Fiebrige Religiosität
Christologische Zeichen treten hervor, flammende Hinweise auf Gott und seinen Sohn. Ein Mann taucht in einer Unfallklinik auf mit einem Messer im Auge und wird wider Erwarten gerettet. Die Realitätsverstörung nimmt ab parallel zur Heilung des Erzählers "Saukopp". Und eine seltsame Stille verbreitet sich in diesen magischen Erzählungen.
Denis Johnsons Erzählungen "Jesus' Sohn" sollte man in der Reihenfolge lesen, in der sie der Band bringt. Denn sie beschreiben einen Prozess der Heilung, Reinigung und Erlösung, auf leiblicher, moralischer und metaphysischer Ebene. Die zunächst wirren, ja verstörten Episoden im Leben des Ich-Erzählers "Saukopp" ("Fuckhead") berichten von den Realitätsverschiebungen, Stimmungsbrüchen und inneren Entgrenzungen der Drogensucht. Gewalttätigkeit und eine krank anmutende zärtliche Weltpoesie stehen unmittelbar nebeneinander.
"Nach einer Reihe frostkalter Wintermonate war der milde Frühlingsabend wie ein Fremder, der uns seinen Atem ins Gesicht hauchte."
So schutzlos stellt sich das Subjekt immer wieder da. Panik regiert. "Die Angst hatte mir mit einem Schlag das Rote aus dem Blut gebannt. Ich war wie aus Gummi." Jemand hat "Augen wie aus dem Spielzeugladen".
Die Welt nimmt teils Hieronymos-Bosch-ähnliche Züge an: In grellen Farben voller Monster, teils die Fahlheit einer höllenähnlichen Unerlöstheit:
"Irgendwann, in einer Zeit vor aller Geschichte, hatten sich Gletscher durch diese Landschaft gewuchtet. Nun herrschte seit Jahren Dürre, und ein bronzefarbener Nebel aus Staub stand über den Ebenen. Die Sojabohnenernte war auch dieses Jahr verdorben, und am Boden lagen welke, verkümmerte Maisstängel in Reihen ausgebreitet wie Unterwäsche. Die meisten Bauern pflanzten schon längst nichts mehr an. Alle falschen Traumbilder waren ausgelöscht. Es war wie der Augenblick, bevor der Erlöser kommt. Und der Erlöser kam, doch mussten wir lange auf ihn warten."
Je länger desto mehr treten christologische Zeichen in diesen Texten hervor, flammende Hinweise auf Gott und seinen Sohn. Ein Mann taucht in einer Unfallklinik auf mit einem Messer im Auge und wird, wider Erwarten, gerettet. Der Heiland tritt auf in Gestalt eines Mannes, der einen jeden liebevoll ansieht und bei jedem eine Erektion auslöst.
Vor einer Abtreibungsklinik wird dem Erzähler der Skandal des Tötens Ungeborener bewusst:
"Es ging nicht um das, was die Ärzte taten, es ging nicht um das, was die Frau tat. Es ging um das, was die Mutter und der Vater taten, beide zusammen."
Die Realitätsverstörung nimmt ab im Verlauf der Erzählungen, parallel zur Heilung des Erzählers. Eine seltsame Stille verbreitet sich in diesen magischen Texten. "Saukopp" ("Fuckhead") wird Zeuge, wie ein Ehemann seiner Frau die Füße wäscht – er hatte geglaubt, es würde auf Sex hinauslaufen.
Als Geheilter pflegt er Geisteskranke, Behinderte und Alte in einem Heim, das am Rande der glühenden Wüste von Texas liegt. "All diese Verrückten", so endet der Band, "- und ich, dem es nun jeden Tag ein bisschen besser ging, mitten unter ihnen. Ich hätte nie gedacht, nie auch nur einen Herzschlag lang zu glauben gewagt, dass es einen Ort geben könnte für Leute wie uns."
