"Fightclub" in Bochum

Von Michael Laages |
Im ersten Stück ein Sozialfall, der per Bolzenschussgerät beendet wird und keifende Proll-Karikaturen im zweiten: Zwei Theaterstücke von Brecht und Laucke im Schauspielhaus in Bochum zeigen verzweifelte Kämpfe und verstörende Sozialstudien. Warum ein Besuch lohnt.
Manche kämpfen ohne Motiv, nur um des Kampfes selber – wie Shlink, der reiche Zuwanderer, der Garga herausfordert, den armseligen Angestellten in Bertolt Brechts frühem Stück "Im Dickicht der Städte".

Und manche kämpfen, weil es vielleicht keinen anderen Weg mehr gibt, um das Ziel zu erreichen, das womöglich schon verloren ist – so läuft im neuen Stück des Dramatikers Dirk Laucke der frühere Gussstückverarbeiter "Jimi", eigentlich: Jochen Bowatski, Amok, gerade ist er den Job los und will ihn sich jetzt wiederholen, vom Chef persönlich.

Einmal mehr nimmt der Dramatiker Dirk Laucke, seit dem Erstling "alter ford escort. dunkelbau", uraufgeführt in Osnabrück, eines der wichtigen Talente zeitgenössischer deutscher Theaterschriftstellerei, die Abgehängten ins Visier, die Übriggeblieben, den traurigen Rest der einstmals stolzen Sozialrepublik Deutschland.

Er will selber bestimmen, wann Schluss ist: Jochen Bowatski (der über 50 ist und sich lieber "Jimi" nennt, wegen Hendrix, wegen Morrison ... ) hat schon so viele andere kaputt gehen sehen, als die Arbeit für sie ausgegangen ist und sie sich ohne Aussicht auf Zukunft in Hartz-IV-Land haben einrichten müssen, so jedenfalls will er nicht enden.

Aber er ist den Job los. Und am Abend zuvor hat ihm Kumpel Markus in "Monie’s Eck" diesen Floh ins Ohr gesetzt – wenn Jimis Geschichte ein Film wäre, hat Markus (frisch zurück aus der Psycho-Therapie und auch schon leicht angeschickert) bei Monie vor sich hin gesponnen, dann käme jetzt der große Showdown, und Jimi Bowatsky, seit ungezählten Jahren vor allem mit der Feile unterwegs im Betrieb, greift sich ein Schweinebolzenschussgerät und fährt mit Markus zum Boss vom Ganzen und holt sich seinen Arbeitsplatz zurück.

Filmplots funktionieren vielleicht so. Das Leben folgt der Fabel leider nicht. Denn bedauerlicherweise treffen Amok-Jimi und Helferlein im Haus vom Boss nur dessen Frau an, Frau Fassbender. Und der Fall wird noch ein bisschen komplizierter dadurch, dass kurz vorher auch Luc vom Escort-Service eingetroffen ist, in Handwerkerkluft und mit allerliebster Rück-Ansicht: Arschbacken frei geschnitten und mit Kuss-Herzchen drauf… Donnerstag, so scheint es, ist "sein Tag" bei Frau Fassbender.

Boss und Job aber? Fehlanzeige. Herr Fassbender ist zunächst (und angeblich) bei einer Tagung in Frankfurt, wo er nicht gestört werden darf, weil die chinesischen Investoren so sensibel sind, mit denen er gerade verhandelt. Dann gibt die Gattin zu, dass er seit Wochen "verschwunden" ist. Schließlich entdeckt Bowatsky den Chef im Keller – am Ende, dement, Gesicht zur Wand und versteckt hinter einem riesigen Spielzeug-Bergwerk… Mit so einem verhandeln nicht mal Chinesen. Und Jimi erkennt, dass sie wohl beide "raus" sind, der Chef und er.

Jimi gibt auf – und während Markus und der Escort-Schnucki auf der Flucht aus dem Chaos von Film-Karrieren träumen, fährt der Kämpfer ins Haus der Mutter, die vor zwei schon Jahren starb und ihm nichts als eine männlichen Schildkröte namens Mucki hinterließ, 104 Jahre alt, die ihn die ganze Story über begleitetet hat. Ganz weit weg von allem beendet Jimi den sozialen Problemfall Bowatski – per Schweinebolzenschussgerät. Und Mucki bleibt mit Herrn Fassbender im Dementen-Heim.

Für die anhaltende Finsternis und Aussichtslosigkeit in Lauckes Sozialstudie, grundiert mit einigen Abwicklungs- und Niedergangsgeschichten aus Bochums jüngerer Vergangenheit, kommt Christina Pfrötschners Uraufführungsinszenierung dann ja doch erstaunlich heiter daher. Dass liegt natürlich daran, dass dieser Film-Plot Charme hat – als wären Jimi und Jimis Chef autonome Wesen und einer könnte vom anderen den Job zurück holen. Darüber hinaus bleibt dieser Jimi bei aller Grobschlächtigkeit und intellektuellen Enge halt auch ein sympathischer Haudrauf; er trägt eben Bud Spencer, den Kinoprügelheini aus den Spaghetti-Western der 70er Jahre auf dem T-Shirt. Und die bei-nahe leere Bühne stiftet viel Spiel-Phantasie.

Dies ist ein Autor, der sich nichts vergibt, wenn er Klartext redet, aber eben auch weiß, dass selbst klarster Klartext heutzutage gar nichts mehr nützt. Eine "Komödie vom Ende des Kapitalismus" raunt die Bochumer Dramaturgie – und das stimmt leider nur insofern, als überdeutlich wird, dass das Wirtschaftssystem, wie es ist, niemandem mehr nützen kann: nicht den Besitzern, nicht den Lohnabhängigen. An sich geht’s dem Kapitalismus ja weiterhin prima. Und der Staat räumt dann den Müll weg.

Den Kampf ohne Motiv in Brechts Stück "Im Dickicht der Städte" erzählt der Schweizer Regisseur Roger Vontobel ab Premierenabend zuvor zunächst eine gute Stunde lang erstaunlich gut verstehbar, ohne dass er Brechts forcierte Rätselspielereien erklären wollte. Alles beginnt statt in einem Buchladen in einer Videothek und per Überwachungskamera – das funktioniert gut und geht direkt über in die rasenden Bilder von Gargas nackter Flucht durch die Stadt, mit einem urbanen Lichtermeer in Claudia Rohners Bühnenhintergrund. Doch dann fällt diese schöne Bild von der Wand (mit Absicht natürlich!) und die Story vom Kampf verzweigt sich in den Alltag der Garga-Familie. Keifende Proll-Karikaturen zeigt Vontobel hier und all die schöne Konzentration vom Beginn ist hin.

Aber für Florian Lange als Garga und noch mehr für Matthias Redlhammer als höchst konzentrierter (und damit völlig unfassbarer) Shlink lohnt auch dieser Besuch in Bochum.