Fetales Alkoholsyndrom in Südafrika

Millionen Kinder leiden an Schädigungen

23:11 Minuten
Vor einer Wellblechhütte stehen ca. zehn Jugendliche. Auf dem Boden liegt Müll.
Sozialer Brennpunkt außerhalb Kapstadts: arbeitslose Schulabbrecher in der Nachbarschaft Hanover Park © Deutschlandradio/ Thomas Kruchem
Von Thomas Kruchem |
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Mehr als anderswo in der Welt: In Südafrika leiden über zehn Prozent der Kinder am fetalen Alkoholsyndrom, zeigen Lernschwächen und Aggressivität – weil ihre Mütter während der Schwangerschaft Alkohol tranken. Es gibt Menschen, die das ändern wollen.
Prince Albert – ein Städtchen in der Halbwüste vier Stunden östlich von Kapstadt. Vor einer dunkelrot getünchten Betonhütte in einem Armenviertel spielen Kinder im Sand. Drinnen suchen die Hände der 26-jährigen Kimmy Halt an ihrem abgetragenen roten Pulli.
"Manchmal hatte ich einfach die Nase voll vom Leben hier und trank ein Bier nach dem anderen", erzählt sie. "Irgendwann aber merkte ich: Ich bin nicht allein, ich habe ein Kind in mir. Eine Weile trank ich dann weniger und nach sieben Monaten Schwangerschaft kam mein Sohn zur Welt – mit genau 1040 Gramm. Sechs Wochen lag er auf der Intensivstation, zwei Wochen hing er am Sauerstoff."
Kimmys inzwischen vierjähriger Sohn Achim hat schwere Organ- und vor allem Hirnschäden erlitten infolge des Alkoholkonsums der Mutter.
Ein Anwesen im Armenviertel der südafrikanischen Stadt Prince Albert.
Vier Stunden östlich von Kapstadt: ein Anwesen im Armenviertel der südafrikanischen Stadt Prince Albert © Deutschlandradio/ Thomas Kruchem
In der dunkelroten Betonhütte nimmt Psychologin Leana Olivier die mit den Tränen kämpfende Kimmy in den Arm. Die Hütte beherbergt das lokale Büro der "Stiftung für alkoholbezogene Forschung". Die kleine Hilfsorganisation betreibt in Prince Albert ein Forschungs-, Aufklärungs- und Therapieprojekt.
Leana Olivier, eine ältere Dame mit blitzenden Augen unter schwarzem Wuschelhaar, leitet die Stiftung. Besonders gefährlich, sagt sie, sei Alkoholkonsum einer Schwangeren, die noch gar nicht wisse, dass sie schwanger sei.
"Die Hirnentwicklung eines Kindes beginnt sehr bald nach der Empfängnis", erklärt sie. "Deshalb ist das Gehirn das Organ, das am schwersten geschädigt wird durch Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft. Ein Mensch mit fetalem Alkoholsyndrom leidet stets an irreversiblen Hirnschäden – mit der Folge von Entwicklungs-, Lern- und Verhaltensproblemen. Darüber hinaus können andere Organe geschädigt sein: das Herz, die Augen, das Skelett."

Wohnkasernen, betrunkene Männer und Gewalt

Hanover Park, eine Armensiedlung aus schäbig grauen Wohnkasernen außerhalb Kapstadts. In zwei dunklen Parterre-Räumen lebt – mit vier Kindern – die 45-jährige Marieke Titus. Sie arbeitet als Vorarbeiterin in einer Textilfabrik. Fast alle Nachbarn seien arbeitslos, erzählt Marieke. Sie hielten sich über Wasser mit der Rente der Oma, Kindergeld oder anderen staatlichen Hilfen. Ein hartes Leben in der Siedlung sei das.
"In unseren Wohnungen leckt es überall – aus Leitungen und Abwasserrohren. Wasser tropft durchs Dach und sickert durch Fensterrahmen. Die Wände sind feucht. Im Winter ist es eiskalt, im Sommer brütend heiß. Unsere Kinder sind deshalb dauernd krank", erzählt sie.
"Viele haben Tuberkulose und stecken sich gegenseitig an, wenn sie zu sechst in einem Raum schlafen. Ein großes Problem ist in Hanover Park auch die Müllabfuhr. Deren Fahrer sind wegen der Pandemie oft krank. Dann kommen sie nicht und die Leute schmeißen ihren Müll irgendwohin. Fliegen, Mäuse und Ratten machen unsere Kinder jetzt noch kränker."
So viele Kinder würden geschlagen von betrunkenen Partnern der Mutter – berichtet Mariekes Freundin Yolanda Mutiba. Die meisten Männer seien regelmäßig besoffen. Hinzu kommt der allgegenwärtige Terror krimineller Gangs. Vor drei Monaten geriet Yolandas Neffe ins Kreuzfeuer rivalisierender Gangster. Er starb, lange bevor – eskortiert von zwei Polizeiautos – der Krankenwagen kam.
Auch sexuelle Gewalt sei Alltag in Hanover Park, sagt Yolanda bitter. "Allein letzte Woche hatten wir fünf Mädchen hier im Viertel, die daheim vergewaltigt wurden – von ihren eigenen Angehörigen. Und man kann nichts dagegen tun, weil die Männer zu einer Gang gehören. Wenn du gegen die Anzeige erstattest, bringst du dein eigenes Leben und das deiner Kinder in Gefahr."

Frauen-Initiative will Teufelskreis beenden

Weil es in Hanover Park keine Sozialarbeiter gibt, haben Marieke, Yolanda und deren Cousine Tougeeda Petersen die Initiative "Frauen für den Wandel" gegründet. Dabei kümmern sie sich um alte Menschen, die sie schon mal aus einem Verschlag voller Urin und Fäkalien befreien. Sie verteilen Porridge an bettelnde Kinder und versuchen, Frauen zu helfen, die ungewollt schwanger werden.
"Manche Mädchen werden schwanger, nachdem sie von einer ganzen Gang vergewaltigt wurden. Sie haben einen Partner, der der Gang angehört, und dann müssen sie auch mit dessen Freunden schlafen", erzählt sie.
"Anderen Mädchen geht es zu Hause so dreckig, dass sie verzweifelt nach Liebe suchen. Sie werfen sich dem Erstbesten in die Arme. Der schwängert sie und dann stehen sie allein da – mit ihrem wachsenden Bauch. Ein Teufelskreis: Was der Mutter geschehen ist, geschieht den Töchtern."
Die Folge: verzweifelte Angst vor der Zukunft. Diese panische Angst und all die anderen Sorgen ertränken viele ungewollt schwangere Südafrikanerinnen in Alkohol. Viele Abhängige im Land geben den Großteil ihres Einkommens für Alkohol aus und betrinken sich am Wochenende.
Vier Frauen und ein Mann stehen in einem grün-weißen Zimmer vor einem Regal.
Gegründet, weil es keine Sozialarbeiter gibt: die Initiative „Frauen für den Wandel“ in Hanover Park.© Deutschlandradio/ Thomas Kruchem
Das hat mehrere Ursachen. Eine ist das sogenannte "Tot-System": Jahrhundertelang bezahlten weiße Winzer in Südafrika ihre Arbeiter auch mit Wein. So förderten sie Alkoholabhängigkeit. Dazu kam die Apartheid – sie machte aus Millionen Männern Wanderarbeiter ohne familiäres Verantwortungsbewusstsein. Die meisten Haushalte mit Kindern werden bis heute von Frauen geführt.
So ist es auch im Städtchen Prince Albert, wo die 26-jährige Kimmy in der dunkelroten Betonhütte von ihrem Leben erzählt. "Ich will einfach vergessen. Das Problem mit meinem Freund zum Beispiel, der mein Leben kontrollieren will. Und den Stress mit den Kindern. Wenn die weinen, weil kein Brot da ist, habe ich das Gefühl, absolut nichts wert zu sein. Solche Dinge treiben mich in den Alkohol."

Ein seit den 90er-Jahren bekanntes Problem

Treffen mit dem Kinderarzt und Humangenetiker Professor Denis Viljoen. Ein jovial auftretender älterer Herr, der in einer Seniorensiedlung außerhalb des Städtchens Hermanus lebt – mit betörend schönem Blick auf den Atlantik. Alkoholbedingte Schäden bei Kindern würden erst seit den 1970er-Jahren wissenschaftlich erforscht, erklärt Viljoen. Die Relevanz des Problems in Südafrika sei ihm in den frühen 90er-Jahren bewusst geworden. Damals habe jedes zehnte Kind, das er im Krankenhaus behandelte, Symptome von Alkoholschäden gezeigt. 1996 gründete Viljoen die "Stiftung für alkoholbezogene Forschung".
"Schwangere, die viel trinken, haben mehr Fehlgeburten als andere Frauen", erklärt er. "Und kommt das Kind lebend zur Welt, ist es meist unterernährt und bekommt Gelbsucht. Weil die Mutter sich oft wenig kümmert und wegen ihrer geringen Abwehrkräfte leiden solche Kinder auch häufig an Infektionskrankheiten, an Lungenentzündung und Magen-Darm-Infekten."
Fetale Alkoholschäden seien keine Erbkrankheit, erklärt Professor Viljoen. Es gebe im Blut auch keine biologischen Marker. Die Diagnose erfolge mittels einer medizinischen Untersuchung und psychologischer Tests. Hinzu komme ein Gespräch mit der Mutter, die allerdings nicht immer die Wahrheit sage über ihren Alkoholkonsum. Viele Fälle würden deshalb nicht erkannt. Am verheerendsten wirke sich Alkoholkonsum in der Frühphase der Schwangerschaft aus, betont Viljoen – vor allem auf die Nervenzellen des Embryos.

