"Eine Art Rockband, die einen frühen Hit gelandet hat"
In seiner Doku "How to Change the World" zeichnet Jerry Rothwell die Anfangsphase der Umweltbewegung Greenpeace nach. Deren früher Erfolg war nicht nur ein Segen, sagt Rothwell. Plötzlich sei es um Geld, Macht und ums Ego gegangen.
Susanne Burg: Heutzutage ist Greenpeace eine internationale Organisation mit einem bestimmten Ruf. Als Sie mit dem Film angefangen haben, was war Ihre Meinung von Greenpeace?
Jerry Rothwell: Ich glaube, ich kannte Greenpeace so, wie wir sie alle kennen, als diese sehr groß gewordene Umweltorganisation. Und ich erinnere mich, als ich ein Teenager war, da sah ich im Fernsehen diese Bilder, wie die Greenpeace-Aktivisten auf diesen kleinen Booten dabei waren, wie Wale harpuniert worden sind. Und was mich eher interessiert hat, weil ich bin niemals ein Mitglied von Greenpeace gewesen, ist einfach, was wird aus einer Gruppe von Freunden, politischen Aktivisten, wenn dann diese Bewegung so riesengroß wird. Was ist aus diesen Männern – weil es waren hauptsächlich Männer gewesen, die heute so zwischen 70 und 80 Jahre alt sind.
Burg: Sie legen Ihren Fokus dann auf den Anfang der Geschichte von Greenpeace. War Ihnen das von vornherein klar, dass das so sein sollte? Oder wie hat sich der Fokus des Films für Sie im Laufe der Arbeit herauskristallisiert?
Ein Zufallsfund bringt ihn auf die Idee zum Film
Rothwell: Die Idee zu diesem Film kam mir, als ich im Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam auf Recherche zu einem ganz anderen Projekt war. Und da entdeckte ich plötzlich 1.500 Filmbüchsen mit 16-mm-Film, von Greenpeace selbst aufgenommen bei ihren allerersten Aktionen. Und das waren Büchsen, die hatte man 40 Jahre lang nicht geöffnet, und ich muss zugeben, diese Filmdosen haben eine sehr verführerische Kraft auf mich ausgeübt. Und dann war es die Figur von Bob Hunter, dem ersten Präsidenten von Greenpeace, der seine Erfahrungen aufgeschrieben hat und das gar nicht so getan als ein Aktivist, sondern eher journalistisch mit sehr viel Humor. Ein bisschen Klatsch und Tratsch waren auch dabei. Das hat mir sozusagen die Wirbelsäule, das Skelett zu diesem Film verschafft. Mich hat eher interessiert, was aus dieser Gruppe geworden ist. Das ist kein Film über Greenpeace-Kampagnen. Es geht nicht um Wale, es geht nicht um Seehunde, sondern es geht wirklich um diese Gruppe aus Aktivisten und was aus dieser Gruppe geworden ist.
Burg: Sie haben dann zusätzlich zu diesem Archivmaterial das alles auch noch in die Zeit eingeordnet, da, wo Greenpeace entstanden ist, in Vancouver Anfang der Siebziger. Wie wichtig war die Stadt selber, die Atmosphäre der Spät-Achtundsechziger für die Gründung der Bewegung?
"Greenpeace konnte zu dieser Zeit nur in Vancouver entstehen"
Rothwell: Vancouver war zu Beginn der 1970er-Jahre ein wirklich ganz spezieller Ort. Ich glaube auch, Greenpeace konnte zu dieser Zeit nur in dieser Stadt entstehen. Vancouver liegt am Meer, das heißt, die Aktivisten, die späteren Aktivisten von Greenpeace kannten sich aus mit der See, kannten sich aus mit Booten. Und andererseits ist Vancouver an der Grenze praktisch zur Wildnis, und man ist dort schon sehr naturverbunden, wenn man dort lebt. Und die späteren Aktivisten von Greenpeace hatten eben auch eine spezielle Beziehung zu den Ureinwohnern im Norden. Und dann kommt noch hinzu, dass durch den Vietnamkrieg sehr viele Kriegsdienstverweigerer sich nach Vancouver durchgeschlagen hatten und es dort eine sehr starke Friedensbewegung gab. Und diese Dinge sind alle zusammengekommen. Das war sozusagen die Geburt einer grünen Bewegung des Naturschutzes, im Zusammenspiel mit einer wichtigen Friedensbewegung. Und dann kommt eben wie gesagt hinzu, die Aktivisten wussten, wie man Boote seetüchtig macht.
Burg: Sie haben dann außerdem noch viele Gründungsmitglieder, die, die noch leben, interviewt? Wie schwierig war es, die zum Interview zu bewegen? Denn die erzählen ja durchaus auch über die Konflikte in der Bewegung, die relativ schnell auch auftraten?
