Film-Doku

Das lange Leben des Helmut Schmidt

Sebastian Orlac im Gespräch mit Frank Meyer |
In dem Doku-Drama "Lebensfragen" kommt Helmut Schmidt mit neuen Aussagen selbst zu Wort. Die mit Schauspielern nachgestellten Szenen bewertet der Altkanzler als "wahrscheinlich". Ein Interview mit dem Drehbuchautor Sebastian Orlac.
Frank Meyer: Herr Schmidt, hatten Sie Angst vor Ihrem Vater? – Helmut Schmidt spricht über die Prügel, die er von seinem Vater bekommen hat, er spricht auch darüber, warum er sich freiwillig an die Ostfront gemeldet hat und er verweigert die Antwort auf manche Frage in dem Film "Lebensfragen", der heute zum 95. Geburtstag des Altkanzlers in der ARD gezeigt wird. Hier im Studio ist jetzt der Drehbuchautor dieses Films, Sebastian Orlac. Seien Sie herzlich willkommen!
Sebastian Orlac: Hallo!
Meyer: Herr Orlac, Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der "Zeit", der hat zwei lange Interviews mit Helmut Schmidt geführt für diesen Film, und an einer Stelle fragt er ihn nach dem Töten im Krieg. Wir hören uns die Stelle mal an!
O-Ton Giovanni di Lorenzo: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, sagen Sie auch, Sie selbst haben getötet während des Krieges?
O-Ton Helmut Schmidt: Das ist wahr.
O-Ton Giovanni di Lorenzo: Haben Sie die Menschen, die Sie getötet haben, auch gesehen?
O-Ton Helmut Schmidt: Nein.
O-Ton Giovanni di lorenzo: Das heißt, Sie haben Flugzeuge abgeschossen?
O-Ton Helmut Schmidt: Flugzeuge abgeschossen, Dörfer in Brand geschossen. Man hat den Feind selber kaum gesehen, man hat ihn nur geahnt.
Meyer: Herr Orlac, was ist denn Ihr Eindruck, wie sehr beschäftigt das Helmut Schmidt, dass er da als Batteriechef der Wehrmacht im Krieg getötet hat, auch die Frauen und Kinder in den Dörfern, die er beschossen hat?
Orlac: Also, ich denke fraglos, dass ihn das sein Leben lang beschäftigt hat. Er gehört ja auch zu der Generation, für die der Krieg immer das prägendste Erlebnis ist, zumal es ja auch ein Jugenderlebnis auch ist. Und man merkt aber auch hier … - das Ungewöhnliche ist, er hat selten darüber gesprochen. Und wenn er jetzt darüber spricht, wechselt er auch ganz schnell ins "man", was natürlich auch eine Schutzhaltung ist, und sagt "ich war mir nicht bewusst", sondern "man war sich nicht bewusst, was da passiert".
Meyer: Dieses Thema, Verantwortung für das Leben und das Sterben anderer Menschen haben, das kehrt mehrfach wieder in Ihrem Film. Am stärksten vielleicht, als es um seine Rolle, um die Rolle von Helmut Schmidt geht bei der Entführung und Ermordung von Hanns Martin schleyer. Die Witwe von Hanns Martin Schleyer hat ja gesagt, ihr Mann sei damals vom deutschen Staat geopfert worden, also in allererster Linie vom Bundeskanzler geopfert worden. Jetzt weigert sich Helmut Schmidt in dem Film, etwas zu diesem vorwurf zu sagen, er habe Hanns martin Schleyer geopfert. Was halten Sie von dieser Verweigerung?
"Er hat durchaus seine Schuld bekannt"
Orlac: Ich denke, es ist fast in dem Fall gar keine Verweigerung, weil, er hat durchaus seine Schuld auch bekannt oder seine Mitschuld oder Verantwortung für den Tod, den er in Kauf nehmen musste. Es ist, glaube ich, vielleicht ein bisschen eine Ermüdung, weil er sich schon auch sehr oft dazu geäußert hat, seit Ende der 70er-Jahre ist das ja ein dauernder Vorwurf, der ihm auch da begegnet.
Meyer: Aber er hält immer Distanz von dieser Frage, Verantwortung für das Sterben anderer Leute. Das ist, wenn man das zusammennimmt, drängt sich dieser Eindruck auf?
Orlac: Na, er sagt zumindest – und das ist ja dann auch bei aller Schwierigkeit dieser Entscheidung –, er sagt, es gibt, man muss manchmal im Leben zwischen zwei unerträglichen Übeln wählen. Und das waren zwei unerträgliche Übel für ihn, er hat alles versucht, das zu verhindern, aber es war ja die Landshut versus Schleyer. Und das war ein Abwägen von Menschenleben.
Meyer: Sie zeigen in Ihrem Film auch, wie er selbst hineingezogen wird in diese Frage und im Prinzip auch über das eigene Leben mit entscheiden muss, nämlich, wenn er sich der Frage stellt, wenn ich selbst entführt werde von der RAF oder wenn meine Frau Loki entführt wird, wer entscheidet dann über unser Leben, darüber, ob wir ausgetauscht werden oder im zweifel sterben müssen. Sie zeigen diese Entscheidung in einer Spielszene in Ihrem Film, das hören wir uns auch mal an, da spielen Bernhard Schütz, der Schauspieler, Helmut Schmidt und Bibiana Beglau, die spielt Loki Schmidt.
O-Ton "Loki Schmidt": Als du im Krieg warst, da wusste ich auch nicht, ob du zurückkommst oder nicht, aber es war nicht meine Entscheidung.
O-Ton "Helmut Schmidt": Loki …
O-Ton "Loki Schmidt": Als du im Krieg warst, da wusste ich auch nicht, ob du zurückkommst oder nicht, aber es war nicht meine Entscheidung.
O-Ton "Helmut Schmidt": Loki …
O-Ton "Loki Schmidt": Wenn sie dich jetzt entführen, müsste ich sagen, ob sie dich töten sollen oder nicht, das kann ich nicht, das will ich nicht.
O-Ton "Helmut Schmidt": Deshalb sage ich ja, ich will nicht ausgetauscht werden.
O-Ton "Loki Schmidt": Das will ich auch nicht. Aber das Schlimmste ist doch, dass man in eine Situation gebracht wird, in der man zum Richter über den anderen wird.
O-Ton "Helmut Schmidt": Dann lass es uns jetzt entscheiden. Wir können unseren Wunsch notariell hinterlegen lassen, dass wir im Falle einer Entführung nicht ausgetauscht werden wollen.
Meyer: Helmut und Loki Schmidt gespielt von Bernhard Schütz und Bibiana Beglau in dem ARD-Film "Lebensfragen". Der Drehbuchautor des Films Sebastian Orlac ist hier bei uns im Studio. Woher wissen Sie eigentlich jetzt, was die beiden geredet haben in dieser Situation? Ist das Erfindung, gibt es Dokumente darüber?
"Fiktionale Erfindungen, aufgeladen mit authentischem Material"
Orlac: Es gibt Äußerungen der beiden über dieses Ereignis und es gibt Äußerungen, ich glaube, fast noch mehr gab es von Loki Schmidt darüber, über ihre Haltungen. Aber was sie genau da gesagt haben, weiß ich natürlich nicht. Und letztendlich, das gilt für alle Spielfilmszenen dort, sind das natürlich fiktionale Erfindungen, die aufgeladen sind mit einem authentischen material. Ich habe mir das reingesogen und versucht, so glaubhaft wie möglich zu schreiben.
Meyer: Und hat helmut Schmidt das noch mal gegengehört oder gegengelesen, was Sie erfunden haben?
