Film über Massenselbstmord in Demmin

Kriegstraumata einer Kleinstadt

Filmstill aus "Über Leben in Demmin"
Filmstill aus "Über Leben in Demmin" © Edition Salzgeber / Martin Farkas
Von Matthias Dell |
Hunderte Menschen nahmen sich Anfang Mai 1945 in Demmin das Leben. Die Ereignisse haben tiefe Wunden in der vorpommerschen Kleinstadt hinterlassen. Der Dokumentarfilm "Über Leben in Demmin" von Martin Farkas zeigt auch, was die örtlichen Neonazis aus dieser Geschichte gemacht haben.
Filmeck Demmin, Donnerstag, 22. März, 20 Uhr. Gerade hat Martin Farkas' Dokumentarfilm "Über Leben in Demmin" Premiere in dem Ort gehabt, von dem er handelt. Der Film erzählt der Stadt ihre Geschichte, versammelt Zeitzeuginnen, die vom Kriegsende erzählen, als sich Hunderte Einwohner, darunter viele Frauen mit ihren Kindern, in kollektiver Hysterie das Leben nehmen – aus Angst vor der anrückenden Roten Armee. Als die Sowjets die Stadt erreichen, sind die Brücken gesprengt, Wehrmacht und SS geflohen. Es kommt zu Vergewaltigungen und Plünderungen, die Stadt steht in Brand, die Leichen werden tagelang nicht abtransportiert.
"Über Leben in Demmin" kontrastiert dieses schmerzhafte, schwierige Kapitel, das viele Familien in der Stadt betrifft, mit Bildern eines neonazistischen Gedenkmarschs, der seit 2006 jährlich am 8. Mai durch die Stadt zieht. Die Gegendemonstrationen sind im Laufe der Jahre mehr geworden, die Haltung der Stadt bleibt unentschieden.

Gedenkmarsch der Neonazis seit 2006

Farkas' Film zeigt das ganze Bild, also auch die Aufnahmen des Aufmarschs, die getragen-pathetische Musik, die dort gespielt wird, die Reden, die gehalten werden – und die, das ist die bittere geschichtslose Pointe, dieselbe Propaganda aufbieten, die einst den Demminern so viel Angst gemacht hat, dass sie massenhaft in den Tod gingen. "Warum nimmt man sich im Voraus das Leben? Das verstehe ich nicht", sagt einer der beeindruckenden Alten in dem Film.
Beim Publikumsgespräch nach der Premiere gibt es einen brisanten Moment. Ein jüngeres Pärchen beklagt im Film und durchaus widersprüchlich, als rechts abgestempelt zu werden, benutzt allerdings rechte Zeichen. Es sagt, dass die linken Gegendemonstranten nicht tolerant seien, weil sie den Marsch verhindern wollten, um anzufügen, dass sie diese Linken – wenig tolerant – am liebsten erschießen würden. Als jemand im Publikum von den beiden wissen will, ob das Anschauen des Films etwas an ihren Ansichten geändert habe, verneinen beide.

Über die Geschichte der Stadt ins Gespräch kommen

So sehr man das Interesse der Fragestellerin verstehen kann, so wird in der Szene auch klar, dass "Über Leben in Demmin" auf andere Weise Wirkung entfaltet: Nicht als flinker Zaubertrick zur politischen Konversion, sondern als langfristige Möglichkeit, die Geschichte der Stadt zu verstehen und darüber ins Gespräch zu kommen. Burgi Esch, eine der Zeitzeuginnen aus dem Film, sagte dann auch, sie freue sich, dass der Film junge Menschen interessiere.
Filmstill aus "Über Leben in Demmin"
Zeitzeugin in dem Film "Über Leben in Demmin"© Edition Salzgeber / Martin Farkas

"Man trifft heute sehr viele alte Leute, die noch an der Hand eine Narbe haben - von dem Versuch ihrer Mütter meistens, ihnen die Pulsader aufzuschneiden." - Das erzählt Regisseur Martin Farkas in unserer Sendung Fazit am 19. März 2019:
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