Rothwell: Ich glaube, die Interviewpartner befanden sich jetzt alle in einer Lebensphase, sie waren so Ende 60, 70, einige sogar schon 80 Jahre alt, wo sie ihre Perspektive auf die damalige Zeit noch einmal mitteilen wollten. Sie wollten aufgenommen werden, sie wollten erzählen, was sie zu sagen hatten, weil für die meisten von ihnen war es die wichtigste Phase ihres Lebens, diese Greenpeace-Zeit. Und dann, wenn sie gehört haben, dass einer schon bereits interviewt worden ist, der ganz anderer Meinung war als sie, hatten sie erst recht Lust, ihre Sicht der Dinge noch einmal klarzustellen.
Burg: Ja, Sie erzählen ja im Grunde genommen wirklich auch die Geschichte einer Bewegung – also, man könnte das Ganze auch auf andere Organisationen übertragen. Hatten Sie das auch im Hinterkopf?
Rothwell: Ja, sicher, denn ich selber habe auch einen großen Teil meines Lebens in Kollektiven verbracht, in Gruppen mitgearbeitet, die für gewisse Dinge eingestanden sind. Und ich glaube auch an diese Form des Kollektivs, auch wenn ich sehr wohl die Frustrationen kenne, die damit einhergehen. Und die Greenpeace-Geschichte ist sozusagen der klassische Fall. Was geschieht, wenn man zunächst noch sehr naiv an die gleichen Dinge glaubt, aber es dann langsam zu diesen Meinungsverschiedenheiten kommt, die wir alle kennen. Und ich glaube, heute sind Organisationen wie Greenpeace sich auch dessen bewusster, dass es zu diesen Konflikten kommt. Aber damals war das eben noch nicht so, und das wollte ich eben auch dokumentieren.
Burg: Wenn Sie das zusammenfassen müssten: Was ist das Klassische an der Entwicklung der Organisation?
Nach dem riesigen weltweiten Erfolg entstehen sehr schnell Probleme
Rothwell: Man kann Greenpeace vielleicht mit einer Art Rockband vergleichen, die einen Hit gelandet hat, ganz, ganz früh in ihrer Karriere. Und da meine ich jetzt natürlich diese Bilder, die um die Welt gegangen sind, von der Harpune, die den Wal getroffen hat. Das sind Bilder, die kennt man einfach. Und nach diesem riesigen weltweiten Erfolg dann entstehen eben auch sehr schnell die Probleme, die mit Erfolg einfach einhergehen. Dann geht es plötzlich um Geld, es geht um Macht, es geht um Führungskräfte, es geht um Ego, um Egoismen. Und Greenpeace hat dann drei, vier Jahre gebraucht, um diese Probleme erst einmal zu bewältigen, aber man kann eben bis heute natürlich sagen, Greenpeace ist eine äußerst erfolgreiche Organisation, die sehr erfolgreiche Kampagnen macht.
Burg: Die Szene, die Sie gerade erwähnen, ist, als Greenpeace ein russisches Walfangschiff davon abhält oder versucht, zu stoppen, die Wale zu fangen. Und da sagt einer selber, das begründete die moderne Umweltbewegung. Sie folgen auch dieser Argumentation. Würden Sie das auch so sehen?
Rothwell: Natürlich gab es auch schon vorher Umweltbewegungen, gerade in Kanada war man sich sehr bewusst, was es für Fragen an die Umwelt gibt. Und dennoch denke ich, dass diese ersten Umweltbewegungen sich noch nicht so klar definiert hatten. Sie wussten noch nicht ganz genau, wo sie hin wollten. Und bei Greenpeace war es dann einfach so, dass Bob Hunter dann ganz klar definiert hat, wo er Greenpeace sah. Er sah sie im Kontext zur Bürgerrechtsbewegung, zur feministischen Bewegung und auch zur Friedensbewegung. Und in diesem Kontext muss man dann Greenpeace eben auch einfach einordnen.
Organisationen wie Greenpeace brauchen charismatische Führungspersonen
Burg: Sie haben gesagt, Sie haben Bob Hunter ins Zentrum gestellt. Und ich fand es interessant, wie Sie die Bilder montiert haben mit seinen Texten. Da gibt es eine Szene, sie kommen von dieser Wahlfangaktion zurück, sie sind die großen Helden, sie sind in Vancouver, und Bob Hunter gibt eine Rede und sagt, wir werden weiterkämpfen. Er schien ja so ein bisschen der Einzige zu sein, der Frieden behalten wollte, der eben so ein bisschen über den Tellerrand hinausgedacht hat. Ist das so Ihr Eindruck?
Rothwell: Nein, so sehe ich es eigentlich nicht. Ich finde schon, dass er eine Führungsperson war, wenn auch eine sehr interessante. Und Organisationen wie Greenpeace brauchen eben diese charismatischen Führungspersonen. Er war wie eine Art Klebstoff, der es geschafft hat, die verschiedensten Gruppen miteinander zusammenzubringen. Und das brauchen solche Gruppen dann einfach auch, und das ist wirklich ganz schwere Arbeit. Er hat einfach so eine Art von Brückenfunktion ausgeübt. Und das machte seine Qualität aus. Das Problem ist, wenn Organisationen so geführt werden, dass alle anderen dann keine Verantwortung mehr übernehmen, sich streckenweise übelst benehmen und davon ausgehen, Onkel Bob wird es schon richten.
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