Film "Die Hände meiner Mutter"

Wenn Missbrauch nicht mehr beschwiegen wird

Szene aus dem Film "Die Hände meiner Mutter", der beim Filmfest München 2016 gezeigt wird
Andreas Döhler und Katrin Pollitt in dem Film "Die Hände meiner Mutter" © Filmfest München 2016
Florian Eichinger im Gespräch mit Susanne Burg und Patrick Wellinski |
In dem Film "Die Hände meiner Mutter" erinnert sich ein erwachsener Mann an den Missbrauch in seiner Kindheit – durch eine Frau, seine eigene Mutter. Der Regisseur Florian Eichinger sagt, dass er ein "relativ tabuisiertes Thema" ohne reißerischen Voyeurismus behandeln wollte.
Patrick Wellinski: Der Film "Die Hände meiner Mutter" beginnt mit einer sehr schönen Familienfassade: Der Geburtstag des inzwischen alt gewordenen Vaters wird gefeiert, es wird geredet, getanzt, alle sind irgendwie glücklich... und dann ist da Markus, inzwischen 39 Jahre alt, einer der Söhne und selbst Vater mittlerweile. Er erinnert sich, dass er als Kind sexuell missbraucht wurde. Langsam beginnt dann sein Leben sich aufzulösen. Der Akt des Missbrauchs liegt aber schon 30 Jahre zurück. Was hat Sie denn an genau seiner Perspektive interessiert?
Florian Eichinger: Für mich war es interessant, eine männliche Hauptfigur zu haben, die mit einer Art von Gewalt konfrontiert ist, die man vielleicht in der Öffentlichkeit noch gar nicht so richtig kennt. Oder das ist zumindest ein Thema, das noch relativ tabuisiert ist. Ich bin selbst darauf gestoßen bei den Recherchen zu meinem letzten Film "Nordstrand" und dachte mir: Was ist denn das für eine Geschichte, die ich da im Internet gelesen habe und die mich dann dazu inspiriert hat? Ich dachte mir: Das ist interessant und vielleicht auch kraftvoll, was zum Beispiel Rollenbilder in unserer Zeit oder auch gesellschaftlich angeht, wie man jetzt damit klar kommt, als Mann ein Opfer, könnte man sagen, zu sein. Und dann auch noch von einer Frau als Täterin, in dem Fall sogar die eigene Mutter, der Person, die sonst für Urvertrauen schlechthin steht. Eine haarsträubende Sache. Das fand ich interessant, wie der da durchgeht mit seiner Frau, denn das bürgerliche Ehepaar, um das es da geht, die lieben sich natürlich und alles, aber es ist eben nicht so leicht, mit so einer Sache, mit der vielleicht viele Leute überfordert sind, dann auch umzugehen.

Susanne Burg: Man wohnt im Film so ein bisschen auch dem Zerfall der Beziehung leider bei. Dazu kommt dann, dass Markus sich immer mehr erinnert, was eigentlich passiert ist, und es gibt Rückblenden, aber Sie haben die nicht so inszeniert, dass man dann Rückblende hat und Markus ist irgendwie ein Kind – also er ist ein Kind, aber gespielt wird das Ganze von dem erwachsenen Schauspieler, nämlich von Andreas Döhler. Das ist sehr verstörend, weil es dadurch so nahe dranbleibt an Markus und nicht irgendwo in die ferne Vergangenheit verschoben wird. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Florian Eichinger: Auf die Idee kam tatsächlich ein Schauspieler, der diese Rolle ursprünglich spielen sollte. Ich fand die Idee allerdings auch gleich faszinierend aus genau dem Grund, den Sie gerade sagen: Dass es eben nicht ein anderer Darsteller ist oder eine ganz andere Zeit, sondern dass es auch sehr viel mit der Gegenwart zu tun hat, indem man das auch von ihm spielen lässt, ohne ihn als Kind zu verkleiden. Das ist erst mal natürlich eine eher surreale Setzung, fast ein bisschen theaterhaft in dem Moment, aber man gewöhnt sich, glaube ich, sehr schnell daran und wohnt einfach dem Seelenleben eines Menschen bei, ob der jetzt Kind ist oder erwachsen. Und man ahnt dann auch das Grauen, was es vielleicht auch für das Kind bedeutet haben mag, ohne aber in den Voyeurismus abzurutschen, den man hätte, wenn man mit einem Kinderdarsteller gearbeitet hätte. Das war mir natürlich auch wichtig, dass man nicht einen Film dreht, der mit reißerischen, spektakulären Schauwerten solcher Art sich anbiedert, sondern die Geschichte einfach aus einer seelischen Perspektive zu sehen.
Der deutsche Filmregisseur Florian Eichinger in München
Der Regisseur Florian Eichinger präsentiert seinen Film "Die Hände meiner Mutter" beim Filmfest München 2016© Sven Crefeld/Deutschlandradio Kultur