Orlac: Also, im prozess der Drehbuchentwicklung und während des Drehs überhaupt nicht, also, wir hatten da völlige Freiheit. Und er hat jetzt quasi den fertigen Film, zusammen mit uns und dem Team angeguckt, und danach meinte er schon, es sei eine komische Erfahrung, sich selbst, also als lebender Mensch sich selbst dargestellt zu sehen aus diesen verschiedenen Lebensaltern, aber er müsse schon sagen, er käme sich da recht wahrscheinlich vor. Was letztendlich meine Arbeit natürlich auch ist, die Dinge irgendwie wahrscheinlich zu machen. Ob sie denn so waren, weiß ich nicht und er teilweise auch nicht mehr.
Meyer: Interessant an Ihrem Film ist ja, es ist keine Lobeshymne geworden auf Helmut Schmidt. Besonders in einer Szene nicht, die will ich kurz beschreiben: Schmidt ist angetreten gegen einen Konkurrenten in der SPD, in den 60er-Jahren, Paul Nevermann war das, es geht um das Amt des Hamburger SPD-Chefs. Und Sie zeigen da den Moment nach der Wahl. Also, Schmidt hat die Wahl verloren, die Wahl ist vorbei, er greift sich sofort Blumen, drängt sich neben den Siegreichen, den Wahlsieger, Nevermann eben, vor die Kamera, um so als Erster da zu sein, seine Gefolgschaft zu zeigen dem gewählten Chef. Er kommt rüber wie ein Opportunist reinsten Wassers. Sollte er so aussehen?
Orlac: Das ist tatsächlich dem Zuschauer überlassen, ob er das so sehen soll. Letztendlich basiert diese Begegnung auf einer journalistischen Beschreibung, also, das hat es so gegeben inklusive der Blumen. Und gleichzeitig ist das im Film eine Stelle, da spricht Helmut Schmidt im Interview über seine Fehler, und ich habe das genommen. Außer Dienst beschreibt er quasi auch noch mal, dass er das damals als großen Fehler empfunden hat, dort angetreten zu sein. Er ist da sehr siegessicher reingegangen, er hat – ich glaube – das einzige Mal in seinem Leben sich überhaupt je zur Wahl gestellt, sonst ist er ja eigentlich immer irgendwie ins Amt geholt worden, und hat eine Schlappe eingefahren. Wie er damit umgeht, ja, das ist in dem Fall … kann er das nicht so gut einstecken, so habe ich es schon geschrieben. Opportunist, das kann man sich dann denken oder nicht.
Meyer: Also, Sie sind nicht mit einer Helmut-Schmidt-Verehrungshaltung an diesen Film herangegangen, hört man heraus?
Orlac: Ich habe das versucht, so weit es geht, so neutral wie möglich zu halten. Natürlich muss ich mit dieser jetzigen Verehrung umgehen und auch versuchen, das zu erklären, woher kommt das eigentlich. Ich habe das für mich erst mal immer als eine unglaublich große Quelle, diese 95 Lebensjahre und diese Lebenserfahrung, genommen und daraus viel gezogen. Ich habe aber eines versucht in dem ganzen Prozess, nämlich, ihn nicht persönlich kennenzulernen. Das ist mir auch gelungen bis zum Schluss, um nämlich weder in eine Verehrung noch in irgendeine ablehnungshaltung zu kommen, sondern einfach von außen eine Figur zu schreiben. Und ja, das ging wohl so.
Meyer: Das heißt, Sie sind ihm immer aus dem Weg gegangen?
Orlac: Wir sind uns aus dem Weg gegangen, ich war ganz oft auf seinem … in Langenhorn, er hat ja sein Privatarchiv dort. Und ich war da sehr oft dort und habe mir vor allem diese Fotoalben alle angeguckt. Und ich habe ihn gesehen, wie er da saß, dann bin ich weggegangen und danach, habe ich von der Archivarin gehört, ist er auch gekommen und hat gefragt, was wollte er denn jetzt wieder und so. Also, wir haben uns gemieden.
Meyer: Aber noch mal zurück an diesen Punkt: Wie erklären Sie sich eben diese Verehrung für Helmut Schmidt? Man muss ja unterscheiden, andere Altkanzler erfahren diese Verehrung ja durchaus nicht.