Zentrales Nervensystem und Gehirn betroffen

"95 Prozent der Schäden beim fötalen Alkoholsyndrom betreffen das zentrale Nervensystem und das Gehirn", erläutert er. "Die winzigen Alkoholmoleküle überwinden blitzschnell die Blut-Hirn-Schranke und zerstören dann massenhaft Nervenzellen. Kinder mit fetalem Alkoholsyndrom haben deshalb meist ein kleineres Gehirn. Selbst kleinste Mengen Alkohol, die die Mutter trinkt, reduzieren übrigens das körperliche und geistige Potenzial des Kindes. Es mag später im Alltag zurechtkommen, aber die Schäden sind messbar."
Je mehr Alkohol die Mutter trinkt, desto größer sind meist die Schäden. Weltweit werden ein bis zwei Prozent aller Kinder mit Alkoholschäden geboren. In Südafrika sind es knapp zwölf Prozent – sieben Millionen Betroffene, die höchste Rate weltweit. Schwer betroffene Kinder haben oft einen missgebildeten und kleinen Kopf. Ihre Seh- und Hörnerven können geschädigt sein – Nieren, Magen, Herz, das Skelett.
Wie schwer die Schäden sind, hängt indes von weiteren Faktoren ab – insbesondere von der Ernährung der Mutter. Babys mangelernährter Frauen würden durch Alkoholkonsum weit stärker geschädigt als Babys gut ernährter Frauen. In Südafrika ist fast ein Drittel der Bevölkerung schwer mangelernährt.

Weitere Schäden durch Mobbing in der Schule

In der Hütte der von Kinderarzt Denis Viljoen gegründeten Hilfsorganisation in Prince Albert kommt die 22-jährige Jessy vorbei. Eine fröhliche junge Frau, die sich vor ihrer Schwangerschaft hier beraten ließ. Ihr inzwischen zweijähriger Sohn kam gesund zur Welt. Ganz anders der heute fünfjährige Sohn ihrer 38-jährigen Schwester, die jahrelang zwei Flaschen billigen Weißwein täglich getrunken habe. Ihr Kind weine von morgens bis abends. Es könne nicht sprechen und weder seine Blase noch seinen Darm kontrollieren. Die Mutter sei völlig überfordert.
"Sie fühlt sich gestresst und schreit, wenn er wieder mal Pippi oder Kacke in der Hose hat", erzählt Jessy. "Ihr Partner, sein Stiefvater, schlägt den Jungen dann oft und wirft ihn, mit der Mutter, aus dem Haus. Manchmal ein ganzes Wochenende bleiben die beiden dann bei uns. Dann aber geht sie doch zurück zu diesem Mann. Das macht auch meine Mutter völlig fertig. Dieses ständige Hin und Her. Fast jeden Tag trinkt er und terrorisiert dann meine Schwester und das Kind."
Ein behindertes Kind erleide weitere Schäden durch die Reaktion seiner Umwelt, erklärt Stiftungsleiterin Leana Olivier. Zur Gewalt daheim kämen später Stigmatisierung und Mobbing in der Schule, wo ein alkoholgeschädigtes Kind durch Lernschwäche und unruhiges Verhalten auffällt – und oft durch Aggressivität, weil es ihm nicht gelingt, sein Empfinden zu verbalisieren.
"So ein Kind ist meist intelligent genug zu merken, dass ihm bestimmte Fähigkeiten fehlen. Das nagt am Selbstbewusstsein", erzählt sie. "Hinzu kommen Stigmatisierung und Mobbing: Die Eltern, die Lehrer, die Mitschüler – alle reagieren negativ auf dieses Kind, das sich nicht konzentrieren und nicht still sitzen kann, das dauernd stört und aggressiv reagiert. Dieses negative Feedback führten dann oft zu Depressionen bei dem Kind, die, werden sie nicht behandelt, weitere Probleme nach sich ziehen."
Viele mit Alkoholschäden geborene Kinder landen in der Gosse – oder im Gefängnis. In Kanada leidet, nach einer Studie, jeder dritte Gefängnisinsasse an einer fetalen Alkoholstörung. In Südafrika dürften es kaum weniger sein, schätzt Leana Olivier.

