zusammentreffen:
"Ich traf meine Frau in einem PX Supermarkt, als ich vom Golfkrieg 1991 zurückkehrte. Und nach einem Jahr haben wir geheiratet."
Obwohl er schon so lange verheiratet ist, hat er immer noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache.
"Ich spreche Gasthausdeutsch. Aber in einem Interview würde ich es nie versuchen."
Derek Rountree reist viel, möchte seine guten Erfahrungen in Deutschland seinen Soldaten weiter vermitteln. Er will, und dabei blickt er zu den anderen Tischen, dass seine Männer und auch deren Familien einen positiven Eindruck von Deutschland mit nach Hause nehmen, wenn sie wieder in die USA zurückkehren.
"Wenn die Soldaten für zwei oder drei Jahre hierher kommen, und sich ihr Leben um die PX, die amerikanischen Supermärkte in Baumholder, Ramstein, Kaiserslautern oder Wiesbaden dreht, werden sie wahrscheinlich Deutschland mit dem Eindruck verlassen: Es hat mir nicht gefallen. Ich ermutige die Soldaten, sich Trier oder die Burg Langenbach oder viele andere Plätze in der Umgebung anzuschauen. Dann werden sie nach Amerika zurückkehren und sagen, dass Deutschland ein wunderschönes Land mit einer großen Kultur ist."
Kommandant Derek Rountree steht auf, winkt kurz, geht hinüber zur housing area, dem Appartment Komplex, wo die meisten amerikanischen Familien leben. Fünfstöckige Häuser mit Balkonen, dazwischen Grünflächen. In einem der Gebäude, im zweiten Stock, stehen Basketball Schuhe vor der Tür, daneben ein Holzschaf auf Rollen. Hier wohnt Familie Ingram, sie Staff Sergeant und er Master Sergeant. Außerdem die einjährige Tochter Heidi und der achtjährige Sohn Dave.
Lori Ingram freut sich über den Besuch. Sie zeigt auf die schweren Polstermöbel, die Schrankwand und hinüber zur offenen Küche. Auf dem Teppichboden versucht Tochter Heidi die ersten Schritte. Lori Ingram, groß mit langen, blonden Haaren, sieht in ihrer Uniform wie eine Modell-Soldatin aus. Ihr Mann Dwight, mittelgroß mit rabenschwarzen Haaren, ebenfalls noch in Uniform, kommt gerade vom Dienst. Beide stammen aus ländlichen Regionen und mögen deshalb auch Baumholder.
Dwight: "Es ist ein Ort wie zu Hause. Wir machen einige Ausflüge, gehen Einkaufen, wie wir es normalerweise auch in den Staaten tun."
Lori: "Die Kinder lieben es. Besonders mein älterer Sohn. Er lernt gerade Deutsch in der High School, während meine Tochter noch zu klein ist. Sie sind gern hier."
Lori und Dwight Ingram besuchen samstags schon mal den Wochenmarkt. Dicht an dicht stehen die Stände am Marktplatz vor den alten Häusern. Am Verkaufswagen eines Metzgers drängen sich die Kunden. Hinter der Theke ein rotgesichtiger, älterer Mann in gestreifter Jacke. Pausenlos reicht er Pfälzer Leberwurst, Saumagen oder Mettwurst über die Theke. Der Markt ist auch eine Kontaktbörse. Eine Gruppe von Männern, mittleres Alter im Freizeitlook, steht an einem Gemüsestand und diskutiert über Sportergebnisse, Politik und auch über die Amerikaner. Sie sind froh, dass sie in Baumholder sind.
"Also ich lebe jetzt hier in Baumholder seit meiner frühesten Jugend. Das funktioniert einwandfrei. Wir haben keine Schwierigkeiten. Wir ergänzen uns sehr gut, und es sind inzwischen sehr viele, gute Freundschaften entstanden. Meine Eltern haben an Amerikaner vermietet, schon seit 1952, und mein ältester Freund war hier von 1955 bis 1957, wohnt in Las Vegas, und der Kontakt ist bis heute geblieben."
Also alles bestens? Nicht immer. Die jungen Männer aus Baumholder schauen sich an. Haben aber keine Probleme damit, auch über Schwierigkeiten zu sprechen.
"Es gibt Probleme. Wenn die Soldaten jetzt zurückkehren aus dem Irak, dann haben die viel Geld, und dann gibt es Probleme, dass die Bürger durch den Lärm gestört werden. Wenn die dann aus den Lokalen rauskommen, da haben wir schon Probleme, und wir müssen dann mit den Amerikanern zusammen versuchen, diese Probleme zu lösen."
Mitten in der Stadt, nicht weit vom Wochenmarkt entfernt, steht das alte Rathaus. Ein kleines Gebäude, dreistöckig mit ockerfarbigem Putz und Blumenkästen mit Geranien. Aus dem Eingang kommt ein sportlicher Mann, etwa 50, kurzer Haarschnitt, gerade, militärische Haltung. Er winkt einem Straßenmusikanten zu, bleibt kurz stehen. Es ist Peter Lang, der Bürgermeister von Baumholder und als ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehr ein idealer Partner für die amerikanische Standortverwaltung. Von hier sind die Militäranlagen außerhalb der Stadt sichtbar, darunter langgestreckte Hallen. Dort hält die US-Armee Panzer und Geschütze für die Kriegsschauplätze, besonders im Irak, in Reserve. Für Peter Lang, und dabei deutet er mit den Händen einen Kreis an, ist Baumholder eine gigantische Drehscheibe für die amerikanischen Kampftruppen:
"Ja, die wechseln eigentlich immer durch. Wenn es so ist, wie beim letzten Mal, kommt dieser Einsatz zurück. Gleichzeitig wird gut ein Drittel davon ausgetauscht, und andere werden wieder dem Standort Baumholder zugeführt."
Peter Lang ist, wie seine Mitbürger, froh, dass der Standort erhalten bleibt. Als ehemaliger Offizier hat er auch Verständnis dafür, dass Soldaten manchmal über die Stränge schlagen.