"Sein Lebensalter 90 plus ist seine große Zeit"
Orlac: Es ist ja wirklich insofern eine posthume Verehrung, weil er längere Zeit jetzt kein Politiker mehr ist, als er je Politiker war. Und ich glaube, es gibt einfach bestimmte Lebensalter, zu denen man prädestiniert ist. Und sein Lebensalter ist die 90 plus, das ist seine große Zeit. Gleichzeitig ist das natürlich immer eine Erinnerung an die alte Bundesrepublik, die Wünsche, dass es gerne mal so wieder wäre wie früher. So ist es nun mal nicht. Und in gewisser Weise glaube ich auch, so, wie Kinder Dinosaurier bewundern, bewundern wir einfach auch so ein gelebtes Leben und können uns in dieser Zeitlosigkeit daran erfreuen.
Meyer: Ich fand ja interessant bei unserer Debatte vorhin mit unseren Hörern, dass doch mehrere gesagt haben, er war auch ein anderer Politikertypus, als wir heute haben. Was der schmidt gesagt hat, darauf konnte man sich verlassen, der ist auch gegen andere angerannt, hat sich auch unbeliebt gemacht, aber er hat zu seinem Wort gestanden. Ist das auch etwas, ja, so ein … Sie sprachen gerade von Sehnsucht zurück, aber einfach auch ein authentisches Vermissen eines geradlinigen Politikers?
Orlac: Ja, ich denke, es waren dann in diesen klaren Worten viele nicht seiner Meinung, aber sie waren klar und erkennbar. Es ist aber halt auch eine andere politische Zeit. ich glaube, man kann eine Landshut … - also die Euro-Rettung kann man nicht wie eine Landshut-Stürmung befehligen, und das sagt er auch selbst von sich, ich könnte das heute nicht mehr. Was ihn nicht davon abhält, sich zu Zeitfragen zu äußern!
Meyer: Wenn man einen Film über Helmut Schmidt macht, natürlich kommt man an dem Politiker Schmidt nicht vorbei, darüber haben wir jetzt gesprochen. Ihr Film, der wollte aber ja vor allem auch näher an den Menschen helmut schmidt herankommen. Er bleibt da oft hanseatisch distanziert, verweigert Auskünfte, aber es gibt Momente in dem Film, wo er sich wirklich in seine Seele gucken lässt, das sind dann die wirklich bewegenden Momente. Zum Beispiel eine Antwort, als er gefragt wird, ob er noch immer mit Loki spreche, mit der er ja 68 Jahre lang – unglaubliche Zeit – verheiratet war. Und er sagt erst, nein, ich weiß ja, dass sie nicht mehr antworten kann, und dann schweigt er kurz und sagt aber dann, manchmal rufe ich sie morgens im halbschlaf, bis ich dann merke, dass sie nicht mehr da ist. War das für Sie auch einer der Momente, wo Sie gedacht haben, dafür hat sich auch die Arbeit an dem Film gelohnt?
Orlac: Ja, mich hat das auch sehr bewegt, wie er da relativ für jemanden, der sehr genau weiß, was er wem wo wann sagt – und er hat das ja in dem Bewusstsein gesagt, dass das für diesen Film ist –, dass er sich da doch diese Blöße gegeben hat und da sehr offen über seine Trauer gesprochen hat und auch, wie sie sich anfühlt. Und letztendlich kann man natürlich sagen, gut, was interessiert einen das jetzt, aber ich denke, Lebensfragen, das bedeutet eben auch für uns, dass wir an so einem Beispiel lernen können, ja, wie geht man mit Trauer um. Und da ist Helmut Schmidt ein Beispiel und an das kann man sich dann auch halten, wenn man selbst vielleicht nicht so eine Situation kommt.
Meyer: Sebastian Orlac, Drehbuchautor des Films "Lebensfragen". Heute Abend wird dieser Film zum 95. Geburtstag von Helmut Schmidt in der ARD gezeigt, um 21:45 Uhr. Herr Orlac, danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Orlac: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema