"The Zone of Interest"
Den Mantel hat ihr Mann aus dem KZ mitgebracht: Sandra Hüller spielt Hedwig Höß mit solcher Kälte, dass einem das Blut in den Adern gefriert. © picture alliance / AP / Uncredited
Ein Holocaust-Film, der neue Maßstäbe setzt
Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß wohnte mit seiner Familie direkt neben dem KZ Auschwitz. Dieses Nebeneinander thematisiert Regisseur Jonathan Glazer in "The Zone of Interest": Der Film erzählt vom Holocaust, ohne ihn direkt zu zeigen.
Kinder spielen im Garten, zufriedene Eheleute, ein deutsches Familienidyll in den 1940er-Jahren. Doch irgendwas stimmt nicht: Im Hintergrund hört man das Wummern der Krematoriumsöfen von Auschwitz.
Jonathan Glazers Film „The Zone of Interest“, in dem Christian Friedel und Sandra Hüller den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und seine Ehefrau Hedwig spielen, wurde bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, etwa bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Großen Preis der Jury. Bei den Oscars, die am 10. März 2024 in Los Angeles verliehen werden, ist er in fünf Kategorien nominiert.
Inhalt
Worum geht es in "The Zone of Interest"?
Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß wohnte jahrelang mit seiner Familie direkt neben dem Vernichtungslager, in dem bis 1945 mindestens 1,1 Millionen Menschen ermordet wurden. „Die Nähe zwischen Haus und Garten der Kommandantenfamilie und dem Lager ist so unglaublich. Das hat mich wirklich fassungslos gemacht“, sagt Glazer.
In „The Zone of Interest“ thematisiert der britische Regisseur dieses Nebeneinander, indem er vom Alltag der Familie Höß erzählt: Während der Ehemann den Massenmord vor allem an Juden und Jüdinnen organisiert, pflegt seine Ehefrau ihre Blumen und die Kinder planschen im Pool.
Die Sperrzone um das Konzentrationslager herum nannten die Nationalsozialisten beschönigend „Interessengebiet“, was dem Film und dem Roman von Martin Amis, an dem sich Glazers Film orientiert, den Namen gab.
Was macht "The Zone of Interest" zu einem besonderen Film?
„‚The Zone of Interest‘ zeigt als Spielfilm den Holocaust, so wie man ihn noch nie gesehen hat. Oder man muss eigentlich sagen: So wie man ihn noch nie nicht gesehen hat“, sagt die Filmkritikerin Katja Nicodemus. Denn vom Holocaust erzählt in Jonathan Glazers Film in erster Linie die Tonspur. Zu sehen sind vor allem das Familienleben und sogar geradezu idyllische Szenen.
So zeigt der Film beispielsweise ein Familienpicknick am See und im Garten spielende Kinder. Er zeigt, wie der Ehemann in Uniform zur Arbeit geht und seine Frau sich um Haushalt und Garten kümmert und ihrer Mutter erzählt, dass an die Mauer noch Weinranken kommen sollen. Das Grauen hinter der Mauer wird zunächst nur über den Ton vermittelt: dumpfes Grollen, gedämpfte Schreie, bellende Hunde, vom Winde verwehte Befehle. Erst danach wird der Holocaust auch auf der Bildebene angedeutet: In der Ferne sind die Schornsteine des Krematoriums zu sehen.
Mit diesem audiovisuellen Zusammenspiel mache der Regisseur uns zum „mündigen Zuschauer“, sagt Filmkritikerin Anke Leweke. „Ich glaube, es geht ihm bei der Tonspur gar nicht so sehr nur um die Rekonstruktion des Grauens, sondern es geht ihm um die Gleichzeitigkeit. Dass da zwei Parallelwelten sind, die eigentlich keine Parallelwelten sein dürften.“
Der Film setze zudem auf „anti-empathische Momente“, analysiert Filmkritiker Patrick Wellinski: Die Kameraführung verzichtet auf Close-ups und kommt so den gezeigten Nazis nie wirklich nahe. Die Tonspur ist außerdem in Mono gehalten, denn der Regisseur und sein Tonmann befürchteten, dass sich das Publikum durch einen Stereo-Ton mit den Protagonisten verbinden und mit ihnen mitfühlen könnte.
Es gibt bereits einige bedeutende Spielfilme über den Holocaust, etwa „Schindlers Liste“ oder „Das Leben ist schön“. In seinem radikal reduzierten Ansatz sei „The Zone of Interest“ aber noch einmal anders epochal, findet Katja Nicodemus, vielleicht eher vergleichbar mit zwei Dokumentarfilmen über den Holocaust: „Shoah“ von Claude Lanzmann und „Nacht und Nebel“ von Alain Resnais.
Für Patrick Wellinski ist Glazers Werk ein „Pflichtprogramm“: Wenn man nur einen Film in diesem Jahr sehe, dann müsse es dieser sein.
Wie spielen Sandra Hüller und Christian Friedel das Ehepaar Höß?
Neben der ungewöhnlichen filmischen Machart ist an „The Zone of Interest“ auch die schauspielerische Leistung von Sandra Hüller und Christian Friedel besonders. Sie verkörpern das Ehepaar Höß.
Die beiden fänden einen komplett anderen Stil für die Darstellung von NS-Tätern, „ohne eine Hauch von Empathie“, sagt Filmkritiker Patrick Wellinski. „Wie Sandra Hüller diese Hedwig spielt, das lässt einem häufiger einfach das Blut in den Adern gefrieren.“ Christian Friedel wiederum spiele Rudolf Höß „ultra männlich“. Seine Darstellung zeige die Verbindung von Maskulinität und Nationalsozialismus.
jd, jfr