"Die Amerikaner werden zurückkommen nach 15 Monaten Einsatz im Irak. Eine ganze Kampfbrigade mit 4.500 Männern und Frauen, die 15 Monate unter Bedrohung gelebt haben. Es gibt ja auch einige, die schon gefallen sind. 15 Monate haben diejenigen, die ledig sind, keine Frauen, keine Männer gesehen. Haben keinen Alkohol trinken dürfen und sind dann wieder hier in Deutschland, zurück in der zivilen Welt, ohne Gefahr, ohne Bedrohung. Dann werden die versuchen, das nachzuholen, was sie 15 Monate nicht hatten. Dann wird es in der Stadt wieder lauter werden. Dann gibt es teilweise Sachzerstörung. Das gilt es einfach einzudämmen, aber in gewisser Art und Weise etwas Nachsicht zu üben, weil es einfach zwar nicht in Ordnung ist, aber auf der anderen Seite wieder menschlich ist, dass man probiert, das nachzuholen, was man 15 Monate nicht machen konnte."
Peter Lang kennt die einschlägige Szene in der Stadt. Die Bars, wo table dance und vielleicht auch mehr geboten werden. Aber viele der jungen Soldaten, besonders diejenigen, die in Baumholder über Jahre stationiert sind, wollen einfach nur Unterhaltung. Vor einem Flachbau mit dem Charme eines Fabrikgebäudes stehen in langer Reihe alte Chevrolets, Fords und fast alle europäischen Fabrikate. Eine rote Neon Reklame weist den Weg zum Coyote Ugly.
Innen schrille Discomusik, zuckende Lichteffekte, an den grün-braunen Wänden, die bewusst auf alt gestaltet sind, amerikanische Auto-Nummernschilder, verblichene Fotos und andere Fundstücke. Unter der Decke unzählige BH´s, die von wilden Partys zeugen. Eine gut zehn Meter lange Bartheke beherrscht den Raum. Dahinter schenken bildhübsche Mädchen im knappen Outfit fast jedes erdenkliche Getränk aus. Die Original-Bar, einem Kultfilm nachempfunden, befindet sich in New York. An der Theke drängen sich die Gäste, fast alle in Jeans und T-Shirts. Nur der typische Kurzhaarschnitt zeigt, dass die meisten Soldaten sind. Für sie ist das Coyote Ugly ein Stück Amerika. Zwei der jungen Männer, Anfang 20, fröhlich, mit einer Flasche Bier in der Hand, sind mehrmals in der Woche hier.
"Ich bin fast immer hier."
"Es ist meine Lieblingsbar in Deutschland. Eine tolle Atmosphäre, hübsche Mädchen, man kann tanzen, tolle Musik, zwei-, dreimal pro Woche bin ich hier, oder öfter."
"Es gibt größere Drinks als woanders. Es ist ein Superplatz, um rumzuhängen."
Die GI´s gehen selten in die typischen Gasthäuser der Stadt. In der Gaststube des Hotels Zum Stern, holzvertäfelte Wände, eine große Theke, schwere Tische und Stühle. An einem der Tische sitzen drei ältere Herren. Etwa Ende 60, vor ihnen ein Glas Bier. Einer von ihnen, im dunklen Anzug mit Krawatte, lichtes Haar, ist Volkmar Pees, früherer Bürgermeister von Baumholder über Jahrzehnte. Er repräsentiert eine Generation, die mit den Amerikanern schon seit den 50er-Jahren zusammenlebt. Damals ist Baumholder bekannt für seine Nachtclubs, die leichten Mädchen und schnell verdiente Dollar. Obwohl es immer noch Bars gibt, ist es jetzt viel ruhiger, meint Pees. Was sicher auch an dem ständigen Wechsel liegt. Volkmar Pees überlegt kurz und zieht dann eine durchaus positive Bilanz der vergangenen Jahrzehnte:
"Ja, an sich hatten wir schon immer ein gutes Verhältnis zu unseren amerikanischen Freunden. Es hat sich zunächst abgespielt auf der offiziellen Ebene. Aber dann auch etwas tiefer, weil die Amerikaner auch bei uns in den Häusern gewohnt haben, und junge amerikanische Familien sind nun einmal auch auf Nachbarschaften angewiesen oder auf eine ältere Frau, die dann als Vermieterin auftrat. Und so haben sich die persönlichen Verhältnisse dermaßen stabilisiert, dass die Amerikaner sagen: unser Baumholder. Also, wir wollen in Baumholder bleiben. Das gehört einfach mit dazu."
Dieses Verhältnis, sagt Volkmar Pees, während er nachdenklich seine Freunde anschaut, ist nach dem 11. September sogar noch enger geworden.
"Wir sind stärker zusammengewachsen. Das hat sich schon zwei Tage nach dem Attentat in New York gezeigt, dass wir hier in der Kirche eine große Prozession veranstaltet haben, wo amerikanische Familien und selbstverständlich die Amerikaner, oben angefangen vom Colonel bis runter zum Sergeant, mit teilnahmen. Und wenn Amerikaner heute im Irak sind, und verunfallen oder sterben, dann sind das nicht die Amerikaner, sondern dann sind das unsere Jungs."
Ohne die Amerikaner geht nichts in Baumholder. Fast alles ist von ihnen abhängig. Die Geschäfte, die Handwerker, die Vermieter, die Gastronomie. Altbürgermeister Pees deutet auf einige der Männer an den anderen Tischen. Der ist Elektriker, der da ist Heizungstechniker und da drüben, der ist Tischler. Alle leben überwiegend von den Aufträgen der Amerikaner. Pees kennt das auf und ab in der amerikanischen Politik - die Pläne, weitere Standorte in Übersee zu schließen. Für uns wäre das eine Katastrophe, sagt er, während die anderen nicken.
