Fikry El Azzouzi: "Wir da draußen"
Aus dem Niederländischen von Ilja Braun
Dumont, Köln 2016
224 Seiten, 20 Euro
Den Autor Fikry El Azzouzi können Sie bei einer Lesung hören und erleben: 22. September in Hamburg, 19 Uhr, Cap San Diego, Luke 4, Überseebrücke
Der Übersetzer Ilja Braun spricht über seine Arbeit an "Wir da draußen" im Rahmen des Internationalen Übersetzertages am 30. September in Frankfurt am Main, 17 Uhr, Bibliothekszentrum Sachsenhausen
Hedderichstraße 32
Frecher Witz - und unendliche Trauer
Mit "Wir da draußen" hat der marokkanisch-stämmige Belgier Fikry El Azzouzi ein mitreißendes Porträt geliefert: Vier Freunde hängen in einem kleinen flämischen Ort zusammen ab. Das Buch schildert ihre Hoffnungen und Träume - und ihr Scheitern.
Sie sind zuhause rausgeflogen. Jetzt lungern sie im örtlichen Waschsalon, in Yilmaz‘ Kebabladen oder in der Wohnung ihres Junkie-Freunds herum. Ayoub, Fouad, Maurice und Kevin leben in einem kleinen flämischen Ort namens Waasdorp. Ayoub und Fouad stammen aus marokkanischen Familien, Maurice ist Halbafrikaner und Kevin ein "Weißbrot", das heißt: ein gebürtiger Flame. Kevin nennt sich lieber Karim und ist genauso heimatlos wie seine Freunde.
Zur Schule gehen die vier nicht mehr. Stattdessen treiben sie sich herum, bändeln mit Mädchen an, beklauen sie, verticken die Beute und machen Stress in der Dorfkneipe. Willkommen sind sie nirgends, auch nicht im Lokal des islamischen Ortsvereins.
Die "graue Maus" als Erzähler
Weil Ayoub, der die ganze Geschichte erzählt, so witzig formulieren kann, merkt man nur langsam, wie unendlich traurig die Jungen eigentlich sind. Fouad pumpt sich mit Anabolika voll, schlüpft für kurze Zeit bei einem älteren Belgier unter und wirft sich irgendwann vor einen Zug. Maurice ist lustig und charmant, doch auch seine Laune kann schnell kippen. Der fünfzehnjährige Ayoub wird von seinen Freunden zwar oft als "graue Maus" bezeichnet, wirkt als Tagebuchschreiber und Erzähler der Geschichte aber noch am stabilsten. Völlig aus der Bahn wirft es Kevin alias Karim, der zum Islam konvertiert - und anfängt, seine Freunde zum heiligen Krieg anzustacheln.
Der 37jährige Fikry El Azzouzi stammt selbst aus einer marokkanischen Familie und wuchs in Flandern auf. Neben etlichen Theaterstücken veröffentlichte er bislang drei Romane auf Niederländisch. In einem Interview erzählte er, dass auch er selbst von religiösen Eiferern angesprochen wurde. Er weiß also, worüber er schreibt, wenn er vor allem Karim, später aber auch seine chronisch unterbeschäftigten Freunde Maurice und Ayoub ins radikale Milieu abgleiten lässt.
Der Dschihad als Floskelsammlung
El Azzouzi zeigt dabei mit viel Scharfsinn, wie floskelhaft die heiligen Sprüche des konvertierten Karim sind. Der Dschihad bietet den Jungen eine Aufgabe, die Möglichkeit, Frust rauszulassen und am Ende vielleicht sogar für einen kurzen Moment berühmt zu werden. Mit Gott oder einer tieferen Überzeugung hat nichts zu tun.
Die große Stärke des Romans "Wir da draußen" ist Ayoubs frische Erzählstimme, der auch Ilja Braun in seiner Übersetzung einen jugendlichen, knackigen Klang gibt. Nur manchmal wirkt der 15jährige Erzähler ein bisschen zu altklug, und immer wieder driftet ihm seine Geschichte ins Slapstickhafte ab. Hier hätte El Azzouzi sich ein paar Schenkelklopfer sparen und stattdessen seinem zwar witzbegabten, aber durchaus realitätsbezogenen Erzähler Ayoub vertrauen sollen.
Hervorragend gelungen aber ist dem Autor die Darstellung sich entwickelnder Jugendlicher. Seine Figuren haben trotz ihrer markigen Sprüche etwas Weiches und Unfertiges an sich. Dass man sie trotz ihres teils unsympathischen Auftretens mag, ist eine große Kunst und Fikry El Azzouzi auf beachtliche Weise geglückt.