"Ihr Kind hat auch Stärken"

Alkoholgeschädigte Kinder, sagt die Psychologin Leana Olivier, bräuchten Hilfe so früh wie möglich: Liebe und Geduld, Physio-, Beschäftigungs- und Verhaltenstherapie.
"Es ist extrem wichtig, dass wir den Eltern sagen: ‚Ja, Ihr Kind hat einen Hirnschaden und einen geringen Intelligenzquotienten. Aber ihr Kind hat auch Stärken, die Sie finden und entwickeln müssen. Das fördert das Selbstbewusstsein des Kindes.‘ In diesem Sinne arbeiten wir auch mit den Lehrern solcher Kinder. Sie dürfen ein Kind mit vitalem Alkoholsyndrom nicht aufgeben, sondern müssen ihm helfen, sein Potenzial voll zu entwickeln. So kann man eine Menge erreichen."
Das Problem: Liebe und Geduld sind Mangelware im stressgeprägten Überlebenskampf armer Familien in Südafrika. Und: Physio-, Beschäftigungs- oder Verhaltenstherapie gibt es in Südafrika meist nur auf Privatrezept, nicht aber im öffentlichen Gesundheitswesen, wo man schon für ein paar Tabletten stundenlang anstehen muss.

Südafrikas Regierung hat keine wirksamen Konzepte

Ein Seminar der Stiftung für alkoholbezogene Forschung in Le-eu-Ganka, ein ödes Dorf 20 Kilometer außerhalb von Prince Albert. Eine Expertin des Gesundheitsministeriums ist gekommen. Sie präsentiert ein detailliertes Lösungskonzept, wie Südafrika umgehen kann mit Kindern, die unter fetalen Alkoholstörungen leiden.
Erst mal sollen die Klassenlehrer eine Diagnose erstellen, dann individuelle Unterstützungspläne erarbeiten und bei Bedarf die Kinder an den richtigen Therapeuten überweisen. Leana Olivier lächelt müde. Völlig überforderte Lehrer mit 60, 70 Kindern in der Klasse sollen für ein halbes Dutzend dieser Kinder detaillierte behindertenpädagogische Interventionspläne erarbeiten und implementieren – mithilfe von Therapeutinnen und Therapeuten, die gar nicht existieren?
"Wir in Südafrika haben wundervolle Pläne und Konzepte. In der Praxis jedoch wird nichts davon umgesetzt", kritisiert sie. "Sie haben ja gehört, wie die Referentin des Erziehungsministeriums die Notwendigkeit von Schulen für behinderte Kinder beschrieben hat. Dann aber sagte sie, für 300 Kinder, die dringend einen Platz bräuchten, habe sie gerade zwei Plätze."

Weder Geld noch Personal vorhanden

Im Grunde ignorierten Südafrikas Politiker die millionenfache Verstümmelung von Kindern im Mutterleib, meint Stiftungsleiterin Leana Olivier. Der Staat beschränke sich auf abstrakte Konzepte, für deren Umsetzung weder Geld noch Personal vorhanden seien. Und der Staat fasse die Alkoholindustrie mit Samthandschuhen an – obwohl deren Produkte das Land weit mehr kosten, als sie an Arbeitsplätzen und Steuern einbringen.
Bleiben kleine Organisationen wie die "Stiftung für alkoholbezogene Forschung". Sie hat in 40 Kommunen Studien zur vorgeburtlichen Alkoholschäden erstellt, Frauen aufgeklärt, betroffene Mütter und Kinder betreut. Im Hüttenbüro in Prince Albert hat Jessy weiter erzählt von ihrer Schwester, die kein zweites alkoholgeschädigtes Kind bekommen sollte.
"Als meine Schwester wieder schwanger war, haben wir sie hierher geschickt. Die Frauen von der Organisation haben mit ihr gesprochen und dann uns allen einen Film gezeigt. Da hat eine schwangere Frau viel getrunken und dann ein behindertes Kind zur Welt gebracht. Meine Schwester war erschrocken darüber, wie schlimm das Kind aussah und dass es ohne Hilfe nichts machen konnte. Sie hat dann erst mal aufgehört zu trinken."

