"Phoenix"
BRD 2014
Regie: Christian Petzold
Darsteller: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf
98 Minuten, ab 12 Jahren
Menschen in der Stunde null
Als würde sie schlafwandeln, so taumelt Nina Hoss in "Phoenix" durch das zerbombte Nachkriegsdeutschland. Die ehemalige Nachtklubsängerin Nelly, schwer traumatisiert durch den Aufenthalt in einem KZ, sucht nach ihrem alten Ich. Der Film mit Starbesetzung wird kontrovers diskutiert.
Krimi-Melodram, Film noir, Hitchcock ... die Stichworte, die Christian Petzolds neues Filmdrama umwabern sind Hilfskonstruktionen, um einen kühnen Versuch zu beschreiben, das Innenleben von Menschen in der Stunde Null nach den Katastrophen von Holocaust und Krieg bloßzulegen. Christian Petzold hat um die Risiken dieser Vorgehensweise gewußt und im Interview erklärt, dass er nach den Dreharbeiten zu "Barbara" die Protagonisten gefunden zu haben schien, die es ihm ermöglichen, dieses Vorhaben zu verwirklichen. Es sind die Schauspieler Nina Hoss und Ronald Zehrfeld, und diesmal zusätzlich Nina Kunzendorf.
Aus den Identitäten geratene Menschen
Sein Film sei die schlichte Geschichte dieser Drei, behauptet er, und doch stehen sie - jeder auf seine Art - auch in der Stilisierung als Film noir für eine gänzlich aus den Sicherheiten und Identitäten geratene Menschengemeinschaft. Nina Hoss spielt Nelly, die man in der ersten Szene als Person nicht erkennt. Sie trägt einen blutigen Kopfverband, sie überquert mit einer Frau (Nina Kunzendorf) eine Grenze, sie wird in eine großbürgerliche Wohnung gebracht mit Haushälterin, sie probiert Vorkriegskleider aus einem eichenen Schrank. Anhand der Mode, der Trümmer in der Stadt, der Büros der Jewish Agency kann der Zuschauer ausmachen, dass die Heldin des Films eine schwer traumatisierte KZ-Insassin ist, deren zerstörtes Gesicht ein Chirurg langsam wieder kenntlich machen soll. Denn Nelly möcht wieder sie selbst sein, die Berliner Nachtclubsängerin, die immer gemeinsam mit ihrem geliebten Mann Johnny (Ronald Zehrfeld) auftrat.
Somnambul streift sie Nachts durch die in Ruinen behausten, blutig rot ausgeleuchteten Klubs der Stadt. Sie findet Johnny und er erkennt sie nicht. Er sieht nur, dass sie seiner toten Frau verblüffend ähnlich sieht und versucht wirklich, die alte Nelly wieder aufzubauen und in der Wirklichkeit erscheinen zu lassen, um sich das beträchtliche Erbe der jüdischen Familie anzueignen, wie es heißt. Aber ein Ronald Zehrfeld steht dieser Krimi-Legende im Wege, denn so schoflig kann er nicht sein.
Vergleichbar mit "Vertigo"
Dem Zuschauer werden Volten in der Filmgeschichte zugemutet, die Manchem zu viel sein werden, auch wenn besonders wieder Nina Hoss in hochemotionalen Situationen Grandioses zeigt. Aber eines bewirkt diese Story-Konstruktion, die nun in der Tat mit Hitchcocks "Vertigo" vergleichbar ist. Sie lässt das Publikum, das an der Geschichte und seinen Darstellern interessiert bleibt, immer wieder fragen, warum? Weshalb geht Nelly nicht mit ihrer Freundin nach Palästina, weshalb will sie zurück, zu dem Mann, der sie möglicherweise verraten hat, in ihr altes Ich? Und wie um Himmels Willen kann Johnny dieser Selbstbetrug gelingen?
Wenn man darauf Antworten findet, dann ist Christian Petzold die Provokation gelungen und damit ein gar nicht nur psychologischer, sondern sehr politischer Blick auf die unmittelbare deutsche Nachkriegsgesellschaft.