Nostalgie und Experimentierfreude
43:03 Minuten
Hörspiele werden immer häufiger auch als Podcast produziert. Wie unterscheiden sich traditionelle Hörspiele von den boomenden Fiction- und Hörspiel-Podcasts? Wir vergleichen beide Varianten mit dem Hörspiel-Experten Golo Föllmer.
Nicht nur in den USA boomen mittlerweile fiktionale, mehrteilige Geschichten als Podcasts. Dabei funktionieren sie oft ähnlich wie Serien: eine übergreifende Story in mehreren Teilen, mit mehreren Handlungssträgen und Zeitlinien, komplexen Figurenkonstellationen und Cliffhangern.
Hörspiele und fiktionale Stoffe gehören wohl auch deswegen gerade zu den beliebtesten Podcast-Genres. Mehr noch: Einige US-amerikanische Hörspiel-Podcasts wie beispielsweise "Homecoming" sind bereits zur Vorlage für erfolgreiche Video-Serien geworden. Jenseits der öffentlich-rechtlichen Radio-Hörspiele, wie sie auch in den Sendern des Deutschlandradios laufen, beginnt auch der deutsche Markt für Podcast-Hörspiele gerade zu wachsen und zu experimentieren.
Eine witzige "True Crime"-Hommage
Kriminalfälle sind selten zum Lachen. Doch bei der ersten Staffel von "This Sounds Serious" von CastBox können Hörerinnen und Hörer einfach nicht anders. Die fiktionale Geschichte spielt mit allen Klischees, die das Genre True Crime und besonders die True-Crime-Podcasts über die Jahre hervorgebracht haben. Da ist zum Beispiel die überambitionierte Podcast-Moderatorin Gwen Radfort, die fasziniert ist von Notruf-Telefonaten und natürlich unbedingt den Mordfall lösen will.
Die satirische Umsetzung bei "This Sounds Serious" wird aber nicht nur durch komödiantische Dialoge und Überspitzungen getragen, sondern auch durch die für Podcasts eher aufwändige Produktionsweise: Wenn hier eine Person in der fiktiven Geschichte im Auto sitzt, dann wurde ihr Sprechpart auch in einem Auto aufgezeichnet. Deshalb gehört dieser Podcast zu den Lieblingen von "Über Podcast"-Moderatorin Anna Bühler, auch wenn sie zugeben muss: "Man muss ein bisschen zwischen den Zeilen lesen oder vielleicht auch True Crime gehört haben, um zu verstehen, dass das ein bisschen übertrieben ist am Ende."
Drei Radio-Klassiker
Medien- und Musikwissenschaftler Golo Föllmer ist nicht nur Fan von Hörspielen, sondern kennt sich auch sehr gut mit ihnen aus. Für diese Folge "Über Podcast" hat er deshalb drei ganz klassische Radio-Hörspiele aus seinem Archiv mitgebracht:
- "War of the Worlds" des späteren Hollywoodregisseurs Orson Welles basiert auf gleichnamigen Roman von H.G. Wells und erzählt die Geschichte von Außerirdischen, die auf der Erde landen. Das 1938 im Radio ausgestrahlte Hörspiel war für einige Hörerinnen und Hörer so glaubhaft, dass es in der Bevölkerung von New York und New Jersey mitunter zu Paniken gekommen sein soll.
- Das Hörspiel "Draußen vor der Tür" von 1947 ist eine Adaptation eines Dramas des Schriftstellers Wolfgang Borchert. Es erzählt von dem vergeblichen Versuch eines Kriegsheimkehrers seinen Platz in der Nachkriegsgesellschaft zu finden.
- "March Movie" von 1983 heißt das Hörspiel von Michael Köhlmeier und Peter Klein. Darin geht es um den Bahnschrankenwärter Oskar Zambanini, der sich auf die Suche macht eine verschwundene Blasmusikkapelle wiederzufinden.
Für Golo Föllmer sind alle drei Hörspiele gute Beispiele dafür, was das Genre leisten kann und worin auch der Reiz von fiktionalen Podcasts liegen könnte.
Podcast und Hörbuch treffen sich am "Abgrund"
Eine Gruppe alter Schulfreunde machen einen Ausflug auf eine Insel. Doch statt einer ausgelassenen Zeit erwarten sie dort jede Menge Geheimnisse und Intrigen. So lässt sich der Plot des deutschen Hörspiel-Podcasts "Der Abgrund" zusammenfassen.
Eine klassische Triller-Geschichte aus der Feder von Melanie Raabe, umgesetzt vom Hörbuchverlag "Serials". Der hat mit diesem Podcast wirklich eine Hochglanzproduktion hingelegt, die in ihrer Wertigkeit an klassische Hörspiele erinnert – nur eben ohne den klassischen Erzähler.
Doch bei allem Lob hat "Der Abgrund" eine Schwäche: Die Aufnahmen sind in hörbar steriler Studio-Atmosphäre aufgenommen worden, es fehlt an realistischen Aufnahmen und an Atmosphäre. Dabei liegt hier bei vielen Fiction-Podcasts gerade die Stärke. Hörspiel-Experte Golo Föllmer kann darüber aber hinweghören: "Wenn die Story gut genug ist, dann vergisst man es vielleicht."
Der unendliche Erzählkosmos von "Night Vale"
Night Vale ist ein fiktives Wüsten-Kaff, in dem die seltsamsten Dinge passieren. Über die berichtet Radiomoderator Cecil alle zwei Wochen in einer fiktiven Radio-Show, die als englischsprachiger Podcast "Welcome to Night Vale" erscheint.
Die erfolgreiche Indie-Podcastproduktion spielt mit tonnenweise schwarzem Humor, arbeitet mit wiederkehrenden Figuren und erlaubt sich sogar Anspielungen auf die echte Welt. "Das Konzept serielles fiktionales Erzählen geht da total auf, weil man sich immer in einem Kosmos bewegt, der wird so Stück für Stück erweitert", schwärmt "Über Podcast"-Moderator Beiko Behr.
Die "Über Podcast"-Playlist auf Spotify: