"Wir wollten auf keinen Fall den Box-Sport verherrlichen"
Juho Kuosmanen hat ein Porträt des Boxers Olli Mäkis gedreht, der 1962 als erster Finne im Federgewicht um den Weltmeistertitel kämpfte. Das Boxen, sagt Kuosmanen, habe ihn dabei weniger interessiert als die Figur: ein Pechvogel, zu dem man sofort in Beziehung tritt.
Juho Kuosmanen: Der Film, den ich zuvor gedreht habe, wie auch mein Abschlussfilm "The Painting Sellers", für den ich 2010 in Cannes den ersten Preis der Cinéfondation gewonnen habe, haben viele Auszeichnungen bekommen. Als ich mein erstes Theaterstück geschrieben hatte, dachte ich noch, gut, das reicht, um alle Erwartungen, die wir an einen Ort und eine Geschichte richten, zu erfüllen. Dann stieß ich auf die Geschichte von Olli Mäki. Ich glaubte, dass man sofort eine Haltung zu dem Stoff gewinnt. Da ist ein Typ, dem sich die Chance seines Lebens bietet, und dann scheitert er. Es endet in der Katastrophe. Zu so einem Pechvogel tritt man sofort in Beziehung. Ich fühlte mich erinnert an das, was ich als Berufsanfänger durchgemacht habe. Der Film ist eine Allegorie und spiegelt meine eigene Situation, meine Gefühle. Filme machen ist wie Boxen. Am Ende stehst du allein im Ring und wirst übel zusammen geschlagen. (lacht)
Wellinski: Das Leben und die sportlichen Erfolge des wahren Olli Mäki sind, glaube ich, in Finnland ziemlich bekannt. Können Sie dennoch erklären, wer der Mann eigentlich war, dem Sie nun Ihren Spielfilm gewidmet haben?
"Mäki zählt immer noch zu den besten finnischen Boxern"
Kuosmanen: So bekannt ist die Geschichte in Finnland heutzutage nicht mehr, jedenfalls nicht in meiner Generation. Mäki war einmal sehr berühmt und er zählt immer noch zu den besten finnischen Boxern. Er kommt aus der Stadt, in der ich aufgewachsen bin. So habe ich als Kind schon von ihm gehört. Mich hat sein Ruhm kaum interessiert. Ich finde, er hat einfach einen starken Charakter und ist eine vielschichtige Persönlichkeit.
Wellinski: Jetzt ist Ihr Film ja gar kein klassisches Biopic geworden. Sie zeigen ja nur einen Ausschnitt aus dem Leben dieses Mannes und verdichten darin alles, was es Interessantes über ihn zu sagen gab. Können Sie denn erzählen, wie Sie die Struktur für Ihren Film entwickelt haben?
Kuosmanen: Ich finde auch, es ist mehr ein Porträtfilm als ein Biopic. Das gab uns mehr Freiheit. Wir mussten nicht alles, was Mäki zugestoßen ist, erzählen. Klar war, dass wir uns auf den entscheidenden Kampf konzentrieren würden und die zwei, drei Wochen der Vorbereitung darauf. In dieser kurzen Zeitspanne wird alles sichtbar. Als wir die Recherche begannen, hatten wir noch an die Jahre zwischen 1957 und 1964 gedacht, aber dann haben wir auf alle anderen interessanten Boxkämpfe verzichtet und uns voll auf den kurzen Zeitraum eingelassen.
Wellinski: Wenn wir ihn kennenlernen, lernen wir auch sein Umfeld kennen, zum Beispiel seinen Trainer, der auch ein ehemaliger Boxmeister war, und die Menschen um ihn herum. Da ist relativ klar, was sie wollen. Sie wollen, dass er den großen Kampf gewinnt. Ich hatte immer das Gefühl, dass wir nicht wirklich wissen, was Olli Mäki will, weil er auch zögert, weil er gewisse Widerstände zeigt, was die anderen auch nicht verstehen. Vielleicht können Sie beschreiben, was will eigentlich Olli Mäki?
"Er wusste, dass es in der Katastrophe enden würde"
Kuosmanen: Das ist natürlich eine der härtesten Fragen überhaupt, mit der wir beim Schreiben des Drehbuchs konfrontiert waren. Normalerweise hat der Protagonist einen erkennbaren Willen. Ich dachte, Mäki hat etwas vor, er verfolgt ein Ziel, aber welches, das war für uns nicht so leicht zu erkennen. Er wollte kämpfen, aber er wusste, dass es in der Katastrophe enden würde. Er musste viel Gewicht verlieren. Wichtiger, als den Boxkampf zu gewinnen, war für ihn, sich aus der Welt, in die er hineingeraten war, hinaus zu katapultieren. Er fühlte sich dort nicht zuhause. Und er gewann Freiheit und Liebe. Es geht also nicht um das Gewinnen und Verlieren eines wichtigen Kampfes, sondern um das Erspüren und das Finden eines eigenen Weges, dem man dann treu bleibt.
Wellinski: Jetzt ist das, was einem sofort ins Auge fällt, natürlich, dass Sie in Schwarz-Weiß gedreht haben. Warum eigentlich? Der Authentizität wegen?
Kuosmanen: Wir hatten gar nicht vor, in Schwarz-Weiß zu drehen. Wir haben verschiedene Filmmaterialien und Formate ausprobiert, auch Umkehrfilm. Das gefiel uns gut, aber die Farben hatten doch zu sehr diesen Siebzigerjahre-Ton. Erst als wir auf Farbe verzichteten, fühlte sich das richtig und passend an. Wir haben mit Schwarz-Weiß-Material gedreht und am Ende nutzten wir Kodak TRI-X Reversal. Man erkennt eine gewisse Struktur im Material. Ich mag das sehr, alles sieht aus wie in den Sechzigern.
Wellinski: Da ich jetzt noch den Produzenten dabei habe: Ist das nicht ein Albtraum? Da produziert man einen Film über einen finnischen Boxer, den wahrscheinlich nur ein geringer Teil der Menschheit kennt und dann noch 16 Millimeter in Schwarz-Weiß. Hatten Sie Albträume?
"Ein sehr unaufgeregter historischer Eindruck"
Sol Bondy: Wir hatten keine Albträume, aber es war tatsächlich eine große Überraschung, kurz vor Drehbeginn, was unsere Kollegen in Finnland da ausprobiert haben. Die haben das Material getestet, haben versucht, den richtigen Look für den Film zu finden und haben uns dann ein paar Wochen vor Drehbeginn angerufen und gesagt: Übrigens, wir würden den Film gern in Schwarz-Weiß drehen. Da haben wir ziemlich geschluckt, weil unser Beitrag ist eine Koproduktion auch mit dem Fernsehen, mit dem Saarländischen Rundfunk und mit arte, und wir wussten nicht, wie die das wohl finden würden und mussten zugleich kleinlaut bei arte anrufen und denen sagen, wie würdet Ihr das eigentlich finden, wenn der Film in Schwarz-Weiß gedreht würde? Glücklicherweise gab es sofort Zuspruch. Was ich noch als kleinen Schwank erzählen kann, ist, dass sie ein paar Tage später dann anriefen und sagten, wir haben uns überlegt, wir würden den Film gern in 4:3 drehen, und da haben wir uns wirklich an den Kopf gefasst und gesagt: Leute, wir senden den Film im Fernsehen, und Fernseher sind schon lange nicht mehr 4:3. Und das Ende der Geschichte ist: Der Film wurde tatsächlich in 4:3 gedreht, nur haben sie dann zum Glück im Nachhinein entschieden, oben und unten etwas von der Bildinformation abzuschneiden, weil sei festgestellt haben, es funktioniert auch so. Das, was wir erzählen wollen, dieser sehr unaufgeregte historische Eindruck, das begeistert mich an dem Film, dass man den guckt und man bemerkt die Bemühung gar nicht, dass das ein historischer Film ist. Man wird einfach total reingezogen. Das ist sicherlich durch diese Ästhetik zustande gekommen.