"Wir haben schon dreimal in meiner Amtszeit versucht, andere Strukturen aufzubauen. Das gelingt zwar auch in einem kleineren Maßstab, aber wenn wir wirklich eine Konversion machen sollten, wo Amerikaner hier ersetzt werden müssten, das wäre unmöglich. Dazu hätten wir gar keine Mittel. Da müssten wir dirigistisch sagen können, die und die Betriebe kommen nach Baumholder. Und das geht ja nicht."
Die Situation hat sich entspannt. Die amerikanische Regierung ist für den Weiterbestand von Baumholder. Volkmar Pees kann zufrieden sein. Nachholbedarf besteht aber in der Kooperation der Schulen mit den Amerikanern. Die Soldatenkinder besuchen Schulen auf dem Militärgelände. Im Schulzentrum von Baumholder, einem typischen 50er-Jahre Bau mit Flachdach, läutet die Pausenglocke. Die Kinder strömen auf den Schulhof, stehen in Gruppen zusammen, einige werfen sich einen Ball zu. An der Eingangstür steht Jutta Nitze, die Schulleiterin. Mittelgroß, dunkle Haare, offenes Gesicht. Sie lebt schon lange in Baumholder, hat früher immer mit Amerikanern zu tun gehabt. Auch mit amerikanischen Schülern. Jetzt, so sagt sie, und dabei blickt sie über das quirlige Treiben, ist alles etwas schwieriger. Aber, und dabei geht ein Lächeln über ihr Gesicht, es kann sich ja wieder ändern:
"Vor dem 11. September waren die Beziehungen enger. Ich war damals Klassenlehrerin einer sechsten Klasse und hatte in dieser Zeit engen Kontakt zur High School. Wir haben einen Austausch gemacht, waren zur Weihnachtsfeier dort bei den Amerikanern, und die Amerikaner waren bei uns. Aber nach dem 11. September hat sich das natürlich sehr verringert, und die Beziehungen sind nicht abgebrochen in dem Sinne, dass man keine Beziehungen mehr hat, aber es gab keinen Austausch mehr. Mittlerweile bestehen jetzt wieder Ideen, dass man den Kontakt wieder aufbaut, dass wir mit der High School gemeinsam im sportlichen und englischen Bereich einen Austausch aufbauen wollen, ab der Klassenstufe fünf."
Fast in Sichtweite vom Schulzentrum liegt der Stadtweiher von Baumholder. Mitten im Ort - ein Naturfreibad, drei Hektar groß. Die Liegewiesen reichen direkt bis ans Wasser, Familien mit kleineren Kindern genießen das schöne Wetter. An einem kleinen, künstlichen Strand steht Michael Röhrig, der erste Beigeordnete der Stadt und Motor der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit. Er unterhält sich mit einem jüngeren Mann, dessen Kurzhaarschnitt ihn wiederum als Amerikaner ausweist, obwohl er keine Uniform trägt.
In seiner hellen Freizeithose und Polohemd wirkt Michael Röhrig wie ein Urlauber, aber er bespricht gerade ein neues Projekt. Er veranstaltet sozusagen Betriebsausflüge mit den Amerikanern in die Umgebung der Stadt, organisiert Wanderungen durch die umliegenden Wälder, holt die Kinder der Soldatenfamilien zur örtlichen Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, und er ist erfolgreich damit:
"Es wird dankend angenommen. In der Zeit hat natürlich auch der Papa Zeit, mal ein Bierchen zu trinken, wenn wir uns um die Kinder kümmern. So was ist für mich also ganz wichtig hier in Baumholder, dass so was bleibt und auch weiter forciert wird."
Michael Röhrig flachst mit seinem amerikanischen Partner. Es geht um die Verständigung. Für die deutsche Seite meist kein Problem. Er grinst bei seiner Antwort:
"Very wunderbar."
Der amerikanische Freund lacht auch. Es geht ihm wie den meisten US-Soldaten, die kaum Deutsch sprechen, es sei denn, sie haben deutsche Ehefrauen. Aber selbst dann, wie das Beispiel des Standortkommandanten zeigt, gehen die meisten den bequemen Weg, der ihnen in Baumholder leicht gemacht wird. Aber es ist auch eine Frage des Bildungsstandes der Soldaten, ob sie bereit sind, mühsam Deutsch zu lernen. Denn mühsam ist es allemal. Der Amerikaner lacht wieder, legt seine Hände hinter die Ohren, deutet einen Trichter an.
"Ich habe ein schreckliches Ohr für Sprachen. Aber ich habe es immerhin probiert. Unsere deutschen Gastgeber sind einfach zu gut in unserer Sprache."
Vom Stadtweiher ist es praktisch ein Katzensprung zum Zentrum von Baumholder. Von der Stadtmitte führt die Kennedy Allee direkt zu einem der außen liegenden Militärtore. Akkurat gepflanzte, noch junge Bäume bringen etwas Grün, die vielen Geschäfte und Büros werben mit Außenreklamen wie Income Tax Professionels, Pentagon Car Sales oder Antique Shop. Fast wie in Amerika. Zum Ortskern hin wirkt alles wieder sehr Deutsch, mit verwinkelten Häusern und kleinen Kneipen.
In der Mitte an einer Kreuzung das Café Vis á Vis. An der Straße stehen Tische, Stühle und Sonnenschirme. Kein Platz ist frei. Eine Gruppe Frauen sitzt vergnügt an einem der Tische. Es sind Ehefrauen von US-Soldaten, die sich regelmäßig im Café treffen. Für sie ist Baumholder ein Stück Heimat, da stimmen sie alle überein. Eine schlanke Frau, elegante Frisur, helle Bluse, fällt sichtlich aus dem Rahmen der Jeans- und Poloshirt-Trägerinnen in der Runde. Emma White ist die Ehefrau des Kommandeurs der zweiten US-Kampfbrigade, Colonel Pat White. Sie lebt seit drei Jahren in Baumholder.
"Wir fühlen uns hier sehr wohl. Ich habe neun Jahre in Deutschland verbracht, und dieses ist die fünfte Stadt und ich mag sie sehr. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu den Bürgern hier, wir werden zu vielen Anlässen eingeladen, fühlen uns als Teil der Gemeinde und erleben die deutsche Kultur. Wir haben viele deutsche Freunde - ja, wir mögen es sehr."