Durch Aufklärung die Fälle um 50 Prozent gesenkt

Golliath Lottering, Bürgermeister von Prince Albert und Le-eu-Ganka, sieht seine Schulen völlig überfordert von den Verhaltensproblemen alkoholgeschädigter Kinder. Er sieht seine Kommune überfordert von alkoholgeschädigten Kleinkriminellen, die am Rande der Gesellschaft dahinvegetieren.
In Prince Albert hat die Intervention der "Stiftung für alkoholbezogene Forschung" die Zahl vorgeburtlicher Alkoholschäden um immerhin 50 Prozent gesenkt. Der Bürgermeister hofft, dass die Stiftung ihr eigentlich auf drei Jahre begrenztes Projekt noch einmal verlängert.
"Die Aktivitäten der Stiftung in Prince Albert helfen unseren Frauen, die Gefahren des Alkoholkonsums zu verstehen und entsprechend zu handeln", sagt er. "Ich bin absolut sicher, dass wir die Zahl der Kinder mit fetalem Alkoholsyndrom weiter senken können – wenn auch in Zukunft junge Leute von hier Aufklärungsarbeit leisten."

Familie Lourens und ihre zwei Pflegetöchter

Pinelands, eine sogenannte Garden City außerhalb Kapstadts. Das Mittagessen mit Familie Lourens in der Freiluft-Pizzeria eines Einkaufszentrums schmeckt hervorragend. Vivian Lourens und ihr Mann Peter sind fast 70. Jahrzehntelang hat Vivian als Pflegemutter gearbeitet. Ihr erstes nicht-weißes Kind war die heute 28-jährige Carrie, die an diesem Freitag zufrieden lächelnd ihre Pizza genießt.
Carrie blieb früh zurück in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung. Als sie vier Jahre alt war, diagnostizierte Kinderarzt Professor Viljoen ein fetales Alkoholsyndrom. Auch die drei Jahre jüngere Tisha, die als Mittagessen Spaghetti gewählt hat, leidet an diesem Syndrom.
Aber: "Tisha wurde sehr früh diagnostiziert. Wir wussten also, dass wir Probleme haben würden. Und es war auch geplant, dass sie nur eine Weile bei uns bleiben würde. Diese Weile aber wurde länger und länger – bis wir uns nicht mehr von ihr trennen konnten. Um keinen Preis hätte ich sie gehen lassen. Wir haben dann viel Zeit damit verbracht, ihr kleine Dinge des Alltags beizubringen: mit Physio-und Beschäftigungstherapie. So haben wir Tishas vorhandene Fähigkeiten maximal entwickelt. Das war wirklich harte Arbeit. Aber sie war es wert."
"So wie Carrie", ergänzt Pflegemutter Vivian und legt ihren Arm um die ältere Pflegetochter. Die für sie neuartige Behinderung von Carrie und Tisha hätten sie und ihr Mann sofort akzeptiert – als eine weitere, mit viel Liebe zu bewältigende Herausforderung.
"Wir wussten damals gar nicht, was ein fetales Alkoholsyndrom ist. Als die Ärzte mir sagten, dass Tisha an diesem Syndrom leidet, nickte ich bloß mit dem Kopf. Zu Hause begann dann Peter, am Computer zu recherchieren. Und wir nahmen Kontakt auf mit Experten und Betroffenen in den USA und Kanada. Hier in Südafrika gab es ja niemanden, der uns helfen konnte."

Kaum finanzielle Unterstützung des Staates

Ein Vierteljahrhundert mit zwei behinderten Pflegetöchtern. Das sei halt ihr Leben, lächelt Vivian und umarmt nun Tisha – die trotz ihrer geringen Intelligenz viel gelernt habe. "Seit ihrer frühen Kindheit wiederholen und wiederholen wir mit Tisha."
Zum Beispiel allein über die Straße zu gehen oder – wie heute – an der Bar eine weitere Cola zu bestellen – mit freundlichem Lächeln. Seine Familie sei glücklich, sagt Peter Lourens und Vivian nickt. Immer mal wieder gehen die Lourens mit Carrie und Tisha ins Kino. Die beiden chatten auf WhatsApp mit Freundinnen. Wenn die Pandemie vorbei ist, wollen sie auch wieder in einer Werkstatt arbeiten.
Und die Familie will wie früher viele Ausflüge machen: "Sonntags sind wir an den Strand gegangen oder fortgefahren – zum Picknick."
Wie verzaubert lächeln Tisha und Carrie, Vivian und Peter Lourens. Dies, obwohl die Familie seit dem 18. Geburtstag der Pflegetöchter kein Pflegegeld mehr erhält, nur für Carrie eine Behindertenrente von 100 Euro im Monat. Peter, ein kaufmännischer Angestellter, muss auch mit 68 weiterarbeiten, um mit seiner Frau und den beiden Pflegetöchtern über die Runden zu kommen.
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