Wellinski: Das ist ein gutes Stichwort. Ich kann mir auch die Dreharbeiten sehr intensiv vorstellen. Es geht natürlich um Authentizität und um die Liebe zum Detail, aber der Versuch, dieses Finnland von damals auferstehen zu lassen, das muss doch alle Beteiligten in so eine komische Zeit versetzt haben.
Kuosmanen: Wir haben unglaublich viel Zeit darauf verwandt, die perfekten Drehorte zu finden und die Ausstattung zu gestalten. Unsere Art zu drehen, auch, wie die Schauspieler sich bewegen, das ist dann wieder ganz zeitgemäß, so wie man das heute macht.
Wellinski: Das wirklich Spannende ist der Rhythmus. Jeder, der ihn sieht, wird begreifen, worum es mir geht. Es ist schwer zu beschreiben, wenn man die Bilder ins Radio holen will, weil man kann nicht sagen, es ist ein Boxfilm. Der Boxfilm ist in der Geschichte sehr stark verankert. Es sind ganz große Regisseure, die sich mit diesem Genre auseinander gesetzt haben. Es ist ein anderer Boxfilm. Trotzdem wollte ich fragen: Als Regisseur, orientiert man sich an Leuten wie Scorsese und Eastwood, die den Boxfilm etabliert haben im Kino?
"Mäkis Frau mochte den Film und war sehr berührt"
Kuosmanen: Nein, ich achte nicht auf alle, aber es gibt schon ein paar, die interessant sind. Mein Ausstatter wollte sich keinen einzigen Boxfilm anschauen. Er hatte ein bisschen Angst und fragte mich, ob ich mir ernsthaft all diese Boxfilme ansehen wollte. Für mich war es schon wichtig, zu schauen, wie andere Regisseure den Boxsport gedreht haben, denn eines ist ja klar: Es geht nicht nur ums Boxen. Andere sind dieser Linie auch gefolgt. Wir wollten nichts nachmachen. Und wir wollten auf keinen Fall den Sport verherrlichen so wie das in den Sechzigerjahren noch üblich war. Was uns geholfen hat, war, dass wir die gewöhnlichen Fallen des Genres vermieden haben.
Wellinski: Liegt es auch daran, dass das eigentliche Boxen, der sportliche Akt an sich, in Ihrem Film wirklich einen minimalen Bruchteil wahrnimmt?
Kuosmanen: Ja, das Boxen hat uns im Grunde genommen gar nicht so sehr interessiert. Der alles entscheidende Kampf, um den es im Film geht, hat ja nur zwei Runden gedauert. Wir mussten also wenige Boxszenen drehen.
Wellinski: Hat denn eigentlich der wahre Olli Mäki Ihren Film gesehen, und wenn ja, wie hat er darauf reagiert?
Kuosmanen: Er hat den Film gesehen, aber er leidet an Alzheimer und ich glaube nicht, dass er sich daran erinnert, ihn überhaupt gesehen zu haben. Seine Frau hat ihn sich angesehen und meinte danach, ihr sei so gewesen, als wenn sie diese Tage noch einmal erlebt. Das fand ich dann erstaunlich, denn der Film hält sich zwar getreu an Fakten, aber wir haben auch etwas dazu erfunden. Sie mochte den Film und war sehr berührt. Sie hat uns überhaupt sehr unterstützt und viele kleine Informationen gegeben. Ich glaube, sie mag den Film wirklich.
Bondy: Ein schönes Detail, was dem Kinogänger auf den ersten Blick verborgen bleibt, ist, wenn in der letzten Szene Olli und Raija am Hafen von Helsinki entlang spazieren, kommt ihnen ein altes Paar entgegen, und sie fragen sich, ob sie wohl auch eines Tages so enden werden. Und das sind der echte Olli Mäki und sein Frau Raija, die ihnen da entgegenkommen. Man sieht sie nur von hinten. Der aufmerksame Abspannleser wird es sehen, aber es ist doch ein kleines schönes Detail, was wir gerne verraten.