Wie fühlt sie sich in der netten Runde bei dem Gedanken, dass ihr Mann und die anderen Soldaten in einem Land im Einsatz sind, in dem täglich Angriffe und Attentate auf die Amerikaner passieren? Emma White wirkt plötzlich ernst. Nachdenklich runzelt sie die Stirn. Für sie und die anderen Frauen ist es nicht immer leicht, im friedlichen Baumholder zu leben in dem Bewusstsein, dass ihren Männern im Irak täglich etwas Schreckliches passieren kann?
"Ich muss hier nicht leben - ich habe mich bewusst dafür entschieden. Es ist wichtig, mit den anderen Soldatenfrauen zusammenzuleben, deren Männer ebenfalls im Einsatz sind. Wir unterstützen uns, helfen uns gegenseitig und verstehen, was wir durchmachen. Würde ich in den USA leben, nähme meine Familie sicher auch großen Anteil. Aber es ist nicht so wie hier. Wir wandern in den Wäldern, besuchen Burgen, und all das lenkt uns ab, wenn wir einen schlechten Tag oder eine schlechte Woche haben. Wir hatten eine Woche, in der drei Soldaten starben. Das war ziemlich schlimm. Aber man kann vor seinen Problemen nicht davon laufen."
Emma White drückt aus, was auch die anderen Frauen empfinden. Auch ihre Gesichter sind ernst geworden. Immer wieder sterben Soldaten der zweiten Brigade im Irak. Wie wird die Frau des Commanders mit der Vorstellung fertig, dass es auch ihren Mann treffen könnte?
"Wir haben alle schlechte Tage, aber ich weiß, dass er dort sein will, und falls er morgen nach Hause fahren könnte, würde er es nicht tun. Falls ihm etwas passieren sollte … Ich weiß im Innersten meines Herzens, dass er am richtigen Platz ist, und ich akzeptiere das."
Emma White lächelt plötzlich, nimmt einen Schluck Kaffee. In Kürze ist der Einsatz ihres Mannes beendet. Dann kommen die Soldaten aus dem Irak zurück, während neue Einheiten nachrücken. Sie kehrt dann mit ihrer Familie zurück in die USA, aber mit guten Erinnerungen, sagt sie, an Baumholder. Einer kleinen Stadt, die einfach ganz anders ist, als alle anderen deutschen Städte.
"Es gibt keine andere Gemeinde, wo die Menschen genauso freundlich sind."
Ein Einheimischer:
"Meine Eltern haben an Amerikaner vermietet, schon seit 1952, und mein ältester Freund war hier von 1955 bis 1957, wohnt in Las Vegas, und der Kontakt ist bis heute geblieben."
Der Altbürgermeister:
"Wenn Amerikaner heute im Irak sind und verunfallen oder sterben, dann sind das unsere Jungs."
Auf einem kleinen Marktplatz mit etwas rumpeligem Pflaster drängen sich Hunderte von Menschen. Es riecht nach gegrillter Bratwurst, die Bierstände sind dicht umlagert. Auf einer Bühne eine Kapelle. Die Musiker tragen bayerische Trachtenjanker, Lederhosen und Hüte mit Gamsbärten, spielen die üblichen Schunkellieder. Ein Bild, wie in vielen deutschen Kleinstädten bei Stadt- oder Schützenfesten. Trotzdem ist es in Baumholder in der Provinz zwischen Kaiserslautern und Idar-Oberstein anders.
Ein Mann, Anfang 20, Jeans, buntes Freizeithemd, etwa 1,80 groß mit kurzen, ziemlich eckig geschnittenen Haaren, trägt in jeder Hand vier oder fünf Bierhumpen an einen der Stehtische. Lärmend empfangen von anderen Männern, die so ähnlich aussehen. Es sind Soldaten der zweiten US-Kampfbrigade der ersten Panzerdivision, genannt "The iron brigade", die eiserne Brigade. An einem langen Holztisch sitzen Deutsche und Amerikaner, stoßen mit den Gläsern an, scheinen sich zu kennen. Alle reden durcheinander, gestikulieren. Sie genießen das Leben auf dem Altstadtfest von Baumholder, einer Gemeinde, wo 5000 Deutsche mit rund 12.000 Amerikanern seit Jahrzehnten zusammenleben. Es ist der größte Standort mit Kampftruppen außerhalb der USA. Die jungen Soldaten lachen, freuen sich, weil sie zeitweise weit weg vom Krieg und Afghanistan oder Irak sind.
"Ich mag Baumholder. Ich hatte bisher eine sehr schöne Zeit."
"Mir gefällt es sehr gut. 1960 und 61 war mein Vater ebenfalls hier. Eine interessante Erfahrung."
Die anderen Soldaten nicken. So, wie sie aussehen, mit ihren Biergläsern in der Hand, scheinen sie sich wirklich wohl zu fühlen in Baumholder. Es sind Berufssoldaten, die den Einsatz im Irak als Auftrag sehen, der das Risiko wert ist. Der Sprecher der Gruppe, groß, muskulös, gut durchtrainiert, zögert keinen Moment mit der Antwort auf die Frage, ob er für den Einsatz ist:
"Ganz sicher. Strategisch ist der Irak immer ein wichtiger Teil der Welt gewesen. Man kann jetzt wirklich positive Entwicklungen sehen."
Das Stadtfest ist der Höhepunkt der vielen Veranstaltungen im Jahr. Der Alltag dagegen ist ruhig, beschaulich. In der Ortsmitte ist vom Militär nichts zu sehen. Die Straßen sind schmal, mit kleinen, meist zweistöckigen Häusern. Oft aneinander gebaut. Aus einer Einfahrt mit einem großen Holztor fährt ein Auto. Es ist die alte Einfahrt für die Pferdefuhrwerke der Bauern. Aber das gehört in Baumholder zur Geschichte.