Ausbrüche des Schmerzes und Abscheus

Patrick Wellinski: Der Film, und das ist sehr beeindruckend, ist sehr ruhig erzählt, es gibt wenig unterlegte Musik, die Szenen werden nicht überdramatisiert. Ich kann mir vorstellen, dass es auch am Set sehr intensiv war. Vielleicht können Sie mal erzählen, wie die Dreharbeiten vonstatten gingen. Das Thema muss ja auf alle Beteiligten irgendwie auch einen Eindruck gemacht haben.
Florian Eichinger: Ja, ich glaube, es ist für alle Beteiligten eine sehr intensive Zeit gewesen, weil sich natürlich gute Schauspieler auch besonders hineinversetzen in das, was sie tun, und damit auch auseinandersetzen. Zum Beispiel der Andreas Döhler, der für Theatersachen bekannt ist, aber im Kino und auf der großen Leinwand bisher viel zu selten zu sehen war, den hat es einfach sehr mitgenommen. Man hat es wirklich gemerkt, der hatte, auch wenn die Kamera aus war, seine Ausbrüche des Schmerzes und des Abscheus zum Teil auch, obwohl es ja gar nicht so viele Szenen sind, in denen man Gewalt direkt sieht.
Susanne Burg: Es ist ja auch ein Missbrauch, über den sonst nicht viel geredet wird, nämlich der einer Mutter an ihrem Sohn. Ein Tabuthema. Aber es gibt nun nach Rosa von Praunheims Film "Härte" einen zweiten Film, Ihren – tut sich da was, was die Aufarbeitung dieses Tabus angeht?
Florian Eichinger: Interessante Frage. Ich hoffe es. Ich hoffe, dass das eine Sache ist, die sich freimachen kann von den vielleicht auch verkrusteten Rollenbildern, dass Männer immer die Täter sind und Frauen immer die Opfer. Denn das wird beiden nicht gerecht, und ich finde, es verkürzt auch beide auf eine komische Art, die sicherlich der Vereinfachung halber gemacht wird und auch aus gewissen Sehnsüchten heraus und auch aus einer gewissen Einfindung in bestimmte Muster, sie vielleicht auch braucht oder möchte, aber die Wirklichkeit ist eben sehr komplex. Es gibt da den Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Missbrauchs, und der sagt, dass die Zahlen bei Missbrauch durch Frauen bei etwa zehn bis 20 Prozent liegen, das macht immer noch 80 bis 90 Prozent der Täter sind die Männer. Aber auch recht viele Frauen, vergleichsweise dafür, dass man es gar nicht weiß. Und deswegen war es wichtig für mich, auch darüber zu erzählen.
Patrick Wellinski: Ihr Spielfeld ist die Familie, Ihr Film ist der dritte Teil einer Trilogie. In "Bergfest" geht es um die Beziehung zwischen Vater und Sohn, in "Nordstrand" um zwei Brüder, nun also Mutter und Sohn. Was ist es, das dieses Familiengeflecht so spannend macht, dass Sie permanent davon erzählen wollen?
Florian Eichinger: Ich glaube, es ist ein Gebiet, was wir alle kennen, jeder hat eine Familie. Bei mir ist es so, ich habe eine recht große Patchwork-Familie, bei der ich sehr viele Dinge auch im Gewaltbereich aus naher Distanz oder auch direkt beobachten konnte. Ich habe das Gefühl, dass ich darüber einiges erzählen kann, was vielleicht nicht zu klischeehaft ist, weil es gibt auch viel, was da in Klischees verharrt, und ich würde da gern ein bisschen genauer hinschauen. Deswegen dachte ich mir, vielleicht mache ich wirklich auch mehrere Filme zu dem Thema, weil es in verschiedenen Konstellationen sich auch ganz unterschiedlich auswirkt. Diese Verstrickungen, in denen die Einzelnen sind und meistens auch die ganze Familie indirekt, sind sehr relevant für das Leben eines Menschen.
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