Mehr als nur Freundschaft zwischen Dichtern und Denkern?
Waren Goethe und andere Vertreter der Weimarer Klassik schwul? Der Film "Männerfreundschaften" von Rosa von Praunheim geht lustvoll dieser Frage nach. Der Filmemacher sagt, homoerotische Briefe aus der Zeit ließen viel Raum für Spekulationen.
Wie schwul war Goethe? Dichtete er doch Zeilen wie "Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh" und lässt Mephisto am Ende von "Faust II" von den kleinen Rackern schwärmen, die "von hinten anzusehen" doch gar zu appetitlich sei. Etwas weniger platt gefragt: Wie homoerotisch war die Weimarer Klassik mit ihren innigen Freundschaftsbriefen, die die Dichter und Denker einander mit "1000 Küssen" schrieben?
Annäherung an die Homoerotik der Weimarer Klassik
Der Filmemacher Rosa von Praunheim ist dieser Frage nachgegangen und bringt nun, inspiriert von Robert Tobins Buch "Warm Brothers - Queer Theory and the Age of Goethe", den Film "Männerfreundschaften" ins Kino. Gedreht wurde der Film an Originalschauplätzen in Weimar. Inszenierungen von Briefwechseln, Lyrik und dramatischen Texten an den Orten ihres Entstehens werden durch Interviews mit Literaturwissenschaftlern und Historikerinnen kommentiert. So nähert sich der Film auf unterhaltsame Weise Homoerotik und Homosexualität in der Weimarer Klassik.
Einander emotionale Briefe zu schreiben, war zu Goethes Zeiten nichts Ungewöhnliches, denn es war das Zeitalter der Empfindsamkeit. Allerdings, so Praunheim, gebe es Hinweise darauf, dass sich Goethe mit Homosexualität beschäftigt habe. Er soll beispielsweise der erwiesenen Homosexualität des Kunsthistorikers Johann Joachim Winckelmann tolerant gegenüber gestanden haben.
Auch von Kleist wisse man aus seinen Briefen, dass ihn seine Homosexualität zeitlebens gequält habe, weil er diese nicht ausleben durfte.
Daneben habe es auch viele sehr schillernde Figuren gegeben, wie etwa den Herzog Emil August von Sachsen-Gotha, der es sich qua seines Standes einfach selbst gestattete, sein Schwulsein zu leben und der den ersten schwulen Roman der Literaturgeschichte geschrieben habe.
(mkn)
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Hatten Sie nun was miteinander oder nicht, Schiller und Goethe, und wenn ja, wie wichtig ist das, wenn man ihre Zeilen liest? Das interessierte einen Mann, der darüber gleich einen ganzen Film gedreht hat, ab heute unter dem Titel "Männerfreundschaften" im Kino. Rosa von Praunheim meine ich, deutscher Filmregisseur und einer der schillerndsten Köpfe der deutschen Schwulenbewegung. Mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen. Immer wieder wurde ja diskutiert, wie schwul die Weimarer Klassik gewesen ist. Da gibt es bei Goethe so Zeilen wie: "Ein jeder sucht im Arm des Freundes Ruh", und, denken wir dran, Mephisto schwärmt am Ende von "Faust 2" für die "kleinen Racker, von hinten gar appetitlich anzusehen". Warum, Rosa von Praunheim, haben Sie das noch mal aufgegriffen?
Rosa von Praunheim: Mich hat fasziniert das Zeitalter der Brieffreundschaft, und wie tolerant das war und wie aufgeschlossen das war. Das war also das 18. Jahrhundert, und das waren ja sozusagen die Anfänge überhaupt der deutschen Kultur. Sonst hat man Französisch gesprochen, und das waren ja die ersten Schritte sozusagen, dass man in deutscher Sprache interessant geschrieben hat. Und in dieser Brieffreundschaft haben sich viele Männer sehr homoerotische Liebeserklärungen gemacht. Das würde man anders sehen, als es damals sicher war. Aber darunter gab es eben auch manifest Schwule. Bei Goethe ist das, glaube ich, auch nicht so interessant, ob er nun mit Männern oder nicht. Aber er hat oft Gedichte gemacht, und auch in seinen Romanen kommt das Thema immer wieder vor. Aber er hatte eine unheimliche Offenheit und Toleranz gegenüber auch dem Kunsthistoriker Winckelmann, der viel offensichtlicher schwul war, der ja die griechische Kultur wiederentdeckt hat und besonders die männliche griechische Skulptur bewundert hat und sehr genau beschrieben hat. Da hat er eine große Offenheit gehabt Schwulen gegenüber, und das muss man ihm hoch anrechnen.
Der erste schwule Roman der Literaturgeschichte
von Billerbeck: Aber dieser Freundschaftskult, der ja in der Weimarer Klassik eine große Rolle spielte, den stellen Sie auch im Film dar, interpretiert man da aus heutiger Sicht nicht mehr rein, als gewesen ist?
von Praunheim: Das ist schwer zu sagen. Ich meine, zum Beispiel der Dichter Gleim, die Briefe an seinen Freund Jacobi, an seinen jüngeren Freund, das haben die veröffentlicht, und da zählt man 13.000 Küsse. Das war so ein kleiner Skandal auch. Den einen waren das zu viele Küsse, und die anderen sagten, so muss Freundschaft sein. Das ist natürlich jetzt schwer zu sagen, aber ich denke, er war so ein bisschen, was dann später Stephan George war, so ein Dichterkreis. Er hatte viele junge Dichter um sich, hat die auch gefördert. Da war sicher was Homoerotisches da. Aber zu der Zeit konnte man das ja nicht öffentlich machen. Das war ja eine Zeit, in der man das nur umschreiben konnte. Und sicher waren einige homosexuell.
Kleist hat sicher darunter gelitten, dass er seine Sexualität nicht ausleben konnte. Es gibt einen bestimmten Brief an einen Freund, der sehr offensichtlich ist. Aber sonst war das gar nicht möglich, sich öffentlich zu machen. Es gab andere Gestalten wie der Herzog Emil August von Sachsen-Gotha, den man heute als Tunte bezeichnen würde, der in Frauenkleidern Napoleon empfangen hat und abzuküssen versuchte, wo Napoleon entsetzt weitergefahren ist. Der hat den ersten schwulen Roman der deutschen Literaturgeschichte geschrieben. Das war eine ungeheuer interessante Persönlichkeit. Als Herzog konnte er sich da viel leisten, also genau wie der Weimarer Herzog 36 uneheliche Kinder hatte oder so. Das war eine Machtstellung. Aber Goethe war befreundet mit dem Herzog, wurde auch gefördert von dem Herzog, aber der hat dem nur beigewohnt. Man sagt, dass Goethe eigentlich erst im mittleren Alter in Italien zur Sexualität kam.
"Goethe wurde als Frauenliebhaber ausgebeutet"
von Billerbeck: Im Film, und das ist ja wahrscheinlich auch das, was viele, die uns jetzt zuhören, interessiert, im Film wird darüber debattiert, ob das nun eine Rolle spielt. Ob beispielsweise Goethe schwul war oder nicht. Spielt das dann für die Darsteller, für die Rezeption überhaupt eine Rolle, ob einer Männer oder Frauen liebt? Guckt man die Texte dann anders an?
von Praunheim: In der Literaturgeschichte – gerade Goethe wurde ja nun unheimlich ausgebeutet als Frauenliebhaber. Ich meine, jede einzelne Begegnung oder jeder Brief wurde publiziert. Insofern war das ja für die Literaturwissenschaftler wichtig, die Heterosexualität. Das wird immer wieder betont. Und das Privatleben ist ja auch interessant, weil das beeinflusst ja sicher auch die Kreativität und dann auch den schöpferischen Ausfluss sozusagen. Insofern hat man erst sehr spät oder erst in den letzten Jahrzehnten auch Homosexualität in der Zeit versucht, zu studieren, aus Archiven, aus Briefen mehr herrauszulesen, auch aus der heutigen queeren, schwul-lesbischen, Transgender-Sicht sieht man das heute anders, weil eben die Germanisten das alles unterdrückt haben und das pfui fanden, und darüber redet man nicht, und das ist alles quatsch.