Denn 1951 sehen die Menschen, wie ein schwerer Truck nach dem anderen durch die schmale Hauptstraße brummt. Die Amerikaner sind da, um den Truppenübungsplatz der Wehrmacht zu übernehmen. Damit kommt wieder Leben in die riesigen Kasernenanlagen, die das kleine Baumholder auf den umliegenden Höhen wie ein gigantischer Ringwall umgeben. Ein drei- oder vierstöckiges Gebäude neben dem anderen. Hellbeige gestrichen, mit schwarzen Schieferdächern. Abgeschirmt durch einen 40 Kilometer langen Sicherheitszaun.
Drinnen dann eine Welt für sich. Ein ziemlich großes Klein-Amerika. Baseball- und Basketballanlagen, Kino, Schulen, Hallenbad, ein PX, ein amerikanischer Supermarkt und eine Truppenkantine. Im Innern des lang gesteckten Flachbaus lange Essensausgaben aus Edelstahl. Amerikanische Kost: Burger, Steaks, mashed Potatoes - aber auch vegetarische Angebote. Überall bunte Girlanden, hell und freundlich. Es ist Mittagszeit. Die Soldaten kommen herein, greifen sich Tabletts, ordern Essen. Ein drahtiger, mittelgroßer Mann in grün-beige gefleckter Uniform kommt durch die Pendeltür, setzt sich an einen der Tische. Es ist Lieutenant Colonel, also Oberstleutnant Derek Rountree, der Standortkommandant. Seit drei Jahren wohnt er mit seiner Familie in Baumholder, steht aber kurz vor seiner Versetzung zurück in die USA:
"Baumholder ist wirklich eine typisch pfälzische Kleinstadt. Man kann sich eine angenehmere Gemeinde gar nicht vorstellen, wo die Menschen genauso freundlich und offen sind. Ich habe vorher in Wiesbaden, in Heidelberg und in Bad Winsheim gelebt, aber das hier ist ein sehr schöner Platz."
Eine Frau im mittleren Alter tritt an den Tisch. Blond, burschikos, nicht allzu groß. Carola Rountree, die Ehefrau des Standortkommandanten, spricht mit den Amerikanern mit deutschem Akzent. Sie stammt aus Franken, kennt viele Garnisonen und hat eine klare Meinung zur Lebensqualität von Baumholder:
"Ich bin der Meinung, das drückt sich im ganzen Leben hier aus, weil die Amerikaner hier fest integriert sind. Also, ich komme aus einem typischen Soldatenstandort - ich komme aus Fürth. Wir hatten sehr viele Kasernen. Ich muss aber sagen, der Zusammenhalt hier, wie die Stadt Baumholder und die Umgebung auf uns aufpasst, ist fantastisch. Es ist eben kleiner, aber es wird sich umeinander gekümmert. Das ist wie früher auf dem Dorf, wo die Gemeinschaft eben viel größer ist."
So, wie sie auftritt, wirkt Carola Rountree bodenständig. Sie gehört zu den Frauen, die wissen, wann sie mit anpacken oder helfen müssen. Als Ehefrau des Standortkommandanten ist sie oft Anlaufadresse, wenn die Amerikanerinnen in der Garnison Sorgen und Probleme haben. Und wie so viele deutsche Frauen hat sie ihren Mann durch ihre Arbeit auf einem Stützpunkt kennengelernt. Derek Rountree lacht und beschreibt das erste Zusammentreffen:
"Ich traf meine Frau in einem PX Supermarkt, als ich vom Golfkrieg 1991 zurückkehrte. Und nach einem Jahr haben wir geheiratet."
Obwohl er schon so lange verheiratet ist, hat er immer noch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache.
"Ich spreche Gasthausdeutsch. Aber in einem Interview würde ich es nie versuchen."
Derek Rountree reist viel, möchte seine guten Erfahrungen in Deutschland seinen Soldaten weiter vermitteln. Er will, und dabei blickt er zu den anderen Tischen, dass seine Männer und auch deren Familien einen positiven Eindruck von Deutschland mit nach Hause nehmen, wenn sie wieder in die USA zurückkehren.
"Wenn die Soldaten für zwei oder drei Jahre hierher kommen, und sich ihr Leben um die PX, die amerikanischen Supermärkte in Baumholder, Ramstein, Kaiserslautern oder Wiesbaden dreht, werden sie wahrscheinlich Deutschland mit dem Eindruck verlassen: Es hat mir nicht gefallen. Ich ermutige die Soldaten, sich Trier oder die Burg Langenbach oder viele andere Plätze in der Umgebung anzuschauen. Dann werden sie nach Amerika zurückkehren und sagen, dass Deutschland ein wunderschönes Land mit einer großen Kultur ist."
Kommandant Derek Rountree steht auf, winkt kurz, geht hinüber zur housing area, dem Appartment Komplex, wo die meisten amerikanischen Familien leben. Fünfstöckige Häuser mit Balkonen, dazwischen Grünflächen. In einem der Gebäude, im zweiten Stock, stehen Basketball Schuhe vor der Tür, daneben ein Holzschaf auf Rollen. Hier wohnt Familie Ingram, sie Staff Sergeant und er Master Sergeant. Außerdem die einjährige Tochter Heidi und der achtjährige Sohn Dave.
Lori Ingram freut sich über den Besuch. Sie zeigt auf die schweren Polstermöbel, die Schrankwand und hinüber zur offenen Küche. Auf dem Teppichboden versucht Tochter Heidi die ersten Schritte. Lori Ingram, groß mit langen, blonden Haaren, sieht in ihrer Uniform wie eine Modell-Soldatin aus. Ihr Mann Dwight, mittelgroß mit rabenschwarzen Haaren, ebenfalls noch in Uniform, kommt gerade vom Dienst. Beide stammen aus ländlichen Regionen und mögen deshalb auch Baumholder.
Dwight: "Es ist ein Ort wie zu Hause. Wir machen einige Ausflüge, gehen Einkaufen, wie wir es normalerweise auch in den Staaten tun."
