Programmtipps: Sa., 3.9.2016, und Sa., 10.9.2016 ab 14:30 Uhr - Wir berichten in unserer Sendung Vollbild vom Filmfestival in Venedig
Wim Wenders erfüllt sich einen Traum
Wim Wenders' Film "Die schönen Tage von Aranjuez" feierte beim Filmfestival in Venedig Premiere. Ein alterndes Paar redet im Garten über die Welt, Liebe und Sex - und es ist, als könne man in diesem 3D-Film in ihre Wirklichkeit eingreifen.
Ohne Zweifel: Wim Wenders hat mit seiner Adaption von Peter Handkes Theatertext "Die schönen Tage von Aranjuez" den bisher schönsten Film im Wettbewerb des 73. Internationalen Filmfestivals Venedig vorgestellt – und einen seiner persönlichsten überhaupt.
Wim Wenders: "Ja, ich komm da auch mal vor, meine Hand ist zu sehen, ich zeichne da mal, da war der Jens schon weg. Aber ansonsten haben Sie recht, es ist eine Projektion des Filmemachers. Der Erzähler bin ich selber, ja."
Die Sprache ist leicht, flirrend, elegant. Das im Zentrum stehende Gespräch einer namenlosen Frau, gespielt von Sophie Semin, und eines namenlosen Mannes, Reda Kateb, im Garten einer kleinen Villa auf dem Lande vor Paris wirkt hinreißend anmutig, wie schwer die Dialoge und Monologe auch um Fragen der Identität, der Sexualität, des Weltverständnisses kreisen. Dazu hat Wim Wenders eine entscheidende Veränderung vorgenommen: Er hat die Figur des Schriftstellers, verkörpert von Jens Harzer, eingefügt, der das Gespräch des Paares imaginiert und niederschreibt.
Filmausschnitt: "Und wieder ein Sommer, und wieder ein schöner Sommertag."
Wenders: "Wir mussten uns zwischendurch alle zwicken"
Immer wieder geht die Kamera, die meist sehr langsam und in kluger Distanz um das Paar auf der Terrasse kreist, zu dem Mann an der Schreibmaschine ins Haus. Wir sehen sozusagen Wim Wenders selbst bei der Arbeit zu, erleben, wie er, der Autor, Figuren erschafft, Ideen verwirft, Details verändert, den Protagonisten Worte schenkt, die sein Innerstes nach außen kehren. An seiner Seite: eine Jukebox der Marke Wurlitzer, voller seelenvoller Songs zur Inspiration. Da versinkt der Schriftsteller denn auch mal in seinen Vorstellungen und hat plötzlich Nick Cave, singend, am Flügel, in seinem Domizil. In Momenten wie diesen wird die Kraft des Träumens, wie sie nur das Kino kennt, aufs beste beschworen.
Wim Wenders: "Das hat sich so angefühlt beim Machen, dass da wirklich ein Traum sich erfüllt, wir mussten uns zwischendurch alle zwicken, 'Warum ist das so einfach, Filme zu machen?' Wir wollten gar nicht aufwachen. Wir mussten auch gar nicht aufwachen."
In der Bildgestaltung hat der Maler Wim Wenders das Sagen. Der üppige Garten mit seinen Wiesen, Blumen und Bäumen, wo übrigens Peter Handke kurz als Gast im Minipart eines Büsche schneidenden Gärtners auftaucht, wird zur idealen Bühne für den reichen Gedankenaustausch über den Sinn des Menschseins.
Filmemacher als Erzähler, Fotograf und Maler
Wim Wenders: "Filmemachen ist ja so was, was alles beinhaltet. Da ist man halt Erzähler, und Fotograf, und Maler und Requisiteur, und Anwalt und alles mögliche in einer Person. Und Filme versuchen halt, die Zeit irgendwie so komplex wie möglich, auszudrücken. Dazu hat für mich immer auch das Malen gehört."
Wim Wenders fordert Aufmerksamkeit. Da zahlt sich der Einsatz von 3D aus. Die Bilder Erleichtern den Zugang, lassen eine fürs Kino ungewöhnliche Nähe entstehen. Man meint als Zuschauer, in die Wirklichkeit des Films eingreifen zu können. Das Festivalpublikum ließ sich größtenteils mit spürbarer Wonne darauf ein. Der Beifall war herzlich. Hinterher sah man viele Leute vor dem Kino über den Film reden. Kein Wunder, dass Wim Wenders in Venedig strahlt, trotz der Schmerzen in Folge einer kleinen Augenoperation vor wenigen Tagen.
Jetzt ist die Jury am Zug. Noch sind Spekulationen völlig unsinnig. Zu viele Wettbewerbsbeiträge stehen aus. Aber "Die schönen Tage von Aranjuez" steht garantiert schon auf der Liste der Kandidaten für einen Preis. Gut möglich, dass Wim Wenders seinen zweiten Goldenen Löwen bekommt.