Genauso wie bei Politikern. Friedrich der Große, da wurde das immer wieder abgeleugnet, obwohl das ziemlich klar ist, dass der schwul war und auch bis ins hohe Alter immer wieder Liebhaber hatte. Und so ist es schon interessant, da einfach so ein Gegengewicht zu sehen, weil natürlich viele auch dann darunter gelitten haben. In Deutschland war das sehr schwierig, das auszuleben. Viele sind dann nach Italien gegangen, wie eben Winkelmann. Der ist dann übrigens auch ermordet worden dort, ein tragisches Schicksal. Goethe war unheimlich unterstützend Winkelmann gegenüber. Das war ein großes Vorbild für Goethe. Er war da sehr solidarisch.
"Faust" erzählt auch von der Liebe zwischen Faust und Mephisto
von Billerbeck: Also im "Faust" beispielsweise sollte man nicht bloß die große Liebesgeschichte Faust-Gretchen sehen, sondern auch Faust-Mephisto?
von Praunheim: Genau. Das deutet sich so an in einigen Texten. Aber da gibt es noch viel mehr. Goethe hat da wirklich in vielen Texten immer wieder das Thema – kann man da herrauslesen. Insofern hat ihn das sicher interessiert. Und wie gesagt, ich meine, diese Toleranz dieses 18. Jahrhunderts, durch die Brieffreundschaft, vor allen Dingen die Zärtlichkeit der Briefe unter Männern. Nun muss man sagen, dass Frauen da eben sehr unterdrückt waren. Frauen hatten keine eigenen Schulen, hatten keine Bildung, und wenn, dann in höheren Kreisen, konnte so eine höhere Tochter nur profitieren von den Lehrern der Jungs. Denen wurde das nicht zugestanden, den Frauen. Insofern hat sich das dann auch in der Romantik etwas verändert, dass da eben Frauen sich emanzipieren konnten, Schulen hatten. Da war die Zeit sozusagen vorbei, diese hohe Zeit dieser homoerotischen Brieffreundschaft. Und das wollte ich einfach so untersuchen.
von Billerbeck: Sie haben "Männerfreundschaften", Ihren Film, der ist ja so ein Spiel-Doku-Mischwesen, würde ich mal sagen, den haben Sie unter anderem in Weimar gedreht, sind da mit einer sehr bunten Truppe auch durch die Straßen gezogen, mit Tunten, Sie sieht man im Film auch mit Perücke und Kostüm. Wie waren denn die Reaktionen? Die Weimarer sind ja einiges gewöhnt. Aber wie waren die Reaktionen auf diese Dreharbeiten?
Dreh an Originalschauplätzen in Weimar
von Praunheim: Nun war das auf dem Theaterplatz, wo wir dann einzogen sind im Kostüm und so und da kleine Performance-Sachen machten. Das waren natürlich viele Touristen, die da sind. Insofern haben wir da so sehr wahrscheinlich die bürgerlichen Weimarer gar nicht so getroffen. Aber wir haben gedreht und auch übernachtet im alternativen Zentrum in Weimar, das nennt sich OMA, die sehr viel Veranstaltungen machen und sehr progressiv sind. Da konnten wir vieles ausprobieren, und wir haben auch dann Straßenszenen – uns war das egal, ob da ein modernes Auto vorbeifuhr oder nicht. Wir hatten dann alte Kostüme, hatten auch Zugang zu einigen Schlössern – die Klassikstiftung hat uns da auch unterstützt – und konnten da mit sehr einfachen Mitteln, weil wir auch nicht viel Geld hatten, wirklich sehr fantasievolle Sachen machen. Und das ist das Wichtige, dass wir aus der heutigen Zeit das betrachtet haben und das auch immer wieder betont wird, dass das nicht ein reiner Kostümfilm ist, der so vorgibt, dass er in der Zeit spielt, im 18. Jahrhundert.
von Billerbeck: Rosa von Praunheim über Männerfreundschaften in der Weimarer Klassik. Dieser Film, den er gedreht hat, der heißt genauso, "Männerfreundschaften", kommt heute in die Kinos. Danke fürs Kommen!
von Praunheim: Wunderbar!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.