Lori: "Die Kinder lieben es. Besonders mein älterer Sohn. Er lernt gerade Deutsch in der High School, während meine Tochter noch zu klein ist. Sie sind gern hier."
Lori und Dwight Ingram besuchen samstags schon mal den Wochenmarkt. Dicht an dicht stehen die Stände am Marktplatz vor den alten Häusern. Am Verkaufswagen eines Metzgers drängen sich die Kunden. Hinter der Theke ein rotgesichtiger, älterer Mann in gestreifter Jacke. Pausenlos reicht er Pfälzer Leberwurst, Saumagen oder Mettwurst über die Theke. Der Markt ist auch eine Kontaktbörse. Eine Gruppe von Männern, mittleres Alter im Freizeitlook, steht an einem Gemüsestand und diskutiert über Sportergebnisse, Politik und auch über die Amerikaner. Sie sind froh, dass sie in Baumholder sind.
"Also ich lebe jetzt hier in Baumholder seit meiner frühesten Jugend. Das funktioniert einwandfrei. Wir haben keine Schwierigkeiten. Wir ergänzen uns sehr gut, und es sind inzwischen sehr viele, gute Freundschaften entstanden. Meine Eltern haben an Amerikaner vermietet, schon seit 1952, und mein ältester Freund war hier von 1955 bis 1957, wohnt in Las Vegas, und der Kontakt ist bis heute geblieben."
Also alles bestens? Nicht immer. Die jungen Männer aus Baumholder schauen sich an. Haben aber keine Probleme damit, auch über Schwierigkeiten zu sprechen.
"Es gibt Probleme. Wenn die Soldaten jetzt zurückkehren aus dem Irak, dann haben die viel Geld, und dann gibt es Probleme, dass die Bürger durch den Lärm gestört werden. Wenn die dann aus den Lokalen rauskommen, da haben wir schon Probleme, und wir müssen dann mit den Amerikanern zusammen versuchen, diese Probleme zu lösen."
Mitten in der Stadt, nicht weit vom Wochenmarkt entfernt, steht das alte Rathaus. Ein kleines Gebäude, dreistöckig mit ockerfarbigem Putz und Blumenkästen mit Geranien. Aus dem Eingang kommt ein sportlicher Mann, etwa 50, kurzer Haarschnitt, gerade, militärische Haltung. Er winkt einem Straßenmusikanten zu, bleibt kurz stehen. Es ist Peter Lang, der Bürgermeister von Baumholder und als ehemaliger Oberstleutnant der Bundeswehr ein idealer Partner für die amerikanische Standortverwaltung. Von hier sind die Militäranlagen außerhalb der Stadt sichtbar, darunter langgestreckte Hallen. Dort hält die US-Armee Panzer und Geschütze für die Kriegsschauplätze, besonders im Irak, in Reserve. Für Peter Lang, und dabei deutet er mit den Händen einen Kreis an, ist Baumholder eine gigantische Drehscheibe für die amerikanischen Kampftruppen:
"Ja, die wechseln eigentlich immer durch. Wenn es so ist, wie beim letzten Mal, kommt dieser Einsatz zurück. Gleichzeitig wird gut ein Drittel davon ausgetauscht, und andere werden wieder dem Standort Baumholder zugeführt."
Peter Lang ist, wie seine Mitbürger, froh, dass der Standort erhalten bleibt. Als ehemaliger Offizier hat er auch Verständnis dafür, dass Soldaten manchmal über die Stränge schlagen.
"Die Amerikaner werden zurückkommen nach 15 Monaten Einsatz im Irak. Eine ganze Kampfbrigade mit 4.500 Männern und Frauen, die 15 Monate unter Bedrohung gelebt haben. Es gibt ja auch einige, die schon gefallen sind. 15 Monate haben diejenigen, die ledig sind, keine Frauen, keine Männer gesehen. Haben keinen Alkohol trinken dürfen und sind dann wieder hier in Deutschland, zurück in der zivilen Welt, ohne Gefahr, ohne Bedrohung. Dann werden die versuchen, das nachzuholen, was sie 15 Monate nicht hatten. Dann wird es in der Stadt wieder lauter werden. Dann gibt es teilweise Sachzerstörung. Das gilt es einfach einzudämmen, aber in gewisser Art und Weise etwas Nachsicht zu üben, weil es einfach zwar nicht in Ordnung ist, aber auf der anderen Seite wieder menschlich ist, dass man probiert, das nachzuholen, was man 15 Monate nicht machen konnte."
Peter Lang kennt die einschlägige Szene in der Stadt. Die Bars, wo table dance und vielleicht auch mehr geboten werden. Aber viele der jungen Soldaten, besonders diejenigen, die in Baumholder über Jahre stationiert sind, wollen einfach nur Unterhaltung. Vor einem Flachbau mit dem Charme eines Fabrikgebäudes stehen in langer Reihe alte Chevrolets, Fords und fast alle europäischen Fabrikate. Eine rote Neon Reklame weist den Weg zum Coyote Ugly.
Innen schrille Discomusik, zuckende Lichteffekte, an den grün-braunen Wänden, die bewusst auf alt gestaltet sind, amerikanische Auto-Nummernschilder, verblichene Fotos und andere Fundstücke. Unter der Decke unzählige BH´s, die von wilden Partys zeugen. Eine gut zehn Meter lange Bartheke beherrscht den Raum. Dahinter schenken bildhübsche Mädchen im knappen Outfit fast jedes erdenkliche Getränk aus. Die Original-Bar, einem Kultfilm nachempfunden, befindet sich in New York. An der Theke drängen sich die Gäste, fast alle in Jeans und T-Shirts. Nur der typische Kurzhaarschnitt zeigt, dass die meisten Soldaten sind. Für sie ist das Coyote Ugly ein Stück Amerika. Zwei der jungen Männer, Anfang 20, fröhlich, mit einer Flasche Bier in der Hand, sind mehrmals in der Woche hier.
"Ich bin fast immer hier."
"Es ist meine Lieblingsbar in Deutschland. Eine tolle Atmosphäre, hübsche Mädchen, man kann tanzen, tolle Musik, zwei-, dreimal pro Woche bin ich hier, oder öfter."
"Es gibt größere Drinks als woanders. Es ist ein Superplatz, um rumzuhängen."
Die GI´s gehen selten in die typischen Gasthäuser der Stadt. In der Gaststube des Hotels Zum Stern, holzvertäfelte Wände, eine große Theke, schwere Tische und Stühle. An einem der Tische sitzen drei ältere Herren. Etwa Ende 60, vor ihnen ein Glas Bier. Einer von ihnen, im dunklen Anzug mit Krawatte, lichtes Haar, ist Volkmar Pees, früherer Bürgermeister von Baumholder über Jahrzehnte. Er repräsentiert eine Generation, die mit den Amerikanern schon seit den 50er-Jahren zusammenlebt. Damals ist Baumholder bekannt für seine Nachtclubs, die leichten Mädchen und schnell verdiente Dollar. Obwohl es immer noch Bars gibt, ist es jetzt viel ruhiger, meint Pees. Was sicher auch an dem ständigen Wechsel liegt. Volkmar Pees überlegt kurz und zieht dann eine durchaus positive Bilanz der vergangenen Jahrzehnte:
"Ja, an sich hatten wir schon immer ein gutes Verhältnis zu unseren amerikanischen Freunden. Es hat sich zunächst abgespielt auf der offiziellen Ebene. Aber dann auch etwas tiefer, weil die Amerikaner auch bei uns in den Häusern gewohnt haben, und junge amerikanische Familien sind nun einmal auch auf Nachbarschaften angewiesen oder auf eine ältere Frau, die dann als Vermieterin auftrat. Und so haben sich die persönlichen Verhältnisse dermaßen stabilisiert, dass die Amerikaner sagen: unser Baumholder. Also, wir wollen in Baumholder bleiben. Das gehört einfach mit dazu."
Dieses Verhältnis, sagt Volkmar Pees, während er nachdenklich seine Freunde anschaut, ist nach dem 11. September sogar noch enger geworden.
"Wir sind stärker zusammengewachsen. Das hat sich schon zwei Tage nach dem Attentat in New York gezeigt, dass wir hier in der Kirche eine große Prozession veranstaltet haben, wo amerikanische Familien und selbstverständlich die Amerikaner, oben angefangen vom Colonel bis runter zum Sergeant, mit teilnahmen. Und wenn Amerikaner heute im Irak sind, und verunfallen oder sterben, dann sind das nicht die Amerikaner, sondern dann sind das unsere Jungs."
Ohne die Amerikaner geht nichts in Baumholder. Fast alles ist von ihnen abhängig. Die Geschäfte, die Handwerker, die Vermieter, die Gastronomie. Altbürgermeister Pees deutet auf einige der Männer an den anderen Tischen. Der ist Elektriker, der da ist Heizungstechniker und da drüben, der ist Tischler. Alle leben überwiegend von den Aufträgen der Amerikaner. Pees kennt das auf und ab in der amerikanischen Politik - die Pläne, weitere Standorte in Übersee zu schließen. Für uns wäre das eine Katastrophe, sagt er, während die anderen nicken.
"Wir haben schon dreimal in meiner Amtszeit versucht, andere Strukturen aufzubauen. Das gelingt zwar auch in einem kleineren Maßstab, aber wenn wir wirklich eine Konversion machen sollten, wo Amerikaner hier ersetzt werden müssten, das wäre unmöglich. Dazu hätten wir gar keine Mittel. Da müssten wir dirigistisch sagen können, die und die Betriebe kommen nach Baumholder. Und das geht ja nicht."
Die Situation hat sich entspannt. Die amerikanische Regierung ist für den Weiterbestand von Baumholder. Volkmar Pees kann zufrieden sein. Nachholbedarf besteht aber in der Kooperation der Schulen mit den Amerikanern. Die Soldatenkinder besuchen Schulen auf dem Militärgelände. Im Schulzentrum von Baumholder, einem typischen 50er-Jahre Bau mit Flachdach, läutet die Pausenglocke. Die Kinder strömen auf den Schulhof, stehen in Gruppen zusammen, einige werfen sich einen Ball zu. An der Eingangstür steht Jutta Nitze, die Schulleiterin. Mittelgroß, dunkle Haare, offenes Gesicht. Sie lebt schon lange in Baumholder, hat früher immer mit Amerikanern zu tun gehabt. Auch mit amerikanischen Schülern. Jetzt, so sagt sie, und dabei blickt sie über das quirlige Treiben, ist alles etwas schwieriger. Aber, und dabei geht ein Lächeln über ihr Gesicht, es kann sich ja wieder ändern:
"Vor dem 11. September waren die Beziehungen enger. Ich war damals Klassenlehrerin einer sechsten Klasse und hatte in dieser Zeit engen Kontakt zur High School. Wir haben einen Austausch gemacht, waren zur Weihnachtsfeier dort bei den Amerikanern, und die Amerikaner waren bei uns. Aber nach dem 11. September hat sich das natürlich sehr verringert, und die Beziehungen sind nicht abgebrochen in dem Sinne, dass man keine Beziehungen mehr hat, aber es gab keinen Austausch mehr. Mittlerweile bestehen jetzt wieder Ideen, dass man den Kontakt wieder aufbaut, dass wir mit der High School gemeinsam im sportlichen und englischen Bereich einen Austausch aufbauen wollen, ab der Klassenstufe fünf."
Fast in Sichtweite vom Schulzentrum liegt der Stadtweiher von Baumholder. Mitten im Ort - ein Naturfreibad, drei Hektar groß. Die Liegewiesen reichen direkt bis ans Wasser, Familien mit kleineren Kindern genießen das schöne Wetter. An einem kleinen, künstlichen Strand steht Michael Röhrig, der erste Beigeordnete der Stadt und Motor der deutsch-amerikanischen Zusammenarbeit. Er unterhält sich mit einem jüngeren Mann, dessen Kurzhaarschnitt ihn wiederum als Amerikaner ausweist, obwohl er keine Uniform trägt.
