Filmleute in der Ukraine

Künstlerhilfe in Zeiten des Krieges

05:24 Minuten
Trümmer liegen vor einem ehemaligen Eingang des  zerstörten Theaters der ukrainischen Stadt Mariupol.
Das zerstörte Theater von Mariupol wurde zum Symbol für die Zerstörung des ukrainischen Kulturlebens im Krieg. Inzwischen sind im Ausland erste Initiativen entstanden, um Filmemacher und Schauspieler zu unterstützen. © Imago / Itar-Tass / Sergei Bobylev
Von Christian Berndt  · 02.04.2022
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Mit Spenden, Equipment und Schutzausrüstung helfen Filmverbände derzeit Filmleuten in der Ukraine. Außerdem ist ein Portal für Schauspieljobs im Ausland entstanden: Hunderte ukrainische Darstellerinnen und Darsteller haben sich schon registriert.
Menschen stehen auf der Straße, hören von überall Schüsse und wissen nicht, wohin sie sich retten sollen. Kriegsalltag in einer ukrainischen Stadt, gefilmt für die Weltöffentlichkeit. Die normale Filmproduktion ist gestoppt, die Filmschaffenden dokumentieren jetzt das Grauen des Krieges. Aber sie nehmen – wie Regisseur Maksym Nachonechnyi – auch Dinge auf, an die man im Krieg nicht als erstes denken würde: "In Kiew haben wir gefilmt, wie sich das Kriegsgeschehen im Zoo ausgewirkt hat", sagt der junge Regisseur.

Als Filmemacher nützlicher als bei der Armee

Kurz vor Kriegsbeginn hatte Nachonechnyi gerade sein Spielfilmdebüt fertiggestellt. Darin geht es um eine Soldatin, die nach zwei Monaten Gefangenschaft wieder frei kommt und feststellt, dass sie durch die Vergewaltigung ihres Bewachers schwanger geworden ist. Der Film wurde vor dem russischen Angriff gedreht und war gerade fertig, als die russische Invasion begann.
Zur Armee wurde Nachonechnyi noch nicht eingezogen. Er könne als Filmemacher im Moment nützlicher sein, sagt Nachonechnyi. Sollte er einberufen werden, gehe er selbstverständlich zur Armee.

Solidarität unter Filmleuten

Für die ukrainischen Filmleute gibt es seit einiger Zeit Unterstützung aus anderen europäischen Ländern. Auch aus Deutschland kommt Hilfe in Form von Film-Equipment und Schutzausrüstung. Filmverbände haben Spendenaktionen initiiert. Das Material wird in die Ukraine gefahren und auf ukrainische Filmbüros verteilt. Die Organisation klappe gut, meint Nachonechnyi.

Der Filmemacher ist erschrocken darüber, wie der Krieg mittlerweile zur Routine wird: "Der Krieg ist jetzt unsere Realität." Sich daran gewöhnt zu haben, sei beängstigend, sagt Nachonechny. Dabei sei es essenziell, das Leben trotzdem weiterzuleben.

Ein Schauspielerportal vermittelt europaweit

Eine andere Hilfsaktion wurde jetzt gemeinsam von europäischen Filmverbänden gestartet: „Aktorky ta Aktory“ - eine digitale Plattform, auf der ukrainische Schauspielerinnen und Schauspieler ihr Profil einstellen können, um europaweit Arbeitsmöglichkeiten zu finden. Sichtbarkeit sei für sie wesentlich, sagt Bernhard F. Störkmann vom Bundesverband Schauspiel:
"Wenn Künstler und Kulturschaffende sich auf die Flucht begeben, dann ist sicherlich ein ganz wichtiger Aspekt, dass sie natürlich die Hoffnung hegen, weiterhin ihren Beruf ausüben zu können, und dafür ist die Sichtbarkeit wichtig. Deshalb entstand die Idee dieser Plattform."
Das Angebot richte sich nicht nur an Geflüchtete, sondern auch an Schauspieler, die noch in der Ukraine seien und vielleicht nur für ein bestimmtes Projekt das Land verlassen wollten, so Störkmann. "Wir wollen es vor allem als ein ganz starkes Signal der Solidarität und des Willkommens zeigen."

Hoffnung auf baldiges Kriegsende

Mehr als 600 Schauspielerinnen haben sich auf der Plattform registriert. Eine von ihnen ist Kateryna Solonikova. Die 22-Jährige aus einem Vorort von Kiew hat von „Aktorky ta Aktory“ durch Schauspielkollegen erfahren. Seit dem 24. März ist sie in Wien. Sie wollte nicht weg, aber es wurde zu gefährlich.
"Ich hoffe, dass der Krieg bald endet", sagt Solonikova. Sie stellt sich aber darauf ein, lange Zeit in Wien zu bleiben und dort zu arbeiten, um ihre Familie versorgen zu können. Auf der Plattform haben sich auffällig viele junge Männer registriert, obwohl sie im Moment nicht ausreisen dürfen, zum Beispiel der 24-jährige Tim Ustinov. Er möchte Erfahrungen im Ausland sammeln und in einem internationalen Projekt arbeiten – zum Beispiel in einer Serie wie „Dark“, die ihn beeindruckt hat. Seine Freundin ist bereits nach Berlin geflohen. Sie ist auch Schauspielerin.

Keine Ausreise für männliche Darsteller

Er glaubt, dass der Krieg bald vorbei ist und die Ukraine siegt. Erst dann will er weggehen. Seine letzte Filmrolle war ausgerechnet die eines Soldaten, der traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrt ist: "Während der Dreharbeiten war es schwierig für mich, seine Logik zu verstehen", sagt Ustinov. Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges versteht er diesen Filmcharakter viel besser, und das ängstigt ihn ein bisschen.
Durch „Aktorky ta Aktory“ könnten angesichts des derzeitigen Produktionsbooms derzeit viele ukrainische Schauspielerinnen Arbeit finden. Aber wann junge Schauspieler wie Ustinov die Ukraine wieder verlassen können, um Erfahrungen im Ausland zu sammeln, steht in den Sternen.

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