Alexander Fest hat diese Geschichten neu übersetzt und in einem edel gestalteten Band herausgebracht. Sie machen uns bekannt mit einer expressiven, symbolisch verrätselten, fiebrigen Religiosität, die, ganz modern christlich, den Glauben aus der Erfahrung des Bösen, des Abgrunds und der Verworfenheit entwickelt. Solche Spannung ist – ganz unabhängig vom Glauben des Lesers – ein starkes Moment einer faszinierend fremdartigen Poesie.
Denis Johnson: Jesus‘ Sohn
Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Alexander Fest.
Rowohlt Verlag. Reinbek 2006.
175 Seiten. 14,90 Euro.
"Nach einer Reihe frostkalter Wintermonate war der milde Frühlingsabend wie ein Fremder, der uns seinen Atem ins Gesicht hauchte."
So schutzlos stellt sich das Subjekt immer wieder da. Panik regiert. "Die Angst hatte mir mit einem Schlag das Rote aus dem Blut gebannt. Ich war wie aus Gummi." Jemand hat "Augen wie aus dem Spielzeugladen".
Die Welt nimmt teils Hieronymos-Bosch-ähnliche Züge an: In grellen Farben voller Monster, teils die Fahlheit einer höllenähnlichen Unerlöstheit:
"Irgendwann, in einer Zeit vor aller Geschichte, hatten sich Gletscher durch diese Landschaft gewuchtet. Nun herrschte seit Jahren Dürre, und ein bronzefarbener Nebel aus Staub stand über den Ebenen. Die Sojabohnenernte war auch dieses Jahr verdorben, und am Boden lagen welke, verkümmerte Maisstängel in Reihen ausgebreitet wie Unterwäsche. Die meisten Bauern pflanzten schon längst nichts mehr an. Alle falschen Traumbilder waren ausgelöscht. Es war wie der Augenblick, bevor der Erlöser kommt. Und der Erlöser kam, doch mussten wir lange auf ihn warten."
Je länger desto mehr treten christologische Zeichen in diesen Texten hervor, flammende Hinweise auf Gott und seinen Sohn. Ein Mann taucht in einer Unfallklinik auf mit einem Messer im Auge und wird, wider Erwarten, gerettet. Der Heiland tritt auf in Gestalt eines Mannes, der einen jeden liebevoll ansieht und bei jedem eine Erektion auslöst.
Vor einer Abtreibungsklinik wird dem Erzähler der Skandal des Tötens Ungeborener bewusst:
"Es ging nicht um das, was die Ärzte taten, es ging nicht um das, was die Frau tat. Es ging um das, was die Mutter und der Vater taten, beide zusammen."
Die Realitätsverstörung nimmt ab im Verlauf der Erzählungen, parallel zur Heilung des Erzählers. Eine seltsame Stille verbreitet sich in diesen magischen Texten. "Saukopp" ("Fuckhead") wird Zeuge, wie ein Ehemann seiner Frau die Füße wäscht – er hatte geglaubt, es würde auf Sex hinauslaufen.
Als Geheilter pflegt er Geisteskranke, Behinderte und Alte in einem Heim, das am Rande der glühenden Wüste von Texas liegt. "All diese Verrückten", so endet der Band, "- und ich, dem es nun jeden Tag ein bisschen besser ging, mitten unter ihnen. Ich hätte nie gedacht, nie auch nur einen Herzschlag lang zu glauben gewagt, dass es einen Ort geben könnte für Leute wie uns."
Alexander Fest hat diese Geschichten neu übersetzt und in einem edel gestalteten Band herausgebracht. Sie machen uns bekannt mit einer expressiven, symbolisch verrätselten, fiebrigen Religiosität, die, ganz modern christlich, den Glauben aus der Erfahrung des Bösen, des Abgrunds und der Verworfenheit entwickelt. Solche Spannung ist – ganz unabhängig vom Glauben des Lesers – ein starkes Moment einer faszinierend fremdartigen Poesie.
Denis Johnson: Jesus‘ Sohn
Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Alexander Fest.
Rowohlt Verlag. Reinbek 2006.
175 Seiten. 14,90 Euro.