In seiner hellen Freizeithose und Polohemd wirkt Michael Röhrig wie ein Urlauber, aber er bespricht gerade ein neues Projekt. Er veranstaltet sozusagen Betriebsausflüge mit den Amerikanern in die Umgebung der Stadt, organisiert Wanderungen durch die umliegenden Wälder, holt die Kinder der Soldatenfamilien zur örtlichen Deutschen Lebensrettungsgesellschaft, und er ist erfolgreich damit:
"Es wird dankend angenommen. In der Zeit hat natürlich auch der Papa Zeit, mal ein Bierchen zu trinken, wenn wir uns um die Kinder kümmern. So was ist für mich also ganz wichtig hier in Baumholder, dass so was bleibt und auch weiter forciert wird."
Michael Röhrig flachst mit seinem amerikanischen Partner. Es geht um die Verständigung. Für die deutsche Seite meist kein Problem. Er grinst bei seiner Antwort:
"Very wunderbar."
Der amerikanische Freund lacht auch. Es geht ihm wie den meisten US-Soldaten, die kaum Deutsch sprechen, es sei denn, sie haben deutsche Ehefrauen. Aber selbst dann, wie das Beispiel des Standortkommandanten zeigt, gehen die meisten den bequemen Weg, der ihnen in Baumholder leicht gemacht wird. Aber es ist auch eine Frage des Bildungsstandes der Soldaten, ob sie bereit sind, mühsam Deutsch zu lernen. Denn mühsam ist es allemal. Der Amerikaner lacht wieder, legt seine Hände hinter die Ohren, deutet einen Trichter an.
"Ich habe ein schreckliches Ohr für Sprachen. Aber ich habe es immerhin probiert. Unsere deutschen Gastgeber sind einfach zu gut in unserer Sprache."
Vom Stadtweiher ist es praktisch ein Katzensprung zum Zentrum von Baumholder. Von der Stadtmitte führt die Kennedy Allee direkt zu einem der außen liegenden Militärtore. Akkurat gepflanzte, noch junge Bäume bringen etwas Grün, die vielen Geschäfte und Büros werben mit Außenreklamen wie Income Tax Professionels, Pentagon Car Sales oder Antique Shop. Fast wie in Amerika. Zum Ortskern hin wirkt alles wieder sehr Deutsch, mit verwinkelten Häusern und kleinen Kneipen.
In der Mitte an einer Kreuzung das Café Vis á Vis. An der Straße stehen Tische, Stühle und Sonnenschirme. Kein Platz ist frei. Eine Gruppe Frauen sitzt vergnügt an einem der Tische. Es sind Ehefrauen von US-Soldaten, die sich regelmäßig im Café treffen. Für sie ist Baumholder ein Stück Heimat, da stimmen sie alle überein. Eine schlanke Frau, elegante Frisur, helle Bluse, fällt sichtlich aus dem Rahmen der Jeans- und Poloshirt-Trägerinnen in der Runde. Emma White ist die Ehefrau des Kommandeurs der zweiten US-Kampfbrigade, Colonel Pat White. Sie lebt seit drei Jahren in Baumholder.
"Wir fühlen uns hier sehr wohl. Ich habe neun Jahre in Deutschland verbracht, und dieses ist die fünfte Stadt und ich mag sie sehr. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu den Bürgern hier, wir werden zu vielen Anlässen eingeladen, fühlen uns als Teil der Gemeinde und erleben die deutsche Kultur. Wir haben viele deutsche Freunde - ja, wir mögen es sehr."
Wie fühlt sie sich in der netten Runde bei dem Gedanken, dass ihr Mann und die anderen Soldaten in einem Land im Einsatz sind, in dem täglich Angriffe und Attentate auf die Amerikaner passieren? Emma White wirkt plötzlich ernst. Nachdenklich runzelt sie die Stirn. Für sie und die anderen Frauen ist es nicht immer leicht, im friedlichen Baumholder zu leben in dem Bewusstsein, dass ihren Männern im Irak täglich etwas Schreckliches passieren kann?
"Ich muss hier nicht leben - ich habe mich bewusst dafür entschieden. Es ist wichtig, mit den anderen Soldatenfrauen zusammenzuleben, deren Männer ebenfalls im Einsatz sind. Wir unterstützen uns, helfen uns gegenseitig und verstehen, was wir durchmachen. Würde ich in den USA leben, nähme meine Familie sicher auch großen Anteil. Aber es ist nicht so wie hier. Wir wandern in den Wäldern, besuchen Burgen, und all das lenkt uns ab, wenn wir einen schlechten Tag oder eine schlechte Woche haben. Wir hatten eine Woche, in der drei Soldaten starben. Das war ziemlich schlimm. Aber man kann vor seinen Problemen nicht davon laufen."
Emma White drückt aus, was auch die anderen Frauen empfinden. Auch ihre Gesichter sind ernst geworden. Immer wieder sterben Soldaten der zweiten Brigade im Irak. Wie wird die Frau des Commanders mit der Vorstellung fertig, dass es auch ihren Mann treffen könnte?
"Wir haben alle schlechte Tage, aber ich weiß, dass er dort sein will, und falls er morgen nach Hause fahren könnte, würde er es nicht tun. Falls ihm etwas passieren sollte … Ich weiß im Innersten meines Herzens, dass er am richtigen Platz ist, und ich akzeptiere das."
Emma White lächelt plötzlich, nimmt einen Schluck Kaffee. In Kürze ist der Einsatz ihres Mannes beendet. Dann kommen die Soldaten aus dem Irak zurück, während neue Einheiten nachrücken. Sie kehrt dann mit ihrer Familie zurück in die USA, aber mit guten Erinnerungen, sagt sie, an Baumholder. Einer kleinen Stadt, die einfach ganz anders ist, als alle anderen deutschen Städte.